Russische Botschaften: Es riecht nach Mord
Yassin Musharbaschs Thriller: nah am echten Journalistenleben und an den russischen Geheimdiensten
Das Erfolgsmotto des Weltkriegsreporters und späteren Stern-Gründers Henri Nannen für gelungen Reportagen lautet: „Mit einem Erdbeben anfangen! Und dann langsam steigern.“ Im Fall von Merle Schwab, die mit einem Kollegen in einem Café in Berlin-Neukölln sitzt, ist es ein junger Mann, der vom Balkon fällt und direkt neben ihnen auf dem Gehweg aufschlägt. Blut rinnt aus Ohren und Nase auf den Beton, das rechte Auge ist eingedrückt, das linke Auge steht offen. „Sein starrer Blick ging genau in meine Richtung.“
Wenn das kein Auftrag ist. Der Auftrag, das Schicksal der Toten zu recherchieren. Und die junge Investigativjournalistin in Yassin Musharbaschs drittem Thriller „Russische Botschaften“ beginnt augenblicklich: Eiskalt nimmt sie ihr Mobiltelefon vom Tisch und fotografiert die Leiche, von allen Seiten. Ihr Kollege schilt sie „irre“, weil sie knipst statt einen Krankenwagen zu rufen. Das nennt man wohl déformation professionelle. Oder Geistesgegenwart. Denn die Leiche ist bald unauffindbar.
Es riecht nach Mord. Was aber zunächst nach Clanrivalitäten aussieht (Neukölln!), wird zu einem Fall um den russischen Geheimdienst GRU, einen Doppelagenten und eine verschlüsselte Liste. Aber nichts ist, wie es aussieht. Die Geschichte endet im Chaos, und verantwortlich dafür ist eine russische Desinformationskampagne, die dazu beitragen soll, Verwirrung zu stiften und die deutsche Gesellschaft zu spalten.
Gelernt bei John le Carré
Musharbasch gibt an, eine zeitlang mit John Le Carré als Rechercheur gearbeitet zu haben, und „Russische Botschaften“ ist ein spannender Thriller geworden. Gelernt ist gelernt.
Der Plot bewegt sich aber nicht nur im Bereich der Fiktion, sondern auch nah am Alltag eines Investigativjournalisten. Ähnlch wie bei den Rechercheteams der Panama Papers und den Pandora Papers arbeiten bald auch bei Musharbasch zwei Redaktionen zusammen, statt sich ein „Rattenrennen“ zu liefern, also schneller Ergebnisse veröffentlichen zu wollen als die Konkurrenz. Und es geht um die ehrliche Suche nach der Wahrheit und den Vorwurf der Fake News.
Musharbaschs Figuren spekulieren auch über ein Thema, das bei allen Debatten um Russland, Putin, Geheimdienste, Silowiki für Streit sorgt: Was und wieviel weiß der Präsident? Wer erteilt Aufträge? Wer handelt kriminell, aber im Sinn des Präsidenten? Und mit welchem Ziel? Um sich Sporen zu verdienen und in der Gunst des obersten Vorgesetzten zu steigen?
Und wer hat diese Intrige angezettelt? Am Ende ist es wie in der Realität. Es fehlen Fakten. Aber ein vulminantes Finale und eine Reportage, die aus der Feder des Reporters Yassin Musharbasch sein könnte, runden einen spannenden Thriller ab.
Russische Botschaften