Sputnik V im Anflug
Russland will seinen Corona-Impfstoff auch in der Europäischen Union verkaufen
Russland will den Corona-Impfstoff Sputnik V in der Europäischen Union (EU) verkaufen und hat sich bereits an die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) gewandt. Die Frage ist, ob das russische Medikament wirklich so sicher und wirksam ist, wie es die Werbekampagne aus Moskau verspricht.
In den russischen Medien steht Sputnik V immer wieder in den Schlagzeilen. Das Vakzin wurde als erster weltweit zugelassener Impfstoff angekündigt und hat eine eigene neunsprachige Internet-Seite. Dort sind Beiträge über das Vertrauen der philippinischen Bevölkerung gegenüber dem russischen Impfstoff oder die Ergebnisse von Umfragen aus Mexiko zu finden.
Sputnik V: Noch kein Antrag auf Marktzulassung
Laut Kirill Dmitrijew, dem Chef des Russian Direct Investment Fund (RDIF), der an der Entwicklung des Impfstoffs beteiligt ist, wird Sputnik V in fünf weiteren Ländern hergestellt. Er nennt vier: Indien, Brasilien, Südkorea und China. Zulassungen bestehen in Paraguay, Algerien, Bolivien und Iran.
Auch mit der EU will Russland Verträge abschließen: Es gebe Pläne, so Dmitrijew in der Zeitung Iswestjia, nicht nur zu liefern, sondern in den europäischen Ländern auch zu produzieren, möglicherweise sogar in Deutschland. Als erstes europäisches Land hat Ungarn große Mengen des russischen Corona-Impfstoffs gekauft, obwohl bisher bei der EMA kein Antrag für die Marktzulassung gestellt wurde.
Die Pläne der russischen Regierung sind in Berlin bekannt. Die Bundeskanzlerin teilte letzte Woche mit, Deutschland sei bereit, Russland trotz aller politischer Differenzen beim Zulassungsprozess in der EU zu unterstützen. Konkret geht es um Hilfe des Paul-Ehrlich-Instituts. Wenn Sputnik V von der europäischen Regulierungsbehörde zugelassen wird, könne man „über eine gemeinsame Produktion oder auch über Anwendungen reden“, so Merkel.
Was ist Sputnik V?
Sputnik V, ursprünglich Gam-COVID-Vac Lyo genannt, ist der russische Impfstoff, dessen Zulassung als weltweit erstem Corona-Impfstoff der russische Präsident Putin am 11. August 2020 verkündete. Allerdings liefen die Testphasen danach weiter.
Seitdem läuft in den russischen Medien eine massive inoffizielle Werbekampagne für den Impfstoff. Nicht zuletzt spielt dabei der Name des Vakzins eine Rolle: Sputnik hieß auch der erste sowjetische Erdsatellit, der 1957 in der westlichen Welt den sogenannten Sputnikschock auslöste. Der Buchstabe V gilt laut Dmitrijew für Victory, für den Sieg über Corona. Die Produzenten spielen mit dem damaligen technischen und propagandistischen Erfolg im All und treiben die Produktion und Verbreitung des Stoffs in Russland seit Ende des Jahres 2020 schnell voran.
Das russische Vakzin ist ein sogenannter Vektorimpfstoff wie der Impfkandidat AZD1222 von AstraZeneca und der Universität Oxford. Laut Pharmazeutische Zeitung basiert dieser Impfstofftyp auf Viren als Träger (Vektor), welche die Erbinformation für ein Protein des Zielerregers (in diesem Fall SARS-CoV-2) in den Körper des Geimpften transportieren. Dort lösen sie die Bildung des Impf-Antigens aus. Der Impfstoff enthält Adenoviren, die sich im menschlichen Körper nicht vermehren, also auch keine Infektion auslösen.
Über die Wirksamkeit des neuen Stoffs können europäische Wissenschaftler nicht viel sagen, aber der Produzent behauptet: Sputnik V zeigte in der Endphase der klinischen Studien eine Wirksamkeit von 91,4 Prozent und von 100 Prozent „gegen die schweren Fälle des Krankheitsverlaufs“.
Experten sind skeptisch
Diese klinischen Studien wecken allerdings Vorbehalte: Leif Erik Sander, Infektiologe an der Berliner Charité, sagte im ZDF: „Vom Prinzip her ist der russische Vektor-Impfstoff vermutlich gar nicht schlecht.“ Das russische Gamaleja-Forschungszentrum habe in früheren Studien Expertise in dem Bereich nachgewiesen. Sander glaubt, „dass sie womöglich einen wirksamen Impfstoff haben, aber die Phase-III-Daten liegen uns nicht vor".
Skeptisch ist Swetlana Sawidowa, Leiterin des russischen Branchenverbands für klinische Studien AOKI, dem sich in Russland unter anderem Bayer, Novartis und Pfizer angeschlossen haben. Sie nennt den Zulassungsprozess in Russland zu hektisch, es sei „eher um die Politik, nicht um Wissenschaft“ gegangen. „Die Registrierung des Impfstoffs hat bei uns der Präsident angekündigt.“ Für Sawidowa ist das eine PR-Maßnahme auf staatlichem Niveau.
Unerlaubte Menschentests durch Wissenschaftler
Die Bereitschaft, zum Erfolg beizutragen, ist anscheinend hoch. Schon im Mai 2020 wurde bekannt, dass die Mitarbeiter des Gamaleja-Instituts für Epidemiologie und Mikrobiologie in Moskau den Impfstoff-Kandidaten zunächst an sich selbst getestet hatten – bevor eine Erlaubnis für klinische Testungen ausgestellt war. Für Wissenschaftler, so Sawidowa, galt das als erster Regelverstoß. Außerdem dürfen Mitarbeiter von medizinischen Unternehmen grundsätzlich nicht an Tests teilnehmen. Zudem hat der Produzent laut Sawidowa die Fragen über die Kontrollgruppe der ersten und zweiten Phase der Studie nicht beantwortet, was für die laufenden Arbeitsphase genügen könnte, aber nicht für die Zulassung.
Auch die dritte Phase der Studie ist nicht transparent. „Es ist ziemlich schwer, die Qualität der dritten Phase der Studie von außen einzuschätzen“, stellt die Expertin fest. Das gelte auch für die Wirksamkeit und die Sicherheit des Impfstoffs selbst.
Aufgrund der Berichterstattung geht Sawidowa davon aus, dass das Medikament relativ sicher ist. Was die Wirksamkeit betrifft, könne sie derzeit den von den Produzenten genannten Werten „nicht vertrauen“. Sie will sich deshalb selbst erst dann impfen lassen, wenn gesicherte Daten zur Verfügung stehen.
Lesen Sie dazu auch: Covid-19: Hoffen auf den Impfstoff