Sprungbereit wie eine Tigerin

Wie Irina Antonowa einmal die „große Arbeit“ des Deutsch-Russischen Museumsdialogs lobte

Antonowa Irina imago Artyom GeodakyanTASS Zuschnitt 1 | Nachrichten über Russland
Verabschiedungszeremonie am 3. Dezember: Vier Tage zuvor war Irina Antonowa gestorben

Meine Frage stellte ich auf Englisch: Frau Antonowa, in welcher Sprache wollen wir kommunizieren? Selbstbewusst und akzentfrei antwortete sie: Natürlich auf Deutsch.

Es war mein erster Besuch bei Irina Antonowa im Puschkin-Museum. Ich wollte ihr, der Direktorin des neben der Eremitage in St. Petersburg wichtigsten russischen Museums, in dem bis heute umfangreiche Sammlungsbestände aus deutschen Museen aufbewahrt werden, die künftigen Aktivitäten des 2005 gegründeten Deutsch-Russischen Museumsdialogs (DRMD) vorstellen.

Es ging um ein umfangreiches Forschungsprojekt, das auf Basis der Auswertung der Transportlisten der sowjetischen Trophäenkommission des Ministeriums für Kultur aus dem Staatsarchiv für Literatur und Kunst in Moskau objektbezogen Aufklärung über den Verbleib verlagerter Kunst aus deutschen Museen geben sollte. Im besten Fall könnte das zur kollegialen Zusammenarbeit deutscher und russischer Museumswissenschaftler führen, als gemeinsame Arbeit an der Geschichte der Sammlungen.

Frau Antonowa hörte sich meine Ausführungen mit regungslosem Gesichtsausdruck an und fragte, was ich nun von ihr erwarte. Kollegiale Kooperation und Transparenz, antwortete ich.

Sie hätte mit dem Puschkin-Museum viele internationale Kooperationen, war ihr diplomatischer und völlig freibleibender Kommentar. Dann legte sie mir zum Beleg Ausstellungskataloge mit internationalen Partnermuseen vor, die mit meinem Anliegen absolut nichts zu tun hatten.

Damit wechselte sie das Thema: Besonders stolz sei sie allerdings auf das neu eingerichtete Nachbargebäude, das ausschließlich der Museumspädagogik gewidmet sei. Sofort arrangierte sie eine sehr beeindruckende Besichtigung. Damit war der Termin und mit ihm das Thema gemeinsamer Aufarbeitung kriegsbedingt verlagerten Kulturguts für sie beendet. Von weiteren Besuchen habe ich daraufhin Abstand genommen.

Kriegsverluste auch in russischen Museen

2014 veranstaltete ICOM seine Jahrestagung in Sankt Petersburg. Ich war freundlicherweise eingeladen, um die Forschungen des Deutsch-Russischen Museumsdialogs zu präsentieren. Inzwischen war zum ersten Projekt der Aufarbeitung der Verluste der deutschen Museen ein zweites hinzukommen: „Russische Museen im Zweiten Weltkrieg“. Mehr als 170 russische Museen waren von Kriegsverlusten betroffen. Untersucht wurden deshalb exemplarisch die bedeutendsten Sammlungen in Nowgorod und Pskow sowie der Zarenschlösser um Sankt Petersburg, Tsarskoe Selo, Peterhof, Gatschina und Pawlowsk von 1941 bis in die frühen 1950er-Jahre.

Nachgezeichnet wurde die Geschichte der einzelnen Sammlungen, die Wege zurück in ihr Heimatmuseum, ihr Weitertransport innerhalb der Sowjetunion und ihre Verlagerung durch die deutsche Wehrmacht. Im Mittelpunkt standen auch die Akteure, die Stäbe und Organisationen, der „Kunstschutz“ der Wehrmacht, der „Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg“ (ERR) mit regionalen Unterabteilungen und Sonderstäben, insbesondere die Hauptarbeitsgruppe (HAG) „Ostland“, das „Kommando Künsberg“, das Amt „Ahnenerbe“ sowie die Beauftragten für das Führermuseum Linz.

Im voll belegten Vortragssaal saß Frau Antonowa in der ersten Reihe, sprungbereit wie eine Tigerin, und folgte aufmerksam meinen Ausführungen. Nach meiner Präsentation zu den deutschen wie russischen Museumsverlusten war sie die erste, die sich in der anschließenden angeregten Diskussionsrunde zu Wort meldete. Ich war auf alles gefasst. Sie verwies nochmals auf die umfangreichen Verluste der russischen Museen, auf die deutschen Verluste ging sie nicht ein. Aber sie würdigte dieses Engagement des DRMD: „Sie machen eine große Arbeit.“

Mehr konnte und wollte ich nicht erwarten. Diese Worte einer Zeitzeugin, exakt im Alter meiner Mutter, die Schlimmstes erlebt hatte, und für deren Position ich aus historischen und menschlichen Gründen großes Verständnis hatte, werden mir stets in Erinnerung bleiben.

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