Deutsche Panzer für die Ukraine

Biden und Scholz wollten keine Panzer schicken, einigten sich aber auf das Richtige

von Josef Joffe
Angesichts der Lieferung der US-Panzer kann Deutschland das Risiko russischer Vergeltungsmaßnahmen streuen: Leopard 2 bei einer Übung

„Tankeschön“ heißt es in einem Meme, das dieser Tage online die Runden macht und einen deutschen Panzer mit ukrainischer Flagge zeigt – ein Wortspiel, denn Panzer heißt auf Englisch „tank“. Nach einem Jahr Krieg steht Deutschland nun plötzlich davor, 14 Panzer vom Typ Leopard 2 an die Ukraine zu liefern. Die Entscheidung signalisiert eine verblüffende Abkehr von einem langjährigen und zwanghaft verfolgten Grundsatz deutscher Außenpolitik: Keine Angriffswaffen für die Ukraine; wir Deutschen können es uns nicht leisten, die Russen zu verärgern.

Anfänglich schickte Deutschland den die russischen Invasoren bekämpfenden Ukrainern bloß Helme und schusshemmende Westen. Mit zunehmendem Druck von Deutschlands Verbündeten und den Ukrainern folgte dann tröpfchenweise schwerwiegendere Ausrüstung: Artillerie, Panzerfäuste, Schützenpanzer, Flakpanzer und Kurzstreckenraketen.

Weshalb Deutschlands Kehrtwende jetzt?

Doch Kampfpanzer waren bisher streng tabu. Sie galten als Angriffswaffen und würden Deutschland angeblich dem Zorn des russischen Präsidenten Wladimir Putin aussetzen. Also war die Antwort ein ganzes Jahr lang „nein“. Jetzt jedoch werden in Deutschland gefertigte Panzer in der Ukraine einrollen.

Was steckt hinter dieser verblüffenden Kehrtwende? Hat die Regierung von Bundeskanzler Olaf Scholz endlich begriffen, dass es hier um mehr geht als eine moralische Verpflichtung gegenüber den Opfern von Russlands völkermordendem Krieg?

Russlands Drang gen Westen zu stoppen und umzukehren ist ein grundlegendes strategisches Interesse. Ein Sieg Putins in diesem Krieg würde eine 77 Jahre alte, auf Zurückhaltung, Abschreckung und einer Menge friedensorientierter Abkommen beruhende europäische Ordnung aus den Angeln heben. Putin würde sich ermutigt fühlen, weiterzumachen und das übrige Europa einzuschüchtern. Das ist, was imperiale Mächte tun, wenn Machtzuwachs lockt.

Freilich löst diese bestechende Logik das Rätsel um Deutschlands neu erwachte Entschlossenheit nicht. Auch stellt sich das Land mit ihr nicht seiner Verantwortung als Europas reichstes und bevölkerungsstärkstes Land. Transatlantisches Feilschen und Gefolgschaft gegenüber der wahren Führungsmacht – den USA – sind eine bessere Erklärung.

Auch die USA schicken Panzer

Scholz hat sich Monate lang hinter US-Präsident Joe Bidens Weigerung versteckt, amerikanische M1A1 Abrams-Panzer zu schicken. Das Mantra des Kanzlers lautete: „kein Alleingang“. Daher ging hinter den Kulissen das Gezänk los. Ohne Mr. Big würde Deutschland den modernen russischen Zaren nicht provozieren.

Am Ende gab Biden nach, auch wenn der Abrams-Panzer für Gefechte in Osteuropa womöglich nicht ideal ist. Es heißt, er sei zu schwer für das weiche ukrainische Gelände, und er erfordert eine komplexe Nachschuborganisation – zum Beispiel fährt er mit Flugbenzin statt mit Diesel – sowie gut geschultes Wartungspersonal.

Doch sind dies Details, auf die sich Kritiker der Absprache bequemermaßen gern berufen. Was jedoch wirklich zählte war die Symbolik. Die US-Zusage beruhigt Deutschland, das seit Beginn der Ostpolitik des damaligen Bundeskanzlers Willy Brandt in den 1970er-Jahren versucht hatte, sich mit dem Kreml gut zu stellen.

Dies ist der Grund, warum deutsche Bundesregierungen krampfhaft an Nord Stream 2 festhielten: der Pipeline, die russisches Gas unter Umgehung der Ukraine und Polens direkt nach Deutschland bringen sollte. (Bis Kriegsausbruch kamen 55 Prozent der deutschen Gasimporte aus Russland.)

Deutschlands Risiko sinkt

Angesichts der Lieferung der US-Panzer kann Deutschland das Risiko russischer Vergeltungsmaßnahmen streuen. Doch sollte man es mit der Angst vor diesem Risiko nicht übertreiben. Kremlsprecher Dmitri Peskow tat die US-Entscheidung mit den Worten ab, die US-amerikanischen und deutschen Panzer würden „eindeutig überschätzt“ und würden „brennen wie alle anderen“.

Scholz’ Gambit jedenfalls hat funktioniert: Du trittst für mich ein, und ich für Kiew. Er zitiert gern aus dem berühmten Musical Carousel (1945): „You’ll never walk alone“ – wie werden niemanden alleine lassen.

Dies ist der wahre Kern von Deutschlands nicht gerade großartiger Strategie. Umgeben von anderen, insbesondere dem mächtigen Amerika, brauchen Lämmer den Wolf nicht zu fürchten. Das ist die Sicherheit der großen Zahl. Man darf nie allein grasen.

Wer glaubt, dass Deutschland seinen Herdeninstinkt endlich überwinden wird, wird warten müssen. Die Nation, die im Zweiten Weltkrieg vor die Tore Moskaus marschierte, ist heute so aggressiv wie ein kuscheliges Kätzchen. Ihre Rundumerneuerung nach dem Krieg ermöglichten Frieden und Wohlstand – für Deutschland selbst und für das übrige Europa, das nun den teutonischen Imperialismus nicht länger fürchten musste. Warum also jetzt Deutschlands vielbeschworene „Kultur der Zurückhaltung“ aufgeben?

Die Antwort ist simpel: Die Realität hat sich mit Putins Versuch vom letzten Februar, Kiew zu erobern, brutal verändert, und er stellt für eine Frühjahrsoffensive derzeit massive Verstärkungen auf. Die russische Aggression hat zudem die öffentliche Meinung in Deutschland verändert. Mehrheiten befürworten Waffenlieferungen an die Ukraine.

Das Gleiche gilt für die Grünen, Scholz’ Koalitionspartner. Gestern noch eingefleischte Pazifisten, haben sie sich quasi über Nacht zur Kriegspartei gewandelt. In Anlehnung an Samuel Johnson kann man sagen: Nichts konzentriert den Geist stärker als eine existenzielle Bedrohung.

Laufen mit der US-geführten Herde

Also Ehre, wem Ehre gebührt. Deutschland hat Nord Stream 2 aufgegeben. Es hat sich stetig härteren Sanktionen gegen Russland angeschlossen. Es steht in der Liste der Länder, die die Ukraine mit Geld und Waffen versorgen, deutlich vor Frankreich. Es hat zusätzliche 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr zugesagt – eine Armee, die sich drei Jahrzehnte lang dadurch ausgezeichnet hat, dass sie Personal und Ausrüstung reduziert hat. Seit Abzug der letzten russischen Soldaten aus Osteuropa 1994 ist Deutschlands Panzerbestand von 3000 auf etwas über 300 gesunken.

Trotzdem wird Deutschlands glückliche Erfahrung als „Friedensmacht“ das Land abschrecken, seine bewährte Strategie aufzugeben. Es war einfach zu bequem, mit der von den USA geführten und beschützten Herde zu laufen. Im Panzerdrama mussten die USA den ersten Schritt tun, damit Deutschland folgen konnte. Clausewitz, der bekanntlich die Verschmelzung von Diplomatie und Gewalt predigte, hat hier keine Heimat mehr.

Es spielt dabei keine große Rolle, dass die Europäische Union und Großbritannien zusammen die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt bilden und eine drei Mal so große Bevölkerung haben wie Russland. Amerikas Rolle bleibt entscheidend wie eh und je. Als Präsident Barack Obama Europas „Trittbrettfahrer“ kritisierte und Donald Trump die Nato als „obsolet“ bezeichnete, muss Putin aufgepasst haben – und hat dann die völlig falschen Schlüsse gezogen. Unter Biden ist der amerikanische Sheriff zurück, und das an der Spitze eines wachsenden Trupps westlicher Hilfssheriffs. Selbst die ewigen Neutralen Finnland und Schweden drängen in die Nato.

Wie lang diese Einheit der Verbündeten Bestand hat, wenn sich der Krieg weiter hinzieht, ist eine andere Frage. Wir wissen nur, wie Kriege anfangen, nicht wie sie enden – bis es dann soweit ist. Für den Moment sollten wir vor Biden und Scholz den Hut ziehen. Beide wollten keine Panzer schicken, aber sie einigten sich auf das Richtige. Wir wollen hoffen, dass die neuen Waffen rechtzeitig eintreffen, bevor Putin seine Frühjahrsoffensive startet.

Josef Joffe ist Mitglied des Herausgeberrats der Wochenzeitung Die Zeit. Er ist Fellow an der Hoover Institution und lehrt internationale Politik an der Johns Hopkins School of Advanced International Studies.

Aus dem Englischen von Jan Doolan. Copyright: Project Syndicate 2023.

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