Blick über den Tellerrand

Das Journal WeltTrends präsentiert die russische Sicht auf die Beziehungen zwischen dem Kreml und der Welt

WeltTrends Februar 2021

Das außenpolitische Journal WeltTrends beklagt die „oftmals einseitigen Behandlung ‚russischer Themen‘ in vielen deutschen Medien“. Mit einem Schwerpunkt über Moskaus Außenpolitik in der Februarausgabe möchte die Redaktion zu einer „intensiveren Diskussion über die russische Außenpolitik und zu einem besseren Verständnis dieses Landes beitragen“. Es schreiben ausschließlich russische Autorinnen und Autoren. Man will über den Tellerrand schauen. Das ist in der Tat nie ein Fehler.

Es beginnt fulminant. Der anerkannte Außenpolitikanalyst Dmitri Trenin vom Carnegie Moscow Center setzt zwei Punkte: Er räumt ein, dass der russische Staat innenpolitisch „den Interessen einer zahlenmäßig geringen Elite“ diene, welche „die Ressourcen des Landes für persönliche und Gruppenzwecke nutzte“. Die Gruppe, die mit Putin an die Macht kam, habe sich, so Trenin, nicht ohne Spott, „als wenig widerstandsfähig gegenüber materiellen Versuchungen“ erwiesen.

Außenpolitisch sei das Land als „Großmacht in die globale Arena zurück“. Belege sieht Trenin in Syrien und Libyen. Dem Eindruck, Russland habe sich von Europa ab- und China zugewendet, widerspricht Trenin. Er sieht eine Wende Russlands zu sich selbst. „Tatsächlich war es eine Wende Russlands zu sich selbst, die Suche nach einem stabilen Ruhepol, der in einem sich schnell verändernden globalen Umfeld Stabilität ermöglicht.“

Trenin spart nicht an Kritik an Russland: Die Politik gegenüber der EU habe nationalistischen Kräften geholfen; das bezeichnet er als Fehler. Militärpolitischen Schritte Moskaus in der Ukraine „hauchten der NATO neues Leben ein und trugen dazu bei, dass Russland wieder als militärischer Feind des Westens wahrgenommen wird“. Die russische Angst vor dem Aufstieg der NATO nennt er „ungerechtfertigt“. Die Erfolge allerdings seien unbestreitbar, „aber sie waren nicht billig zu haben“, vor allem nicht ohne erneute Konfrontation mit den USA. (Der Beitrag ist auch auf KARENINA zu lesen.)

Keine Dialogbereitschaft bei der EU

Wladislaw Below, Wissenschaftlicher Direktor des Europa-Instituts der Russischen Akademie der Wissenschaften, öffnet die Augen dafür, wie und warum der Dialog zwischen Russland und dem Westen gestört ist. Mit der Krim verbindet Below keine völkerrechtswidrige Annexion. Ursache für den Krieg im Südosten der Ukraine sei ein „Staatsstreich in Kiew“. Die Vergiftung von Sergei Skripal 2018 nennt er „Vorfall in Salisbury“, und in der Causa

Nawalny, eher eine Causa Putin, sieht er „unbegründeten Anschuldigungen aus Berlin und Brüssel“.

Below bedauert, dass Putins Idee eines gemeinsamen Wirtschaftsraums von Lissabon bis Wladiwostok, geäußert 2010, nicht verfolgt worden seien. Erwartungen an die EU-Ratspräsidentschaft hätten sich nicht erfüllt, sie habe für die Beziehungen zwischen Russland und der EU keine Impulse gegeben. Realistisch erwartet Below auch in diesem Jahr keine Bereitschaft der EU, Russland entgegenzukommen. (Auch dieser Beitrag ist auf KARENINA zu lesen.)

Keine Fortschritte zu erwarten

Interessant auch die Eingangsthese von Pawel Iwanow über die Beziehungen zwischen Russland und den USA: „Mit dem Amtsantritt von Präsident Obama und seiner Regierung im Jahr 2009 wurde der friedliche Dialog unterminiert.“ Der Zustand der Beziehungen erinnere „an den Kalten Krieg“.

Wer daran die Schuld trägt? Iwanow verweist darauf, dass die Vereinigten Staaten aus dem INF-Vertrag ausgestiegen seien, zuvor aus dem ABM-Vertrag zur Begrenzung von antiballistischen Raketenabwehrsystemen, zuletzt aus dem multilateralen Vertrag über den Offenen Himmel (Open Skies). Die Begründungen dafür werden nicht diskutiert, nicht einmal angesprochen, lediglich der Vorwurf der Gegenseite benannt, Russlands habe gegen seine Verpflichtungen verstoßen.  „Der derzeitige Zustand der US-amerikanisch-russischen Beziehungen lässt einfach keine Fortschritte erwarten. Mit dem neuen Präsidenten Biden und seinem Team wird dieser Status leider weiter bestehen.“

Das Heft enthält weitere Beiträge über Russland und China sowie Russland und Iran. Es ist insofern interessant, als es statt der einseitig westlichen die subjektive russische Sicht präsentiert. Dadurch wird der Zustand der Diskussionskultur allgemein erkennbar.

Auf beiden Seiten gibt es Gruppen, die den Dialog einfordern. Aber danach kommt nicht viel – außer die Wiederholung der leidlich bekannten Vorwürfe an die andere Seite. Wer Verständigung will, muss das offenbar aushalten.

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