Deutsche Sprache, leichte Sprache

Die Übersetzerin Irina Alexejewa hat Hesse und Jelinek erst durch ihr Handwerk schätzen gelernt

Liebt die deutsche Sprache: die russische Übersetzerin Irina Alexejewa

#6 – Für die KARENINA-Reihe „Zwischen den Welten“ entdeckt Gemma Pörzgen bemerkenswerte Menschen, die mit Russland und Deutschland eng verbunden sind.

„Mir schien Deutsch immer schon eine sehr leichte Sprache zu sein“, sagt Irina Alexejewa, die als eine der wichtigsten Übersetzerinnen vom Deutschen ins Russische gilt. Sie stammt aus Jekaterinenburg im fernen Ural, und ihre Eltern hatten schon in ihrer frühen Kindheit entschieden, dass sie Deutsch lernen sollte. Unter den Lehrern an der Schule seien viele Russlanddeutsche gewesen, aber inspiriert habe sie ihr Großvater, der die deutsche Literatur liebte. „Ich finde die deutsche Sprache sehr schön und musikalisch“, sagt Irina. Sie sei sehr harmonisch für die Poesie.

Schon mit zwölf Jahren war Irina klar, welchen Beruf sie einmal ausüben wollte. „Ich habe ständig Gedichte übersetzt.“ Auch andere Sprachen fielen ihr leicht, sie lernte nebenher Bulgarisch und Polnisch. In der Pubertät fand sie viele Übersetzungen geliebter deutscher Dichter nicht so recht gelungen, sodass die 16-Jährige damit begann, die Verse von Johann Wolfgang von Goethe oder Heinrich Heine selbst ins Russische zu übertragen. „Vieles schien mir zu pathetisch zu sein, die Sprache nicht stimmig“, erinnert sie sich. „Deshalb wollte ich anders übersetzen und habe es ständig und überall getan.“

Heute blickt die 68-Jährige auf ein reiches Berufsleben in der Übersetzungskunst zurück. Lange war sie eine Praktikerin, die simultan dolmetschte oder wichtige Gesetzestexte, auch das deutsche Grundgesetz, für Juristen ins Russische übertrug. Doch schon im Studium weckte ihr Professor und späterer Doktorvater Andrei Fjodorow (1906 – 1997) das besondere Interesse an der Theorie des Übersetzens. Er hatte 1953 in Russland das erste Standardwerk darüber verfasst. Diese wissenschaftliche Beschäftigung wurde zu Irinas zweiter Leidenschaft neben der Literatur.

‚Wen du übersetzt, der wächst dir ans Herz‘

Auf die Frage, wer ihre deutschen Lieblingsschriftsteller sind, antwortet die Übersetzerin nur zögerlich. „Ich liebe vor allem Gedichte und verehre Christian Morgenstern und dessen einzigartigen Blick auf die Welt.“ Mit Leidenschaft liest sie neue Literatur und ist neugierig, bisher unbekannte Werke kennenzulernen. Sie finde es schön, bestimmte Bücher zu genießen, ohne sie übersetzen zu müssen. „Mir gefällt vor allem auch die frühe deutsche Literatur, beispielsweise Grimmelshausen oder die Lyrik des Barock.“

Ihr Beruf sei eben eine besondere Profession. „Wen immer du gerade übersetzt, er wächst dir ans Herz“, ist Irinas Erfahrung. Die Hälfte der Autoren suche sie selbst aus, die andere Hälfte werde ihr von Verlagen vorgeschlagen. Über diese Beschäftigung mit der Sprache habe sie nicht nur zu Deutschland, sondern auch zur Schweiz und zu Österreich eine enge Beziehung.

Gerade arbeite sie an der Übersetzung eines Romans des Schweizer Schriftstellers Paul Nizon ins Russische. „Darüber habe ich mich sehr gefreut, denn die Begegnung mit ihm persönlich ist mir ebenso angenehm wie seine Literatur.“ In Russland hat Irina unter anderem die Werke von Hermann Broch, Gottfried Keller oder Gerhart Hauptmann übersetzt.

Hesse, Jelinek? Mochte Alexejewa zunächst nicht

Allerdings sei es keineswegs so, dass Übersetzer immer mit Werken zu tun hätten, die sie selbst von Anfang an schätzten, wendet Irina ein. So habe sie Hermann Hesse zunächst sehr ungern gelesen, später aber dennoch seine Märchen und andere Texte übersetzt. „Das war eine sehr interessante Erfahrung: Ich habe erst durch die Übersetzung begriffen, wie Hesses Erzählweise funktionierte.“ Dieses Verständnis sei in gewisser Hinsicht vielleicht sogar mehr als die Liebe zu einem bestimmten Schriftsteller.

Auch mit der österreichischen Schriftstellerin Elfriede Jelinek sei es zunächst ähnlich gewesen, nachdem deren Verlag die beiden in Wien Anfang der 1990er-Jahre zusammengebracht hatte. Nach der ersten Lektüre lehnte Irina eine Übersetzung ins Russische ab. „Ich sollte ‚Die Klavierspielerin‘ übersetzen und andere Texte, aber ich mochte das nicht“, erzählt Irina. „Sie haben mir weiter die neuen Bücher zugeschickt, ich habe sie aufmerksam gelesen, aber immer abgesagt.“

Erst der Roman „Oh Wildnis, oh Schutz vor ihr“ führte zu einem Sinneswandel und packte die Übersetzerin. „Das hat mich interessiert, ich habe es dann übersetzt und war völlig fasziniert, auf welchem Niveau Jelinek arbeitet.“ Plötzlich habe sich ihr erschlossen, warum die Autorin 2004 den Literaturnobelpreis bekommen habe. „Das war ein großartiger, völlig neuer Weg einer Schriftstellerin im 20. Jahrhundert.“ Von da an übersetzte Irina weitere wichtige Werke aus Jelineks Frühwerk ins Russische.

‚Die russische Gesellschaft liebt die deutsche Kultur‘

Die Professorin für Übersetzungswissenschaft an der Universität in St. Petersburg beeindruckt mit ihrer Vielfalt an Aktivitäten. So hat sie landesweit in Kursen und Meisterklassen zahlreiche junge Übersetzer unterrichtet. „Ich war überall, von Kaliningrad bis Archangelsk bis nach Wladiwostok.“ In den 17 Lehrbüchern, die Irina verfasst hat, widmet sie sich der Theorie und Praxis des Übersetzens oder deren Methodik.

An der St. Petersburger Höheren Schule für Übersetzung bildet Irina seit Jahren Dolmetscher aus, die in internationalen Organisationen wie den Vereinten Nationen und im russischen Außenministerium zum Einsatz kommen. Auch wenn in Russland seit dem Jahr 2000 das Interesse an Deutsch zugunsten von Englisch zeitweise zurückgegangen sei, bleibt die Fachfrau optimistisch: „Seit fünf Jahren gibt es einen neuen Trend“, sagt sie. An vielen Universitäten würden deutsche Abteilungen wiederbelebt, und auch an ihrer Fakultät nehme die Zahl der an Deutsch interessierten Studenten wieder zu. „Die russische Gesellschaft liebt die deutsche Kultur“, ist Irina überzeugt.

Sie selbst war vor der Covid-19-Pandemie regelmäßig in Deutschland und ist dort mit vielen Übersetzerinnen und Übersetzern aus dem Russischen eng vernetzt. Zusammen mit Christiane Körner betreibt sie seit mehr als zehn Jahren die Deutsch-Russische Übersetzerwerkstatt, die abwechselnd mal in der Bundesrepublik mal in Russland tagt und den persönlichen Austausch über die literarische Übersetzungsarbeit ermöglicht.

Aber auch mit ihrer Familie ist die Großmutter von fünf Enkelkindern häufig privat mit dem Auto durch Deutschland gereist. „Sie finden es immer toll, dass sie mit mir keine Verständigungsprobleme erleben“, sagt die Übersetzerin schmunzelnd. Übernachtet hat sie da immer bei ihren Kollegen, von denen viele über die Jahre enge Freunde geworden sind. „Ich freue mich, dass ich da Profession und menschliches Miteinander zusammenbringen kann, das Glück hat nicht jeder.“

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