Der ‚Faust‘ in russischer Hand
Alexander Pavlenko, geboren in Rjasan, zeichnet „Faust I“ als Graphic Novel
#8 – Für die KARENINA-Reihe „Zwischen den Welten“ entdeckt Gemma Pörzgen bemerkenswerte Menschen, die mit Russland und Deutschland eng verbunden sind.
Eigentlich dachte der Zeichner Alexander Pavlenko, dass es unmöglich sei, aus Goethes Faust eine Graphic Novel zu machen. Doch als er das Drehbuch des Frankfurter Autors Jan Krauß las, entstanden die Zeichnungen schon vor seinen Augen. „Alle Bilder waren schon in meinem Kopf, ich habe dann alles auf das Papier gebracht“, sagt er. „Es ist vermutlich mein persönlichstes Buch.“
Das Werk aus dem Faust-Verlag ist nur eines von rund 30 Büchern, die der Illustrator stapelweise anschleppt, um mit großer Begeisterung seine zahlreichen Arbeiten zu zeigen.
Pavlenko lebt seit 1992 in Limburg an der Lahn und kam aus Russland direkt dorthin. Weil seine Frau und seine Tochter Jüdinnen sind, konnte er damals als Kontingentflüchtling einreisen. Nach dem Ende der Sowjetunion und dem Machtwechsel zu Präsident Boris Jelzin wollte er im neuen Russland nicht mehr bleiben. „Ich habe vor allem für meine inzwischen erwachsene Tochter keine Zukunft mehr gesehen“, erinnert er sich.
Eigentlich stammt Pavlenko aus der Stadt Rjasan, 200 Kilometer von Moskau entfernt. „Ich liebe meine Stadt, es war das letzte russische Fürstentum, das Mitte des 16. Jahrhunderts gegen Moskau kämpfte, die letzten Freiheitskämpfer gegen Moskau.“
Auf der anderen Seite habe die größte Ausbildungsstätte des Geheimdienstes KGB seine Heimatstadt stark geprägt. Schöner sei, dass auch der berühmte russische Kultschriftsteller Sergej Jessenin (1895 – 1925) ebenfalls aus Rjasan stamme.
Alle Türen in Moskau verschlossen
Nach dem Schulabschluss träumte Pavlenko eigentlich davon Trickfilmkünstler zu werden, doch in seiner Heimatstadt existierte keine Filmhochschule. „In Moskau gab es für gewöhnliche Leute wie mich keine Chance“, erzählt er von seinem Werdegang. „Es war in sowjetischer Zeit nur für Verwandte der Elite möglich, dort einen Platz zu bekommen.“ In der Hochschule für Kinematografie in Moskau waren alle Türen für ihn verschlossen.
So überlegte sich der junge Mann einen Umweg zum ersehnten Studium. Er absolvierte ein Lehrerstudium in Geschichte, Anglistik und Geografie und arbeitete zunächst als Dorflehrer. Dank des Diploms konnte er in Moskau die gewünschten Kurse in Trickfilmkunst bei den von ihm verehrten Meistern belegen, darunter auch der Regisseur Fjodor Chitruk. „Da habe ich ein Loch in der Mauer gefunden.“
„Ich wollte Trickfilmzeichner oder Regisseur sein, aber das hat leider nie geklappt.“ Denn nach kurzer Tätigkeit im Moskauer Trickfilmstudio vernichteten Anfang der 1990er-Jahre die Wirtschaftskrise und die Umbrüche der Gesellschaft nach dem Ende der UdSSR alle russischen Trickfilmstudios, sagt Pavlenko. „Da ist alles wie in einer Minute zerplatzt.“ Von da an begann der Zeichner sein Geld mit Buchillustrationen zu verdienen, zunächst für Abenteuergeschichten und Science-Fiction-Romane.
Auch nach seiner Ausreise nach Deutschland setzte Pavlenko diese Zusammenarbeit mit russischen Verlagen fort. Gleichzeitig fasste er als Grafikdesigner in Deutschland Fuß und pendelte von Limburg aus mit der Regionalbahn täglich zu einer Firma in Frankfurt am Main. So gelang es ihm, die Gebrauchsgrafik und seine künstlerische Tätigkeit ebenso zu verbinden wie die neue und die alte Heimat.
Der Traum von der Trickfilmkunst blieb jedoch ausgeträumt. Der Markt in Deutschland war noch kleiner als in Russland und die Chancen gleich null, lernte Pavlenko schnell. „Es gab nur ein Studio in Berlin und es wurde sehr schlecht bezahlt. Die Situation war noch schlimmer als in Russland.“ Da hätte er schon nach Kanada oder in die USA weiterziehen müssen. Er blieb aber in Limburg.
Erfolgreich in Limburg
Aber von dort aus baute er die Kontakte nach Moskau und nach St. Petersburg weiter aus. An der Newa arbeitete er mehrere Jahre mit dem Russischen Museum in verschiedenen Projekten zusammen. 2014 gab es eine Ausstellung seiner Zeichnungen im Staatlichen Kunstmuseum von Rjasan. Zahlreiche Buchprojekte kamen zustande, auch mit Verlagen in Frankreich und anderswo in Europa.
Aber die Zusammenarbeit mir russischen Partnern stieß immer wieder an Grenzen. Ein Werk über das Privatleben von Katharina der Großen erschien zwar auf Deutsch, aber gerade, als es auf Russisch fertig wurde, hatte der Präsident Wladimir Putin verkündet, dass Katharina die Große seine Lieblingszarin gewesen sei. „Es war also ein unpassender Moment für unser Buch.“
Die russische Ausgabe platzte aus Sorge, sie könnte als Beleidigung der Zarin gesehen werden. „Auf Deutsch war das Buch erfolgreich, wenn auch etwas provokativ, denn meine Zeichnungen bewegten sich an der Grenze von Kunst und Erotik“, sagt Pavlenko. „Wir hatten die visuelle Bildsprache der Jahrhundertwende mit der modernen Sprache verbunden, wie eine Art Spiegelbild.“
Solche Erfahrungen in Russland wiederholten sich, eine Ausstellung mit seinen Zeichnungen aus dem jüdischen Schtetl kam nicht zustande. Auch eine Biografie über den „Marquis de Sade“ war in Moskau ebenfalls zu heikel. „Ich habe deshalb heute weniger Projekte mit Russland“, sagt der Zeichner.
Aber auch auf Distanz pflegt er seine Freundschaften in Russland weiter. „Ich unterscheide zwischen dem politischen System und den Menschen, das war schon in der Sowjetunion so.“
Wegen der Corona-Pandemie und den erschwerten Reisebedingungen ist Pavlenko länger nicht mehr in der alten Heimat gewesen. In Rjasan leben seine alte Mutter und die Schwester, die er gerne bald wieder besuchen will. Vielleicht im Sommer.
Im Faust-Verlag erscheint als nächstes die Erzählung von E.T.A. Hoffmann „Meister Floh“ mit seinen Zeichnungen. Außerdem hofft er darauf, dass der Verlag sich auch noch für die Herausgabe des „Faust II“ als Graphic Novel entscheidet. Das Buch sei in Deutschland nicht so beliebt, sagt Pavlenko erstaunt. Dabei entstehen in seinem Kopf bereits die Bilder zur Dichtung.
Faust
Graphic Novel von Alexander Pavlenko und Jan Krauß nach Goethes FAUST I