Katerfrühstück mit Caecuber
Wie Michail Bulgakow als kulinarischer Dichter den Mangel im Stalinismus anprangerte
#26 – Peter Peters Zunge macht ihn zu einem wahren Kenner der Kochkunst und einem Meister des geschliffenen Worts. Für KARENINA schmeckt der Gastrosoph der russischen Küche nach.
„Zum Teufel mit Deinen gelehrten Worten. Übersinnlich oder nicht – was macht das schon? Ich habe Hunger!“
Und sie zog den Meister bei der Hand zum Tisch.
Pontius Pilatus lässt Judas durch einen römischen Geheimdienstoffizier ermorden, um sein schlechtes Gewissen wegen der nicht verhinderten Kreuzigung Jesu zu beruhigen. Michail Bulgakow hat in seinem 1928 – 40 verfassten, aber wegen Zensurproblemen erst postum erschienenen Roman „Der Meister und Margarita“ nicht nur die Passion Christi umgeschrieben. In seinem virtuosen literarischen Vexierspiel verschlingen sich biblische Handlungsstränge mit den zauberischen Possen mephistophelischer Gestalten wie dem sprechenden Kater Begemot im Moskau der Stalinzeit. Die Protagonistin Margarita ist dem gemütskranken Meister, dem faustischen Dichter eines sich dahinziehenden Pilatusromans verfallen. Nach einem Hexenritt präsidiert sie einem ebenso orgiastischen wie makabren Teufelsball, dessen Champagner-Luxus plakativ vom bürokratischen sozialistischen Alltag absticht. In einer surrealistischen Erlösungsvision fliegt das Paar schließlich der Idylle ewiger Befreiung und Eintracht entgegen.
Dieser phantastische Schlüsselroman erweist Bulgakow als Meister der verklausulierten Kritik am Stalinismus. Neben den großen weltanschaulichen, philosophischen und theologischen Fragen ist sein Buch mit erfrischend satirischen Alltagsszenen gespickt. „Durch Moskau kriechend, starb ich fast vor Hunger“, hatte Bulgakow in seinen Erinnerungen „Nackte Zeiten“ über das Jahr 1921 geklagt. Die zwei Literaten, die sich bereits auf der ersten Seite an einem heißen „grauenvollen Maiabend“ beim Patriarchenteich an einem Getränkekiosk mit der Aufschrift „Bier und Wässer“ treffen, erleben die Mangelwirtschaft beim Trinken:
„Ein Mineralwasser“ bat Berlioz.
„Keins da“, entgegnete, unergründlicherweise beleidigt, die Frau im Kiosk.
„Bier?“ krächzte Besdomny.
„Kommt erst später“, sagte die Frau.
„Was ist denn jetzt zu haben?“ fragte Berlioz.
„Aprikosensprudel, ist aber warm.“
„Na dann her damit, her damit!“
Der Aprikosensprudel schäumte gelb und reichlich, die Luft roch nach Friseursalon. Den Durst gestillt, nun aber vom Schluckauf gepeinigt, zahlten die beiden Literaten.
Delikatessen in Stalins Reich: Für wen?
Bulgakow liebt es, kulinarische Miniaturen, die den Connaisseur verraten, in sein Werk einzuflechten. Damit gelingt es ihm subtil, das System wegen Privilegien der Apparatschiks und der gleichzeitigen Vernachlässigung elementarster Bedürfnisse anzuklagen. Ein slapstickartiges Paradebeispiel ist der Mundraub-Tumult im Devisenladen, wo ein Verkäufer „einen fettig schwitzenden rosa Lachs aus seiner schlangensilbrigen Haut schält“. Der diabolische Kater, der sich kurzfristig in einen Fettwanst verwandelt, frisst Mandarinen mit der Schale, bringt einen Schokolade-Eiffelturm zum Einstürzen, verschlingt die Tafeln samt Goldpapier und spuckt, wieder ganz Kater, Heringsschwänze aus, bevor er das Etablissement in Brand steckt. Ein kubistischer Kunde, ein würfelförmiger Ausländer im lila Luxusmantel fällt vor Schreck ins Heringsfass, so dass eine Salzfontäne nach oben schießt.
Kritik an bourgeoisen Privilegien scheint für den Gourmet Bulgakow manchmal eher als trickreicher Vorwand zu dienen, eine nicht nur kulinarische Gegenwelt individueller Selbstverwirklichung aufscheinen zu lassen. So belauscht er im Restaurant Gribojedow des Schriftstellerverbandes MassLit, „wo die Talente wie Ananasse im Gewächshaus reifen“, ein Gespräch, das es dem Autor ermöglicht, den Charme einer entrückten Hochküche zu evozieren.
„Das waren Zeiten! Nie werden alte Moskauer das berühmte Gribojedow vergessen! Was ist schon so ein pochierter frischer Zander? Firlefanz, mein lieber Ambrosius! Aber ein Stör, ein Stör auf einem silbrigen Pfännchen, Störscheiben mit Krebsschwänzen und frischem Kaviar dazwischen? Und Œufs Cocotte mit Champignonpüree in Schälchen? Und die Drosselfilets, schmeckten die Ihnen etwa nicht? Mit Trüffeln? Und die Wachteln à la génoise? Neuneinhalb Rubel! Und der Jazz, und der zuvorkommende Service!“
Der Pakt mit den satanischen Unruhestiftern, die letzten Endes die Ungerechtigkeiten der Gesellschaft entlarven, ist auch ein kulinarischer. Die Figuren des Romans essen provozierend gut, ganz als ob die Beschaffung von Delikatessen trotz der bolschewistischen Rationierung kein Problem wäre.
Margarita stärkt sich nach dem Hexensabbat mit ihrem höllischen Tischherrn ganz selbstverständlich an einem Katerfrühstück aus gepfefferter Ananas, Austern mit Senf, Braten und Kaviar. Und der erlösende Todestrank, der sie und ihren angebeteten Meister in die Ewigkeit schickt, dürfte der elitärste Wein der Weltliteratur sein. Der Dämon Asasello zieht einen völlig verschimmelten Krug aus dunklem Sargbrokat und lässt die beiden blutroten Caecuber trinken: ein Lieblingswein der Römer. Genau derselbe, den schon Pontius Pilatus, der Prokurator von Judäa getrunken hat.