Das Hassliebe-Buch der Anna Rose

Die russische Journalistin liebt Deutschland, versteht aber nicht alle, die dort leben

Anna Rose Hassliebe
Deutschland will Russland umerziehen, behauptet die Autorin von "Hassliebe", Anna Rose.

Anna Rose ist augenscheinlich eine wütende Frau. Wütend ist die Russin, die seit Mitte der neunziger Jahre in Deutschland lebt und mit einem Deutschen verheiratet ist, auf die Journalisten in ihrer Wahlheimat. Ihr ist aufgefallen, „dass die deutschen Medien sehr schnell mit der Verurteilung Russlands zur Hand sind“. Sie wirkten, schreibt sie, „wie gleichgeschaltet“.

Deutschland habe sich zur Aufgabe gemacht, „Russland umzuerziehen“, so Rose. Wichtigstes Bestreben sei es, „erst einmal“ überall die Menschenrechte einzufordern, schreibt Rose. „Als ob es skandalös wäre, dass es nicht überall so ist wie in Deutschland.“

Sie meint, man solle „Völkern selbst überlassen, sich zu entwickeln, sich zu finden, oder zu bleiben, wie sie sind“. Darüber ließe sich zumindest reden – auch wenn man nicht bestreiten kann, dass relevante Teile mancher Völker, die von Despoten, Autokraten oder Diktatoren kujoniert werden, Hilfe von dritter Seite dankbar annehmen (würden).

Es ist nicht so, dass Anna Rose das Offensichtliche nicht einräumte: Krim, Ukraine-Krieg, Verfassungsänderung zugunsten Putins, Missachtung von Verfassungsfreiheiten, Nawalny, veraltetes Gesundheitswesen, die schlechte wirtschaftliche Lage und dergleichen mehr. Auch dass Russland sich in einen autokratischen Staat verwandelt habe, bestreitet Rose nicht: „Von Demokratie fehlt dort jede Spur.“

Klage über die Russlandpolitik des Westens

Rose verschweigt nicht grundlegende politische Differenzen. In einem Kapitel über „Geopolitik im Sandkasten“ beklagt sie die Ausdehnung des Westens in Richtung „östliche Nachbarschaft“. Die damit gemeinten Staaten seien jedoch nicht Nachbarn von Deutschland oder EU, sondern von Russland.

Hoffnungen auf das, was einmal eine europäisch-russische Utopie gewesen ist, zerschmettert sie mit einem Satz: „Russland wird nie zum europäischen Haus gehören.“ Später kommt sie allerdings zu einem ganz anderen Schluss: „Russland ist groß und vielfältig. Sein Volk ist kreativ und talentiert. Es wäre schade, wenn der Westen Russland wegen Putin verlöre.“

Es gibt bei Rose auch Sätze, über die manche gar nicht diskutieren wollen: „Putin macht doch nur das, was der Westen mit Diktatoren und Despoten immer gemacht hat: unterstützen, mit Geld und Waffen versorgen, damit keine neuen Unruhen und Bedrohungen entstehen.“

Damit könnte die Leserschaft das Buch zur Seite legen. Aber dann entginge ihr eine weitere Kopfnuss: „Mit welcher Ehrfurcht und welchem Respekt etwa die USA behandelt werden, trotz Spionage, Handels- und Wirtschaftskriegen, trotz erniedrigender Behandlung der eigenen Regierungschefin durch den US-Präsidenten.“

Überzeugten Transatlantiker und die von Rose gescholtenen deutschen Medien werfen das Buch wegen solcher Sätze spätestens jetzt in die Denis-Scheck-Tonne.

Rose will Verständnis für Russland schaffen

Was die Autorin antreibt, ist der Versuch, Verständnis für Russland zu schaffen. Die Menschen dort, merkt sie an, lebten erst seit drei Jahrzehnten befreit von Monarchien und Ideologien. Die „Demokratisierung“ (Rose schreibt das Wort in Anführungszeichen) sei jedoch begleitet worden von „gesellschaftlichem Chaos, ungezügeltem Verbrechen und unsäglichem Elend“.

In Russland sei der Glaube an die Demokratie erloschen, nachdem Jelzin das Land „unter den Bedingungen einer hoffnungslos maroden Wirtschaft und einer zerfallenden Infrastruktur“ in den Ruin getrieben habe. „Die Freiheit hat Russland erstickt“, schreibt sie, „wie ein plötzlicher Wasserschwall in der Wüste.“

Seither seien alle Versuche zum Scheitern verurteilt, die etwas erzwingen wollten, „weil es gut sei und für alle Glück und Wohlstand verheiße“. Russinnen und Russen hätten keinesfalls nur ein Ziel, wie die westlichen Medienexperten schreiben: Demokratie und Marktwirtschaft.

Vielmehr seien die Russen „ein gehorsames, geduldiges Volk“. Allgemeine Überzeugung sei: „Konflikte und Auseinandersetzungen zu vermeiden ist eine Tugend. Kritik zu üben ist ein Affront und ein Zeichen der Unverschämtheit, nicht eine Voraussetzung für den Fortschritt.“

Noch sei ihnen die Vorstellung fremd, jeder Mensch sei nicht lediglich Untertan einer Staatsgewalt, sondern ausgestattet mit Rechten. Fremd sei ihnen auch „die übersteigerte deutsche Variante dieses Selbstbewusstseins“, die dazu führe, elementare Normen des Zusammenlebens zu missachten, „nämlich solche wie Höflichkeit, Rücksicht und Respekt vor anderen Menschen im Alltag“. Anna Rose, das muss angemerkt werden, lebt in Berlin.

Anders als die Deutschen seien die Russen „nicht selbstsicher, gar nicht rechthaberisch, daher verletzlich, verwundbar und als Folge trotzig und selbstzerstörerisch.“ Beleidigungen wie Obamas fatales Wort von Russland als Regionalmacht hätten zu Ablehnung des Westens geführt, schreibt sie.

Das gelte auch für Merkels „feindliche Haltung“ gegenüber Russland, über die gespottet werde, sie habe „Komplexe aus der DDR-Zeit nicht verarbeitet“, als sie FDJ-Funktionärin war „und die Sowjetunion lieben lernte“. Merkel habe der USA imponieren wollen, so Rose, und werde „eine Ära symbolisieren, in der die Russlandpolitik Deutschlands gescheitert ist“.

Kritik an der Opposition

Wenig Verständnis für Demokratie und soziale Marktwirtschaft gebe es allerdings auch unter den „sogenannten Oppositionellen“. Sie würden in deutschen Medien viel gelobt, dabei werde aber ausgeblendet, „dass diese Opposition mit stark populistischen Worten wirbt, die den Deutschen im eigenen Land nicht willkommen wären“.

Was kommen solle, wenn Putin weg wäre, dafür gebe es unter Oppositionellen wenig Verständnis. Egal seien ihnen auch die Menschen, und so empfiehlt sie ihnen, „ihr Ego und ihr eitles Streben nach Ruhm und Bedeutsamkeit zumindest mit dem Kampf für bessere Lebensverhältnisse (zu) verbinden“.

Dass etliche von ihnen „Zugang zu westlichen Mitteln“ haben, honoriert sie mit dem Satz, das nähre „Begehrlichkeiten, Misstrauen und Missgunst“ – und im Fall von vergleichsweise gut bezahlten Mitarbeitern und Vorgesetzten (Rose nennt Namen) in „unabhängigen“ Medien (wieder Anführungszeichen von Rose) auch Misstrauen. „Die Glaubwürdigkeit von Medien, die Mittel aus dem Ausland enthalten, an denen sich die Chefs individuell bereichern, ist nicht sehr hoch.“

Rose greift die westlichen Werte an

Mit Verve teilt Rose aus gegen die Besserwisser, die sie zuvörderst in Westdeutschland sieht, gegen die „egoistische Selbstüberschätzung, die Gewissheit, immer und in allem Recht zu haben“, gegen die „grässlichen Untiefen der deutschen Seele“.

Misstrauen und Argwohn seien über die Frage der Ziele des Westens entstanden, der „mit vollen Händen Geld auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion ausschüttete“. Sie kritisiert „reiche Stiftungen und Demokratie-Helfer, die einen Keil in die Gesellschaft trieben“, indem sie lokalen Mitarbeitern das Gehalt in Dollar bezahlten.

Unterm Strich glaubte, so Rose, niemand an deren gute Absichten. Eher bestehe der Verdacht, das größte Land der Erde solle aufgeteilt werden.

Menschenrechte, Gleichberechtigung, Gleichbehandlung, westliche Werte? „‘Werte‘ machen nicht satt“, kontert Rose. Überall sieht sie im Westen double standards und Verstöße gegen diese Werte. Zum Beispiel die Flüchtlinge: „In Russland setzt man Flüchtlingsheime nicht in Brand.“ Oder beim alltäglichen Rassismus gegenüber Ausländern, die „als Menschen zweiter Klasse betrachtet werden“. Oder beim Doping, wo die Russen fragten, weshalb nur bei ihnen recherchiert und enthüllt werde.

Kein Verständnis hat sie offenbar für „die Leichtigkeit, mit der die Deutschen ihre Verwandten ins Heim schicken“. Kopfschütteln auch für das, was sie „die verkorkste, verlogene Vorstellung von einer Supermutti mit einer atemberaubenden Karriere“ nennt, die in Deutschland Vorbild sei. Und sie spottet über die verbreitete Praxis, „faulende Äpfel zum Goldpreis im Biosupermarkt zu erwerben“.

Spott ereilt die deutschen Kämpferinnen für Frauenrechte? In Russland habe schon die Oktoberrevolution zur Befreiung der Frauen geführt. „Es gab schon viele Pilotinnen in der Sowjetunion, schon lange bevor Beate Uhse mit ihrem Fluganzug alle in Deutschland in Staunen versetzte.“ Frauen seien auf Traktoren gesessen, hätten Betriebe geführt, seien Professoren geworden. Eine Frauenquote habe es an Universitäten und in der Duma schon lange gegeben, die weibliche Form bei Berufsbezeichnungen Norm.

„Immer noch besteht kein Problem mit weiblichen Führungskräften.“ Allerdings, das räumt sie ein, obliege es den Frauen, für Kinder und Haushalt zu sorgen. Und arbeiten müssten sie auch noch. Das Bewusstsein von Gleichberechtigung sei zudem unter Putins Regime „nicht gewachsen“.

Was tun mit Wut und Spott, Unverständnis und Missverständnissen, Besserwisserei und Trotz? Davon scheint es ja in den deutsch-russischen Beziehungen eine Menge zu geben – auf beiden Seiten. Vielleicht hilft ein Wort, das dem Dalai Lama zugeordnet wird: „Wenn wir wütend sind, werden wir blind für die Wirklichkeit.“

Anna Rose

Hassliebe
Warum Deutsche und Russen nicht miteinander können

Verlag das neue Berlin
352 Seiten
Klappenbroschur
18 Euro
ISBN 978-3-360-02803-7
Zum Verlag

 

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