„Russland und Deutschland brauchen Mediation“
Fünf Fragen an Johann Michael Möller
Koordinator der Arbeitsgruppe Medien des Petersburger Dialogs
Wo stehen wir im deutsch-russischen Verhältnis?
An einem Tiefpunkt. Diese Entfremdung ist über die Jahre gewachsen. Auf beiden Seiten. Das Bild Deutschlands hat sich russischen Umfragen zufolge schon seit langem verdüstert, aber auch in Deutschland scheinen alle Illusionen verflogen, dass es wenigstens zu einem großen gemeinsamen Wirtschaftsraum kommen könne. Nach der Annexion der Krim ist Eiszeit angebrochen. Ein Ende der Embargopolitik lässt sich nicht absehen. Einzig in der Kultur scheinen die Gespräche noch zu funktionieren. Dort gibt es einen Hoffnungsschimmer. Immerhin.
Nach 30 Jahren Vernunftehe scheint die deutsch-russische Liaison zerrüttet. Lohnt sich eine Mediation?
Ich würde die Frage anders stellen: Können wir überhaupt auf eine Mediation verzichten? Zumindest der Versuch wäre ein Gebot der politischen Klugheit. Der Entschluss, nicht mehr miteinander reden zu wollen und sich beleidigt den Rücken zuzukehren, gehört in die Vorstellungswelt der Sitcoms und der Lore-Romane. Mit Politik, mit Außenpolitik zumal, hätte das nichts zu tun. Solange man noch miteinander redet, geht man nicht aufeinander los. Das ist eine Binse. Aber in einer sich derart schnell verändernden Welt wie der unseren muss man auf jede Überraschung gefasst sein. Es ist kein Ausdruck von Prinzipienlosigkeit, die Positionen und Konstellationen immer wieder neu zu überprüfen. Nur Engel gehören in die Ewigkeit.
Was trennt, was eint Russen und Deutsche heute?
Fangen wir nicht wieder bei Katharina der Großen an. Sondern reden wir vom Heute. Auf den ersten Blick trennt uns vieles, manche würden sogar sagen: fast alles. Das beginnt schon beim Selbstverständnis, welche Rolle man auf der weltpolitischen Bühnen spielen möchte: Auf der einen Seite die frühere Hegemonialmacht, auf der anderen Seite ein Land in der Mitte Europas, das mit seiner gewachsenen Bedeutung in Europa noch immer fremdelt. Was uns trennt, ist natürlich auch der Umgang mit der Vergangenheit und der eigenen Geschichte; genauso wie die Vorstellungen von einer modernen demokratischen Gesellschaft.
Wie gehen wir mit der Meinungsfreiheit um, wie bewahren wir die Würde des Menschen. Verbinden uns noch die Werte der Aufklärung? Wo ist der gemeinsame geistige Diskurs. Nach allem, was in den letzten Jahren passiert ist, wird die Antwort auf viele dieser Fragen eindeutig negativ ausfallen.
Doch bei manch anderen wird man noch zögern. Das ist kein Ausdruck fehlender Entschlossenheit, sondern der langen, gemeinsamen Geschichte geschuldet. Der große Krieg, den die Russen den vaterländischen nennen, war ein weltpolitisches Ringen. Aber es gibt darin ein furchtbares Kapitel, das Deutsche und Russen betrifft und an dem sie bis heute gemeinsam schreiben.
Aber es gibt auch eine ganz gegenwärtige Hoffnung. Die Entfremdung der politischen Systeme und Machtinteressen hat nicht zwangsläufig zu einer Entfremdung der Menschen und der beiden Zivilgesellschaften geführt. Die jungen Leute sind sich inzwischen viel ähnlicher geworden als man es glauben will. Sie sind längst in der freien Welt angekommen, auch wenn sie darüber nicht offen reden dürfen. Dieser Generation den Rücken zu kehren, wäre der größte Fehler, den wir machen können.
Was wird das wichtigste Thema Ihrer Arbeitsgruppe im kommenden Jahr?
Natürlich die Folgen der Pandemie auf die Medienwelt. Uns beschäftigt, wie die verschiedenen Mediengattungen durch die Krise gekommen sind. Wer hat profitiert, wer hat verloren. Was heißt Beschleunigung der Digitalisierung in der Medienbranche. Die seriösen Nachrichtenformate haben von der Krise eher profitiert. Aber wohin entwickeln sich die sozialen Medien.
Doch wir werden uns in der Arbeitsgruppe Medien nicht nur mit uns selbst beschäftigen, sondern im journalistischen Spiegel auch mit politischen Fragen und gesellschaftlichen Veränderungen.
Wagen Sie eine Prognose: Wie sieht das deutsch-russische Mit- oder Gegeneinander in zehn Jahren aus?
Ich fürchte, nicht besser als heute. Das hat auch mit künftigen politischen Konstellationen zu tun. Aus der großen Koalition sind über die Jahre kaum noch nennenswerte Impulse Richtung Russland gekommen, eine dezidierte Ostpolitik gibt es nicht mehr. Man verwaltet den Status quo oder geht auf kritische Distanz.
In einer neuen Berliner Koalition könnte sich das ändern, aber wohl kaum in Form einer Wiederannäherung. Die Vorbehalte gegenüber Russland werden wachsen und sie werden womöglich stärker als heute die operative Ebene der Politik bestimmen. Das wird den Dialog zwischen unseren Zivilgesellschaftlichen nicht leichter machen. Die Hoffnung bleibt, dass sich die Akteure auf beiden Seiten mit diesem Zustand nicht abfinden werden.