Der Graf als Kellner

Im Bestseller „A Gentleman in Moscow“ wird eine Moskauer Küche zu einem konspirativen Ort

Der ultimative Luxus: eine konspirative Bouillabaisse, deren Zutaten in Moskau gegen Geld nicht zu kaufen waren.

#9 – Peter Peters Zunge macht ihn zu einem wahren Kenner der Kochkunst und einem Meister des geschliffenen Worts. Für KARENINA schmeckt er der russischen Küche nach.

„Erlauben Sie mir“, sagte der Graf.
„Zu einem lettischen Eintopf passt
kein Wein besser als eine Flasche Mukuzani.“

Die Prinzessin der Träume – mit Troubadour, der wie Odysseus am Mastbaum stehend verzückt feenhafter Harfenmusik lauscht – schmückt die Fassade des Hotels Metropol. Dass das Majolika-Mosaik des Jugendstilkünstlers Michail Alexandrowitsch Wrubel auf eine französische Dichtung anspielte, war Programm.

Das Metropol, von einem in Lustdorf bei Odessa aufgewachsenen Architekten mit schottischem Vater und russlanddeutscher Mutter erbaut, war ursprünglich als Opernhaus und Konkurrenz zum benachbarten Bolschoi-Theater geplant. Nach einem Brand wurde es 1905 als Luxushotel eröffnet, das auch internationale Gäste anziehen sollte. Von der ursprünglichen Bestimmung blieben das Mosaik und die Benennung der Bar nach dem berühmten russischen Bass Fjodor Schaljapin.

Auch sonst hatte das Haus einiges zu bieten. Elektrische Fahrstühle! Klaviere! Einen spektakulären Frühstückssaal, der mit seiner bunten Glasdecke an Pariser Nobelkaufhäuser erinnert. Und eins der elegantesten Restaurants der Hauptstadt.

Was machen Bolschewisten mit einem Luxushotel?

Nicht gerade ideale Voraussetzungen, um den Wandel vom Zarenreich zur Sowjetmacht zu überleben, sollte man meinen. Aber während die neue Nomenklatur aus Kirchen Schwimmhallen machte und Schlösser als feudale Relikte verrotten ließ, war sie bereit, Hotels zu requirieren und für ihre eigenen Repräsentationszwecke zu nutzen. Ballsäle konnte man in Sitzungsräume für Sowjeträte verwandeln und überhaupt ermöglichte das kollektive Wohnen auch leichtere Überwachung.

Revolutionsführer wie Lenin oder Trotzki residierten im Hotel National, im Lux wurden ausländische Kommunisten untergebracht (und umgebracht) und auch das Metropol mit seiner Nähe zur Geheimdienstzentrale Lubjanka wurde neuen Bestimmungen zugeführt. Einerseits tagten und feierten hier hochrangige Bolschewiken, andererseits wurden missliebige Personen interniert und bespitzelt. Zugleich war das Haus ein Fenster zur Welt – als 1928 auch der reguläre Hotelbetrieb wieder aufgenommen wurde, stiegen hier gerne internationale Korrespondenten ab.

In dieser brisanten Situation setzt der Bestseller „A Gentleman in Moscow“ ein, der 2016 in den USA erschien und seit 2018 auch in deutscher Übersetzung erhältlich ist. Der Autor Amor Towles hat mit dem Grafen Alexander Iljitsch Rostov einen Helden erfunden, der ebenso unerschütterlich wie entspannt an den Erziehungsidealen seiner adligen Jugend festhält und dadurch der Sowjetmacht ein Schnippchen schlägt. Da er in jungen Jahren unter seinem Namen ein sozialistisches Gedicht eines Freundes veröffentlicht hatte, wird er nicht als parasitärer Volksschädling verhaftet, sondern zur Arbeit als Hilfskellner im Metropol verdonnert, lebenslänglich.

Das Kellnergewand als Uniform

So hat er keine Chance, das Wrubel-Mosaik zu sehen oder durch Moskau zu spazieren. Dafür wird ihm das Hotel mit seiner abgeschirmten feudalen Aura zum Mikrokosmos. Es gelingt ihm, seinen Lebensstil trotz seiner beengten Mansarde weitgehend zu bewahren. Er hält sich mit Kniebeugen fit, ist mit beschlagnahmten Antiquitäten eingerichtet, liest wie ein Gast Zeitung in der Hall und trägt das von ihm selbst in Schuss gehaltene Kellnergewand wie eine Uniform mit stoischer Eleganz. Durch seine mit Bescheidenheit und Takt gekoppelten Manieren gewinnt er die Zuneigung des Personals von der Näherin Marina bis zum messerfuchtelnden Chefkoch Emile Schukowski, was auch impliziert, dass er an Champagner (ob französischer oder russischer wird nicht spezifiziert) keinen Mangel leiden muss.

Manieren und unerschütterliche Gemütsruhe, die eher britisch als russisch wirkt, sind ein Leitmotiv dieses Romans, ein anderes ist die Küche. Denn Graf Rostov ist ein Connaisseur, der die kulinarischen Erfahrungen seiner vorrevolutionäre Europareisen einbringen kann und sich somit als höchst nützlich für das Grand Hôtel erweist.

Essen als Symbol von Freiheit

Eine gründliche Einführung in die russische Kochkunst wird man von dem amerikanischen Autor nicht erwarten können, auch weil das Restaurant Bojarski trotz seines slawophilen Namens eher auf Haute cuisine als Gurkensuppe setzt. Aber Szenen wie der fiktive Ukas eines Apparatschiks, der die Entfernung sämtlicher Weinetiketten befiehlt und nur noch Rot- oder Weißwein servieren lässt, dadurch ausgehebelt wird, dass Rostov die Papstwappenprägung einer Flasche Châteauneuf-du-Pape ertastet, sind geistreich. Oder der ultimative Luxus, trotz der Mangelwirtschaft eine konspirative Bouillabaisse zu organisieren. Denn mit Geld kaufen wie im kapitalistischen Westen kann man die Zutaten nicht.

Es ist ein magisches Wunder, als der Graf seinen Küchenfreunden aus geheimnisvollen Quellen ein paar Fäden echten Safran spendiert. Essen wird so zum Symbol von Freiheit und Individualismus – und des Widerstands, und sei es anhand einer harmlosen Anthologie von Brotzitaten aus der russischen Literatur, die angesichts der durch Zwangskolchosierung hervorgerufenen Hungersnöte subversiv wirkt.

Ein antisowjetisches Märchen

Und dann gibt es in diesem antisowjetischen Märchen noch Erzählstränge mit zwei liebenswerten kleinen Mädchen, die zu Verbündeten, Schützlingen und Tischgenossinnen dieses russischen Felix Krull werden. Auch erotisch kommt der Graf in diesem Schelmenroman, der an den Film „Grand Hotel Budapest“ denken lässt, auf seine Kosten. So geht stilvolles Überleben über 30 lange Jahre – die Kunstfigur Rostov ist ein Geistesverwandter des realen ungarischen Grafen, der mit unnachahmlicher Nonchalance sein abgewetztes britisches Maßsakko im kommunistischen Alltag trug, nachzulesen im Buch „Manieren“ des äthiopischen Prinzen Asfa-Wossen Asserate.

Seit „A Gentleman in Moscow“ die Charts emporstürmte, stürmen amerikanische Touristen angeblich das Metropol. Auch deswegen, weil sie die dick aufgetragene Kalte-Kriegs-Romantik rührt, dass Schützling Sofia es ganz klischeehaft zur Starpianistin bringt und nach einem Konzert in Paris barfuß in die amerikanische Botschaft flüchtet?

Lifestyle, Jazzmusik, Mode, Eleganz in der UdSSR

Amor Towles ist ein Nostalgie-Spezialist und seine Domäne ist das mit cineastischem Blick eingefangene Milieu der swinging thirties. Nach seinem New Yorker Barfly-Debüt Rules of Civility hat er mit Moskau einen exotischeren Schauplatz gewählt. Und die Leserschaft mit Facetten verblüfft, die eher nicht mit der Sowjetunion verknüpft werden: Lifestyle, Jazzmusik, Mode, Eleganz.

Von den politischen Repressionen erfährt man in diesem operettenhaft konstruierten Kammerstück eher en passant. Fragt sich nur, warum der Graf trotz seiner dicken Personalakte nicht verhaftet wurde. War es das Verdienst des hochrangigen Bolschewiken mit der markanten Schädelnarbe, den er beim gemeinsamen Tafeln in aristokratischen Lebensformen unterrichtet hatte?

Vielleicht liefert das Betrachten der Verfilmung durch den nordirischen Regisseur und Schauspieler Kenneth Branagh die Antwort?

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