Lenin auf der Luxusinsel

Was der Bolschewistenführer bei den Caprifischern lernte und welche Folgen die dortigen Treffen mit Gorki hatten

Lenin Gorki | Nachrichten über Russland
Signore Drindrin auf Capri: Lenin und Gorki mit Fischern 1908; Gemälde von EM Cheptsov (1875-1950), 1932. Oil on canvas

Selig, wer wenigstens einmal
Wenigstens die Augen schließend
Euch alle vergessen könnte
Ihr die nutzlos seid wie eine Erkältung
Und nüchtern
Wie Mineralwasser.

Alle so langweilig, als ob
Es in der Welt kein Capri gäbe.
Aber Capri existiert
Mit seinem Heiligenschein von Blumen
Ist die ganze Insel ein Faun mit roter Haube

Wladimir Majakowski

 

Jeder ABC- oder besser kyrillisch AVG-Schütze in der Sowjetunion kannte das Foto, in jedem Leninmuseum hing es: Wladimir Iljitsch Uljanow, genannt Lenin, spielt mit Aleksandr Bogdanow auf der Terrasse von Maxim Gorkis Capri-Villa Schach, beäugt von Lenins Frau Krupskaja. Ein eigentümliches Bild großbürgerlicher Kaffeehausruhe – der Revolutionär erholt sich ausgerechnet auf der Luxusinsel! Tatsächlich hat Capri seit dem folgenschweren einwöchigen Kurzaufenthalt Lenins eine ganz eigene Beziehung zum russischen Vaterland der Werktätigen.

Die altväterliche Aeroflot-Werbung an der Talstation der Seilbahn, die sich zwischen Gucci- und Armani-Models seltsam antiquiert ausnahm, ist Anfang der 1990er-Jahre verschwunden. Doch das öffentliche Lenindenkmal von 1970 bleibt Capri erhalten, wenn auch die gewendeten Neofaschisten der Alleanza Nationale jüngst dagegen protestiert haben.

Das von der Sowjetunion gestiftete Revolutionärsporträt auf kantigem Marmorblock beherrscht einen schattigen, verborgenen Platz etwas oberhalb der Augustusgärten, wenige Schritte entfernt vom kapitalistischen Meisterwerk der Insel, der Serpentinentreppe Salita Krupp. Der Künstler der Stele war kein geringerer als der Bergamaske Giacomo Manzù, Schöpfer der Bronzetüren im Salzburger- und im Petersdom, Lieblingsbildhauer von Papst Johannes XXIII. und Leninpreisträger des Jahres 1966.

Ein schräger Ort, denn die Abgeschiedenheit lockt auch Neapels nächtliche gay community: Auf dem Marmor, der mit Graffiti beschmiert ist wie einst der römische Pasquino, lassen sich die unterschiedlichen Motive der Besucher ablesen. Sadomaso-Hardcore steht neben allerlei kyrillischen und kaukasischen Schriftzeichen, die Väterchen Lenin ihre Reverenz erweisen wollen: „Und von welchem Geld lebte Onkelchen Lenin hier???“, fragt am 1. Mai 2002 eine zierliche Frauenschrift, vielleicht genervt von den prohibitiv hohen Pensionspreisen der Insel.

Lenin im Bürgermeisteramt

Kaum einer der russischen Capripilger dürfte wissen, dass auch in den Amtsräumen des sindaco, des Bürgermeisters von Capri, eine Zeichnung des auf der Insel flanierender Lenin hängt. Gemalt hat sie ein weiterer Leninpreisträger, der große sizilianischen Maler Renato Guttuso (1911 – 1987), der Sex und sozialistischen Realismus, Boogie-Woogie, Landarbeiteraufstände und Feigenkakteen in eindringliche Bilder umzusetzen wusste.

Russen auf Capri – schon 1871 hatte Iwan Turgenjew prophezeit: „Capri ist ein Wunder [...] ein Tempel der Göttin Natur [...] der Eindruck davon wird mir bleiben bis zum Tode [...] Wisse aber, dass in kurzer Zeit, dessen bin ich sicher, die neue Generation der russischen Intellektuellen zur Insel Capri wallfahrten wird, und, wer weiß, vielleicht werden wir dort eine starke russische Kolonie von Malern und Schriftstellern sehen.“

Er sollte recht behalten: Anlaufstelle für Lenin und die zahlreiche russische Diaspora waren die äußerst gastfrei geführten Villen, die der damals schon international gefeierte Dichter Maxim Gorki während seines langjährigen Capreser Exils mietete. Der in Nischni-Nowgorod geborene Gorki („der Bittere“) hatte sich nach schwerer Jugend als Schiffskoch, Bierfahrer, Nachtbrezelbäcker und Wolgaschlepper durch Dramen wie Nachtasyl und Die Kleinbürger einen Namen gemacht, war aber während der Revolution von 1905 wegen umstürzlerischer Umtriebe verhaftet worden.

Aufgrund internationaler Proteste von der zaristischen Regierung freigelassen, suchte er zunächst mit seiner Lebensgefährtin Marija Fedorowna Andrejewa in den USA Asyl, sah sich aber bald durch die puritanischen Mäkeleien an seiner „wilden Ehe“ genervt. Von 1906 bis 1913 fand er auf Capri, das auch seiner Lungenkrankheit guttat, sein Jasnaja Polja, wo Bücher wie Die Mutter und Meine Kindheit entstanden.

Nach der hochfeinen Anlaufadresse des Grand Hotel Quisisana und der nach einem griechischen Capreser Poeten getauften Villa Blaesus-Settani (heute Hotel Krupp) mietete er die auffallend rostrot gestrichene Villa Behring, an deren Fassade noch heute eine Plakette an den Besuch Lenins erinnert.

Gorki hält Hof in der Villa Behring

Schwarzweißfotos zeigen den militärisch-bäuerlich kurzgeschorenen Poeten mit dem stattlichen Schnauzer meist in entspannten Posen und Kleidern, die sich von den muffigen Bratenröcken der ihn besuchenden russischen Intelligentsia abheben: Den schwarzen Kalabreserhut tief in die Stirn gedrückt und in ein Cape gehüllt, karikiert er mit gezückter Pistole die 1848er-Revolutionärstracht kalabresischer Briganten, in weißer Hose, weißen Schuhen und aufgekrempeltem Baumwollhemd entspannt er sich ganz à la grand tourisme.

Gorki hielt großes Haus, und so kam es immer wieder zu seltsamen Begegnungen. Welten prallten aufeinander, als Rainer Maria Rilke, ganz ästhetischer Elegant, dem Proletarierdichter 1907 seine Aufwartung machte. Der Deutschprager, den Capri zu elegischen Gedichten wie „Uraltes Wehn vom Meer“ inspirierte, stieß sich deutlich daran, dass Gorki zu sehr den „Demokraten herauskehrte“, nach Rilkes Meinung für Künstler und Russen, deren Stärke die Geduld sein müsse, völlig unpassend: „Sie kennen meine Meinung, dass der Revolutionär dem Russen direkt entgegengesetzt ist.“ Treffsicherer war Rilkes Analyse der eigentümlichen Emigrantenstimmung, die für die touristischen Schönheiten der Insel und die lockenden Verheißungen mediterraner Entspannung kaum ein Auge zu haben schien.

Merkwürdig war die Atmosphäre namenloser, anonymer Égalité, in die man geriet, sobald man an dem runden Tisch Platz nahm. Es war wie ein Jenseits, in dem diese Verbannten verweilten, und ihre Augen schienen nach der Erde zurückgewendet, die Russland ist und wohin zurückzukehren so ganz unmöglich erscheint.

Gorkis „Schule von Capri“

So bildete sich in Capri um Gorki einer der wichtigsten russischen Emigrantenkreise, der in der Gründung der „Schule von Capri“ gipfelte. Die Nietzschesche Idee eines süditalienischen Philosophencercles wurde besonders von Exulanten wie Aleksandr Bogdanow, dem späteren Gründer des Proletkults und Herausgeber der ersten Sowjetenzyklopädie, in einer Art freier Parteiakademie umgesetzt. In lockerer Folge schauten hier Männer wie der spätere KGB-Gründer Feliks Dzerschinski, Startenor Fjodor Schaljapin und der gelehrte Anatol Lunatscharski, erster Volkskommissar für das Bildungswesen, vorbei; auch Rosa Luxemburg und Trotzki wurden um Mitarbeit gebeten.

Eine Einladung, eventuell dort zu lehren und zugleich die Aussicht, wieder einmal Richtungskämpfe zu bestimmen, bewogen den sonst pflichtbewusst im Dienst der Sache in braven Städten wie Zürich oder München publizierenden und agitierenden Berufsrevolutionär Lenin im April 1908 zur Fahrt gen Süden: "Hol‘s der Teufel, es ist ungeheuer verlockend, zu Ihnen nach Capri zu kommen!"

Ganz patriotisch verlief der Empfang am kleinen Hafen: dem von der Schifffahrt bleichen Lenin wurde ein russisches Lied zur Begrüßung geschmettert, und Gorkis einheimischer Koch Cataldo versuchte sich an Piroggen. Doch die scheinbare Harmonie trog: Nicht nur, dass Lenin ziemlich verschnupft gewesen sein soll, dass er das Schachspiel verlor, auch sonst sagte ihm das Schwärmerische des eher aus Künstlern und Literaten bestehenden Caprikreises nicht zu.

Capri als Wegscheide des Bolschewismus

L'altra rivoluzione, die andere Revolution, wie es Vittorio Strada, langjähriger Leiter des italienischen Kulturinstituts in Moskau, in einem Standardwerk formuliert hat, blieb durch Lenins ideologische Ablehnung Utopie. So wurden die kurzen Tage auf Capri entscheidend für die weitere Entwicklung der Bolschewistischen Partei zur strengen Kaderschmiede.

Gorkis eher idealistischer Weg, in einer Sommerakademie freier Menschen eine Gegengesellschaft zur Repression des Zarenregimes zu schaffen, behagte dem puritanischen Revolutionär Lenin nicht, der das für utopische Linksabweichlerei hielt. So ging in den Diskussionen von Capri die sozialdemokratische-menschewikische Option der russischen Revolution, der Sozialismus mit menschlichem Antlitz baden.

Doch bei aller ideologischen Strenge genoss Lenin das für einen Kommunisten politisch-korrekte Vergnügen, sich unter die elitärsten und malerischsten Proletarier des Weltkreises zu mischen. Denn wo gab es solche Volkstypen wie hier, um ein Revolutionärsherz ins Schwärmen zu bringen? Echte Caprifischer, frei und wild, barfuß und trotzig, stolze, mit den Elementen vertraute Naturkinder: die perfekte Gegenwelt zur angekränkelten internationalen Bourgeoisie der großen Hotels, die ihrerseits ja auch die freien Inselkinder mit den so antik wirkenden Profilen anschwärmte.

Lenin lernt angeln – mit den Fingern

Er sprach nicht italienisch, aber die Fischer von Capri, die Schaljapin und viele andere bedeutende Russen gesehen hatten, räumten Lenin sofort eine herzliche Stellung ein. Der alte Fischer Giovanni Spadaro sagte von ihm: „So lachen kann nur ein ehrlicher Mensch.“

In einem schwankenden Nachen, auf blauen und wie der Himmel durchsichtigen Wogen, lernte Lenin „mit dem Finger“ angeln – mit der Schnur ohne Angelrute. Die Fischer erklärten ihm, er müsse anziehen, wenn der Finger ein Zucken der Schnur verspüre.

Così: drin-drin...capisci?

Er zog auch sofort an, holte den Fisch herauf und rief mit der Freude eines Kindes, mit dem Eifer eines Jägers: „Aha! Drin-drin!“

Die Fischer brachen gleichfalls in kindlich-fröhliches schallendes Gelächter aus und nannten diesen Fischer „Signore Drindrin“.

Als er fort war, fragten sie immer: „Wie geht es Signore Drindrin? Der Zar hat ihn doch nicht gefangen, was?“

Der Caprifischer und die rote Mütze

Zu diesen Erinnerungen Gorkis ist zweierlei anzumerken. Signore Drindrin dürfte übersetzt nicht Signore Bimmel-Bimmel bedeuten – drindrin ist in Lexika des Hochitalienischen der Laut der Fahrradglocke – sondern dialektal für trainare (ziehen) sein. Und der alte Fischer Giovanni Spadaro ist nicht irgendwer, sondern der berühmteste Caprifischer aller Zeiten. Selbst am Uhrturm der Piazzetta hat die Comune di Capri mittlerweile eine Gedenktafel für den legendären marinaio angebracht.

Giovanni Spadaro, hochgewachsen, muskulös-ausgemergerlt, mit schulterlangem Haupthaar und schlohweißem Vollbart, oft barfüßig, doch mit stolzem, freiem Blick und Meerschaumpfeife, war über Jahrzehnte Italiens meistfotografiertes Fotomodell. Jeder wollte von dem „malerischen“ Fischer in die Blaue Grotte gerudert werden. Myriaden von Schwarzweiß-Postkarten zierte sein Profil und was er sagte, galt als Orakel.

Giovanni Spadaro, das war die Perfektion des edlen Wilden, arm aber frei (wie schon in August von Platens Ode "Die Fischer von Capri"), eine lebende Capri-Ikone, die von Touristen wie Revolutionären gleichermaßen verehrt wurde. Kein geringerer als Theodor W. Adorno hat ihm einen seiner Essays gewidmet:

„Das Urbild des Fischers Spadaro sind die hundertfünfundsiebenzig Abbilder, die, auf Capri, hundertfünfundsiebenzig Maler nach dem Original gefertigt haben. Vorher war er nur da, der schlichte Mann, und half abends auf der Barchetta das Meer und dessen Fische mit seiner Laterne beleuchten wie ein Stern, weil es andernfalls zu dunkel gewesen wäre; nun ist er selber symbolisch durchhellt ganz und gar. Er hat Meer und Sterne gleichsam überflüssig gemacht. Daß Massanielo [sic!] ein neapolitanischer Revolutionär war und eine rote Mütze trug, weiß jeder Deutsche [...] die Cookgesellschaft [...] bezahlt dem Fischer ein regelmäßiges [...] Gehalt zur Anerkennung seiner Existenz und zur Hebung des Fremdenverkehrs. Als Gegenleistung trägt er gleichzeitig an verschiedenen Orten die rote Mütze, einen sorgsam verwahrlosten Shawl, einen Vollbart, der sich der wechselnden Capreser Beleuchtung anpaßt.“

Mit feiner Beobachtungsgabe für das „Kunstwerk und den Caprifischer in seiner Reproduzierbarkeit“ weist Adorno darauf hin, wie die scheinbar revolutionäre rebellische Kopfbedeckung zum touristischen Mainstreamobjekt erstarrt. Tatsächlich geht die französische Jakobinermütze auf den amalfitanischen Fischer Masaniello zurück, der 1647 recht erfolgreich zehn Tage gegen die spanische Adelsherrschaft in Neapel putschte und europaweit in Dramen und Opern gefeiert wurde. Denn der trug, wie alle Fischer früher am Golf, eine rote Mütze.

Der neue Gott des Gorki-Kreises

Habent sua fata libelli, Bücher haben ihre Schicksale. In der kühlen Bibliothek Capris in einer ehemaligen Zelle der Certosa, des Kartäuserklosters, hängt das Schwarz-Weiß-Bild eines Poeten, der nach Auskunft der jungen Bibliothekare Riccardo und Alberto deswegen zu dieser Ehre kam, weil er mit seinem Spitzbart fast wie Mussolinis Lieblingsdichter Gabriele d‘Annunzio und zugleich fast wie Lenin aussah, was verblüffenderweise tatsächlich zutrifft. Entnommen ist das janusköpfige Autorenporträt einem fast verschollenen Buch mit dem schlichten Titel L'isola Capri (Die Insel Capri), das 1913 auf Capri in italienischer Übersetzung gedruckt wurde.

Ein ukrainischer Kulturzirkel in Kanada hat die bibliophile Rarität der Capreser Bibliothek gestiftet, denn der geheimnisvolle Dichter war Ukrainer und hieß M.(ichajlo) Kotzjubynskyi (1864 – 1913). In seinem von Sonne und Bläue nahezu trunkenen Inselwerk wird ein Caprifischer zum restlos naturverbundenen quasi göttlich-archaischen Wesen, zu einem modernen Glaukos stilisiert. Der Capriproletarier als Übermensch, sieht so die vom Gorki-Kreis angestrebte Neuschaffung Gottes (bogostroitelstvo) in der Schöpfung aus?

Und Giuseppe singt – immer

Der alte Giuseppe singt immer. Er schert sich nicht um seine siebzig Jahre, nicht um seinen schwarzen zahnlosen Mund, der immer zum Gesang geöffnet ist. Die Hände, verbrannt vom Wind, ruhen auf dem Ruder, und die Ruder sind wie Flügel im Blau. Sogar die Luft scheint blau. Giuseppe singt. Hier ist er mehr der Herr als auf der Erde. Sicher überlegt er, bevor er sagt, wer ihn gebar: eine Frau oder eine Meereswoge.

Das Meer hat ihn geschmiedet wie eine Klippe, er ist rau geworden wie ein Schwamm, getränkt mit Salz wie ein starkes Tau, aber seine Seele ist blau wie das heitere Meer, und seine Augen glänzen wie Sonnenstrahlen. Er kennt alle acht Winde wie fleischliche Brüder, versteht die Sprache des Himmels und des Meeres, er fängt Fische, wie der Landmann das Korn des Feldes, als ob er selbst sie in den Tiefen des Meeres ausgesät hätte.

Mit krummem Messer, seinem treuen Gefährten, löste er von den Felsen die Muscheln und schlürfte das perlmuttene Gallert, schloss die Augen vor Vergnügen. Er verschlang lebendige Krabben, winzige Fischlein, brach mit den Zähnen die Fangarme des Polypen, der sich ihm um die Zunge schlang. Das waren seine frutti preferiti.

Giuseppe, der durch Ölflecke wie durch eine Linse dem Treiben der Fische zusieht, könnte übrigens auch der Titelheld von einem der Italienischen Märchen sein, die Maxim Gorki zwischen 1906 und 1913 auf Capri verfasste – die einzige literarische Hommage des Arbeiterdichters an das Gastland, das ihn fast zwanzig Jahre beherbergte. „Das Meer“ ist eine elegische und doch ästhetisch-tröstliche Fabel von einem Fischer, der dem Sirenenruf der Wellen lebenslang verfallen ist und schließlich, krummgeschuftet und achtzigjährig, nackt in die blaue Weite des capresischen Sommernachtsmeeres für immer hinausschwimmt:

„Der alte Giovanni Tuba hatte schon in früher Jugend das Festland um des Meeres willen verraten – diese endlose blaue Fläche, bald zärtlich und ruhig wie der Blick eines sanften Mädchens, bald stürmisch und leidenschaftlich wie das Herz einer Frau, diese Weite, die das für Fische unnütze Sonnenlicht verschlingt und aus der Vereinigung mit dem lebendigen Strahlengold nichts hervorbringt als Schönheit und blendenden Glanz, dieses arglistige Meer, dessen ewiger Gesang unwiderstehlich den Wunsch nach der Ferne hervorruft [...] angeschaut hatte er es und die salzige Seeluft eingesogen, ein Rausch hatte ihn gepackt, er war zerstreut, träge und unfolgsam geworden, wie alle, die das Meer umstrickt und zu sich ruft.“

Gorki trank, und er trank viel

Nun, Maxim Gorki, der noch 1917 Lenin als verantwortungslosen Abenteurer abqualifiziert hatte, wurde schließlich von Stalin umstrickt und zu sich gerufen: Nach Jahren eines literarisch fruchtbaren zweiten Südasyls in der Sorrentiner Villa von 1924 an nahm der Paradepoet der Sowjetunion im Mai 1933 Abschied von der Existenz eines oldtimer and revolutionary in paradise. Der jüdische Odessaer Dichter Isaak Babel, der damals zu Besuch in Sorrent weilte, hat in einem Brief bewegend geschildert, dass Gorki doch mehr, als es sich für einen linientreuen Stalinisten zuzugeben schickte, an der Freiheit des Südens hing:

„Sorrent, 5 Mai 1933

Gestern verbrachte ich den ganzen Tag in Neapel mit Gorki. Er nahm uns ins Museum mit, zeigte uns antike Skulpturen, Gemälde von Tizian, Raphael und Velázquez. Wir hatten Mittagessen- und Abendessen zusammen. Der alte Mann trank, und er trank viel. Abends gingen wir zu einem Restaurant auf einem Hügel oberhalb der Stadt mit märchenhaftem Blick. Jeder hier kannte ihn seit dreißig Jahren und alle standen auf, als er hereinkam. Die Kellner stürzten herbei, um Gorkis Hand zu küssen, und sandten sofort nach den Alten, die neapolitanischen Lieder singen. Sie kamen angerannt – siebzigjährige Männer, die sich gut an Gorki erinnerten – und sie sangen in ihren brüchigen alten Stimmen auf eine Art, die ich nie vergessen werde. Gorki weinte hemmungslos, trank beständig und als sie versuchten, ihm sein Glas wegzunehmen, sagte er immer wieder: ‚Das ist das letzte Mal in meinem Leben.‘“

Drei Tage später nahm Gorki den Zug nach Genua und von dort das Schiff nach Odessa. Drei Jahre später starb er während der Periode der tschistka, der stalinistischen „Säuberungen“, unter nie ganz geklärten Umständen in Moskau an einer Vergiftung. Klarer ist hingegen der Tod des Schachspielsiegers Bogdanow. Der übernahm 1926 das erste Institut für Bluttransfusionen und brachte sich 1928 bei einem medizinischen Selbstversuch um.

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