Wo ist Putins Geld?

Anatoli Tschubais hat Russland verlassen. Wissen er und Oligarchen im Westen, wo es liegt?

von Daniel J. Arbess
Geld

Die Entscheidung des russischen Klimabeauftragten Anatoli Tschubais, sein Regierungsamt niederzulegen und Russland zu verlassen, könnte sich als äußerst bedeutsam erweisen. Indem er ein Fenster zur jüngeren russischen Geschichte wieder öffnet, könnte Tschubais’ Rücktritt etwas Ordnung in die „KleptoCapture“-Strategie des Westens bringen, die darauf zielt, das Vermögen von etwa einem Dutzend russischer „Oligarchen“ einzufrieren, die als „Anhängsel des Putin-Regimes“ bezeichnet werden. Aber sie könnte möglicherweise noch viel mehr bewirken.

Tschubais, der in den 1990er-Jahren für das russische Massenprivatisierungsprogramm unter Präsident Boris Jelzin verantwortlich war, ist ein lebendiges Zeugnis dafür, wie der Reichtum des Lands verteilt wurde. Er war auch ein früher Förderer von Wladimir Putin als kompetentem Nachfolger von Boris Jelzin. Und obwohl Tschubais schon lange nicht mehr zu Putins innerem Kreis gehört, könnte er durchaus in der Lage sein, den Westen zum Geld des Präsidenten zu führen – wenn er sich sicher genug fühlt, um zu reden.

Die Sanktionierung von Putins „Anhängseln“ klingt nach einer guten Idee, aber Tschubais weiß, dass die KleptoCapture-Strategie in ihrer jetzigen Form wahrscheinlich mehr Rauch als Feuer ist. Die derzeitige Handvoll Zielpersonen wurde in den Jelzin-Jahren reich, geriet aber schließlich in Konflikt mit Putin und verließ Russland. Andere bleiben zu seinem Gefallen.

Sie besitzen, was Putin ihnen zugesteht, solange sie ihm aus dem Weg gehen, und sie haben nur minimalen Einfluss. Die heutigen Kreml-Insider sind Spione aus der Sowjetzeit und Überbleibsel der „roten Direktoren“, die die meisten der Tausenden von Unternehmen kontrollieren, die zwischen 1992 und 1996 privatisiert wurden.

Damals handelte es sich bei den Oligarchen, die jetzt ins Visier genommen werden, um Bankiers, die der russischen Regierung 800 Millionen Dollar liehen, in der Regel abgesichert durch Minderheitsbeteiligungen an zwölf großen Öl- und Metallunternehmen. Dieses Programm sollte Jelzin dabei helfen, ein riesiges Haushaltsdefizit auszugleichen und eine Hyperinflation vor den Wahlen 1996 zu vermeiden, die er ansonsten voraussichtlich gegen seinen kommunistischen Herausforderer Gennadi Sjuganow verlieren würde. Wenn die Regierung die Kredite nicht unmittelbar nach der Wahl zurückzahlte, konnten die Kreditgeber die Anteile versteigern und so die Privatisierung unabhängig vom Wahlsieger konsolidieren.

Obwohl Jelzin überraschend wiedergewählt wurde, geriet der Staat dennoch in Verzug – wahrscheinlich absichtlich, um die Banker für ihre Hilfe zu belohnen. Die Eigentumsanteile, die damals mit 1,5 bis 2 Milliarden Dollar bewertet wurden, wurden in meist manipulierten Auktionen an die Kreditgeber „verkauft“, wodurch einige junge Finanziers zu Oligarchen wurden.

Bandenkapitalismus statt Bandenkommunismus

Als Berater von Tschubais und seinem Team argumentierte ich damals, dass „Kredite für Aktien“ den Privatisierungsprozess korrumpieren und den Anschein erwecken würden, dass Jelzin absichtlich eine kleine Gruppe von Tycoons bereicherte, indem er wichtige Anteile billig verkaufte. Tschubais räumte später ein, dass es sich um einen „Banditenkapitalismus“ handelte, der aber als notwendig erachtet wurde, um eine Rückkehr zum „Banditenkommunismus“ zu vermeiden.

Darlehen für Aktien erlangten eine mythische Bedeutung in der Geschichte der russischen Privatisierung und überschatteten die Massenprivatisierung von Tausenden anderer Firmen, die Tschubais beaufsichtigte. Doch die eigentliche Tragödie für Russland war die Förderung Putins durch Tschubais, der die Kontrolle über die Unternehmen schnell wieder festigte – für sich selbst.

Im Jahr 1999 trat der kränkelnde Jelzin vor dem Ende seiner zweiten Amtszeit zurück und ernannte Putin, einen ehemaligen Chef des Föderalen Sicherheitsdienstes (FSB, dem Nachfolger des KGB), der sich zuvor als stellvertretender Bürgermeister von St. Petersburg einen Ruf als effizienter Reformer erworben hatte. Die Finanzmärkte unterstützten weitgehend Jelzins Wahl, die Tschubais selbst als „eine brillante Entscheidung, äußerst präzise und tiefgründig und, abgesehen von allem anderen, sehr mutig“ lobte.

Chodorkowski, Beresowski et al.

Bei seinem Amtsantritt versprach Putin, dass „die Redefreiheit, die Gewissensfreiheit, die Pressefreiheit, das Recht auf Privateigentum – all diese Grundprinzipien einer zivilisierten Gesellschaft – vom Staat zuverlässig geschützt werden“. Eine Zeit lang unterstützte Putin tatsächlich Marktreformen, vorausgesetzt, die Oligarchen hielten sich aus der Politik heraus und teilten die wirtschaftlichen Vorteile mit ihm und seinen Kumpanen im Sicherheitsapparat. Als jedoch Michail Chodorkowski – der Gründer der Menatep-Bank, der die Kontrolle über den Ölkonzern Yukos im Rahmen von Krediten gegen Aktien erwarb – seine politischen Ambitionen ankündigte, wurde er für fast ein Jahrzehnt ins Gefängnis gesteckt und die Vermögenswerte von Yukos wurden verstaatlicht.

Putin wandte sich auch gegen Boris Beresowski, einen weiteren Jelzin-Kumpanen, der eine Schlüsselrolle dabei gespielt haben soll, Jelzin davon zu überzeugen, Putin zu seinem Nachfolger zu wählen. Und er verbannte Bill Browder, einen erfolgreichen, in Moskau ansässigen amerikanischen „konstruktiv-aktivistischen“ Investor, der große russische Unternehmen übernommen hatte, ins Exil.

Browders Steueranwalt Sergei Magnitski wurde später verhaftet und starb 2009 im Gefängnis; Browder hat sich seither der Gerechtigkeit für Magnitski verschrieben.

Mehrere russische Oligarchen haben ihr Vermögen am Rande des Privatisierungsprogramms in Russland gemacht. Einige, wie der Metallmagnat Oleg Deripaska, sind in Russland geblieben, haben ihren Einfluss in der Heimat verringert und in Immobilien im Ausland investiert. Andere, wie die Bankiers Michail Fridman und Petr Aven, behielten ihre russischen Unternehmen, waren aber vermutlich gezwungen, ihr Eigentum oder ihren Reichtum mit Putin und anderen „Beschützern“ der Regierung zu teilen.

Alle drei haben ausländische Pässe erworben. Diejenigen, die sich wie Beresowski offen gegen Putin stellten, starben unter mysteriösen Umständen, ebenso wie aktive politische Gegner wie Boris Nemzow, der 2015 vor dem Kreml ermordet wurde.

Eventuell nützlich? Die Oligarchen im Westen

Einige Unternehmer, die ihre Unternehmen von Grund auf aufgebaut haben, hatten die Weitsicht, sie zu verkaufen und Russland zu verlassen, als Putin an die Macht kam. Wladimir Gusinski – mein erster russischer Unternehmerfreund im Jahr 1989 – gründete NTV, Russlands erstes unabhängiges Medienunternehmen, verkaufte es aber 2001 an die staatlich kontrollierte Gazprom und wanderte mit seiner Familie nach Israel aus. NTV ist heute eines von Putins wichtigsten Sprachrohren.

Ob Selfmade-Millionäre oder kluge Nutznießer von Jelzins Klüngelkapitalismus, die meisten dieser reichen Russen mit Auslandsvermögen scheinen den Wunsch nach gesellschaftlicher Akzeptanz außerhalb Russlands zu teilen. Viele haben erhebliche Investitionen in Europa und den Vereinigten Staaten getätigt, wo sie zu leuchtenden Sternen am philanthropischen Firmament von Museen, Philharmonien und anderen kulturellen Einrichtungen geworden sind.

Keiner dieser Männer scheint Einfluss, geschweige denn Kontrolle über Putin zu haben. Im Gegenteil, er ist eine ständige Bedrohung für ihren Reichtum und ihre Sicherheit. Anstatt sie zu verunglimpfen und zu sanktionieren, könnten westliche Politiker mehr davon haben, wenn sie ihnen – und Tschubais, ihrem ehemaligen Gönner – das nötige Vertrauen entgegenbringen, damit sie ihr Wissen darüber weitergeben, wo Putins Geld wirklich zu finden ist.

Daniel J. Arbess, CEO von Xerion Investments, war beim russischen Privatisierungsprogramm von Anatoli Tschubais Berater der Weltbank und der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung.

Übersetzung: Andreas Hubig / Copyright: Project Syndicate 2022

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