Russlanddeutsche: Zwei Kulturen als eigenes Potenzial

Der Russlanddeutsche Georg Dege engagiert sich für Spätaussiedler in Berlin-Spandau

Georg Dege

#3 – Für die KARENINA-Reihe "Zwischen den Welten" entdeckt Gemma Pörzgen bemerkenswerte Menschen, die eng mit Russland und Deutschland verbunden sind.

Konrad Adenauer und Helmut Kohl waren für Georg Dege schon in jungen Jahren wichtige Vorbilder. "Beide Politiker haben sehr viel für Russlanddeutsche geleistet", sagt er. Die Verehrung für die beiden Bundeskanzler bewog den Spätaussiedler 2005 dazu, in die CDU einzutreten, die bis heute seine politische Heimat ist. Erst ein Jahr zuvor war der 18-Jährige mit seiner Familie aus dem Kaliningrader Gebiet nach Deutschland gekommen. Heute ist Dege Aussiedlersprecher für ganz Berlin und sitzt im Landesvorstand der CDU.

Neben der Arbeit an seiner Promotion kandidiert der 33-Jährige gerade für die Bezirksverordnetenversammlung in Spandau, wo er sich seit vielen Jahren für die Belange seiner Leute stark macht. Rund 20 000 Russlanddeutsche leben in Spandau und es gibt ein reges Kulturleben in den Vereinen. "Viele können jetzt nicht mehr zusammenkommen", sagt Dege über die Schwierigkeiten der Corona-Zeit. Gerade für die Älteren sei es schwer, auf die Treffen sowie das gemeinsame Singen und Tanzen zu verzichten.

Russland bleibt ein Teil von mir

Wie viele Russlanddeutsche hat Dege zwei Pässe, was ihm auch die Reisen zwischen beiden Ländern erleichtert. "Ich bin jedes Jahr ein bis zwei Mal in Russland, mal in Moskau, mal in Kaliningrad", sagt er. "Das sind meistens private Reisen." Er bedauert, dass er nun wegen Corona zunächst nicht mehr fahren kann.  Zum Glück sei es heute dank Whatsapp, Telegram und Instagram viel leichter, in Kontakt zu bleiben. "Die enge Verbindung nach Russland, die bleibt ein Teil von mir", sagt Dege. Das zeigt sich auch daran, dass sein Lieblings-Fußballverein bis heute Spartak Moskau ist.

Unvergessen sind für ihn seine Kindheitserinnerungen. Die Familie lebte auf einem alten ostpreußischen Gutshof, der früher einmal Deutschen gehört hatte, nicht weit von Polessk (bis 1946 Labiau), unweit des kurischen Haffs. "Ostpreußen war auf unserem Hof überall noch präsent", erinnert sich Dege.

Sein jüngerer Bruder und er gruben unzählige alte Hufeisen mit deutschen Inschriften aus, aber auch Alltagsgegenstände, die frühere Besitzer offenbar vor ihrer Flucht vergraben hatten. "Es war fast schon wie eine archäologische Stätte." Es faszinierte ihn, was die Jungen dort Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg noch ausgruben. "Auch zerbrochene Teller und anderes Geschirr lagen dort noch in der Erde."

Alltag mit russischen und deutschen Traditionen

Schon damals erwachte bei Dege das rege Interesse an deutscher und an ostpreußischer Geschichte. Er besuchte in Kaliningrad das Marine-Lyceum und erlebte das frühere Königsberg als lebendige russische Stadt mit deutschen Wurzeln.

Deges Vater war Russlanddeutscher, die Mutter russischstämmig, und zuhause wurde Russisch gesprochen. "Deutsch war meine erste Fremdsprache in der Schule", so Dege. Fast jeden Sonntag ging der Junge in den deutsch-evangelischen Gottesdienst. "Da haben wir auf Deutsch gesungen."

Die Eltern sorgten dafür, dass russische und deutsche Traditionen den Alltag prägten. So wurde das evangelische Weihnachten ebenso gefeiert wie einige Wochen später das orthodoxe Weihnachtsfest.

Ausreise nach Deutschland

Im Juli 2004 reiste die Familie nach Deutschland aus. Der Abschied von der alten Heimat fiel schwer, obwohl Dege schon immer wusste, dass die Familie eines Tages nach Deutschland ausreisen würde. Das Antragsverfahren lief über mehrere Jahre.

Nach der Ankunft im Aufnahmelager Friedland zog die Familie nach Berlin-Spandau, wo bereits russlanddeutsche Verwandte lebten. "Berlin kannte ich schon von einem früheren Besuch", sagt Dege. Deshalb war der 17-Jährige auf das neue Leben in Deutschland bereits etwas vorbereitet. "Das erste Jahr war sehr anstrengend, weil das Deutsch, das ich gelernt hatte, war doch ganz anders als das, was man in Berlin im Alltag verwendet."

Eintritt in die CDU

Freunde und Bekannte unterstützten ihn dabei, eine Schule zu finden, um sein Abitur zu machen. Im Anschluss studierte Dege Politikwissenschaft in Berlin und war politisch in der CDU aktiv.

"Ich wusste, dass die CDU gegenüber Russland skeptischer dasteht als die SPD", sagt Dege. Gerade deshalb versuche er in der Partei ein anderes Bild seiner zweiten Heimat zu vermitteln als das, was man in der Union gewohnt sei.

Die Zeit rund um die Ukraine-Krise 2014/15 sei besonders schwierig gewesen. "Die Abkühlung der Beziehungen hat mich natürlich betroffen", sagt Dege. Die meisten Russlanddeutschen seien eher mit dem Handeln des russischen Präsidenten Putin einverstanden gewesen und kritisch gegenüber Merkel. "Dazu kam noch die Flüchtlingskrise ein Jahr später." Als CDU-Politiker sei es damals besonders schwierig gewesen, zwischen den unterschiedlichen Positionen zu vermitteln. "Ich habe darauf gesetzt, zunächst abzuwarten, wie es weitergeht mit beiden Ländern."

Dass er sich zwei Kulturen zugehörig fühle, werde von einigen Leuten als Identitätsproblem gesehen. "Ich sehe darin eher ein Potenzial in jedem Russlanddeutschen", sagt Dege. "Wir verstehen beide Kulturen und verstehen mehr als zwei Sichtweisen." Das Leben in Berlin habe ihn dazu gebracht, auch anderen Kulturen gegenüber offen zu sein. Hinzu komme, dass sein Leben in Deutschland ihm die Möglichkeit geschenkt habe, viel mehr zu reisen als Menschen in Russland.

Glück, in einer offenen Gesellschaft zu leben

Die jüngere Generation der Russlanddeutschen sei sehr viel offener als die ältere, die noch sowjetisch geprägt sei. "Die erste Generation von Russlanddeutschen ist sehr gebeutelt, was die geschichtlichen Ereignisse angeht, hat sehr viel Schweres erlebt." Auch der Sozialismus habe sie sehr geprägt. "Wir hatten das Glück, in einer offenen Gesellschaft zu leben", sagt Dege über die jüngeren Russlanddeutschen, die oft liberaler dächten als ihre Eltern.

"Gerade zwischen Deutschland und Russland sollte ein gutes Verhältnis herrschen, weil diese geschichtliche Bindung für immer bleibt", wünscht sich Dege. Beide Länder blieben im Guten wie im Schlechten miteinander verbunden. "Das ist wie in einer Familie, wenn man sich gestritten hat – da findet man auch wieder zurück." So sehe er auch das Verhältnis beider Länder zueinander. "Wir gehören zu einer europäischen Familie."

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