Nutzen Sanktionen gegen Russland?

Dokumentation: „Wirtschaftssanktionen ohne oder nur mit sehr geringer Wirkung“, Expertenanhörung Ausschuss für Wirtschaft und Energie, 24.2.2021

Dokumentation Sanktionen Russland

DOKUMENTATION

Michael Harms vom Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft berichtete, der deutsch-russische Handel sei im vergangenen Jahr um 22 Prozent auf 45 Milliarden Euro und damit auf den niedrigsten Stand seit 2005 gefallen. Dabei seien die Exporte nach Russland mit minus 13,2 Prozent weniger stark als die Importe zurückgegangen. Nach seiner Einschätzung haben allerdings Wirtschaftssanktionen keine oder nur sehr geringe Wirkung auf Verhaltensänderungen im politischen Bereich.

Harms begrüßte, dass die Bundesregierung für Nord Stream 2 eintritt. Er sehe die Chance für einen Kompromiss mit der neuen US-Regierung. So könne die Ukraine als Ersatz für entgangene Transiteinnahmen stärker in den europäischen Green Deal integriert und zu einem Produzenten erneuerbarer Energien werden.

„Gesprächskanäle offen halten“

Dr. Thomas Kunze (Konrad-Adenauer-Stiftung) machte klar, dass spätestens seit der Ukraine-Krise die Beziehungen von Russland zum Westen und umgekehrt stark belastet seien. Interessenpolitisch solle aber auch in der aktuellen Krise alles dafür getan werden, Gesprächskanäle offen zu halten. Zu einem Zeitpunkt, zu dem der Gegensatz zwischen Peking und Washington immer deutlicher zutage trete, befinde sich Russland derzeit an einem Scheidewege.

Die im Osten mit China eingegangene Zusammenarbeit eröffne deutlich mehr Vorteile als Nachteile. Die langfristige Tragweite dürfe nicht unterschätzt werden. Sanktionen seien anfänglich wirksam gewesen. Jetzt produziere Russland Produkte vermehrt selbst.

„Persönliche Sanktionen zweimal überlegen“

Dr. Alexander Blumhardt (Knauf International GmbH) bezeichnete die Zusammenarbeit seines Unternehmens mit russischen Behörden als positiv. Er rief dazu auf, sich persönliche Sanktionen zweimal zu überlegen. Das Thema Spiegelbildlichkeit zeige sich in der russischen Politik tagtäglich.

Noch sei es nicht so weit, dass europäische Unternehmer in Russland für bestimmte Dinge belangt würden. Es funktioniere nicht, die Wirtschaft als Instrument zu nutzen, um politische Anliegen durchzusetzen.

„Sanktionen hatten Auswirkungen“

Peer Teschendorf (Friedrich-Ebert-Stiftung) machte weiter sehr breite Beziehungen zwischen Russland und Deutschland im kulturellen und wirtschaftlichen Bereich aus. Politisch habe Deutschland für die russische Elite den Status als Hauptansprechpartner in der EU eingebüßt.

Russland sei dabei, sich stärker zu isolieren. Sanktionen seien nicht unbedingt ein stumpfes Schwert und hätten Auswirkungen gehabt. Es sei aber mehr Dialog nötig.

„Sanktionen können keinen Regimewechsel bewirken“

Prof. Dr. Katharina Bluhm vom Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin plädierte für eine langfristige europäische Strategie bei den Beziehungen zu Russland. Dabei müsse unter anderem bedacht werden, dass Russland der geografische Nachbar bleibe. Dies solle bei allen Entscheidungen im Blick bleiben.

Weder ökonomisch noch geostrategisch liege ein neuer Eiserner Vorhang im europäischen Interesse. Er löse keinen der ungelösten Konflikte. Man müsse sich von der Idee freimachen, dass mit Sanktionen ein Regimewechsel bewirkt werden könne.

„Neue Risiken durch Konfrontation Russland-Ukraine“

Der Politologe Alexander Rahr stellte fest, China und nicht Deutschland sei jetzt Russlands wichtigster Handelspartner. Die Umorientierung Russlands von Europa nach Asien sei sichtbar. Das müsse nicht immer so bleiben. Die bilateralen Beziehungen könnten wieder repariert werden, wenn der politische Wille auf beiden Seiten dafür vorhanden sei.

Die eigentlichen Risiken für die Entwicklung der deutsch-russischen Beziehungen seien nicht ein Stopp von Nord Stream 2 oder Nawalny, sondern eine neue schwere Konfrontation zwischen Russland und der Ukraine, bei der die Bundesregierung aus Solidaritätsgründen die Seite der Ukraine ergreifen würde.

„Sanktionen sollten fortgesetzt werden“

Prof. Dr. Karl-Heinz Paqué (Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit) vertrat die Ansicht, die derzeit wirksamen Sanktionen gegen Russland seien gerechtfertigt und sollten fortgesetzt werden.

Für die Zukunft sei es sinnvoll, die Mechanismen für personenbezogene Sanktionen weiterzuentwickeln und konsequent auf Akteure anzuwenden, die an Verletzungen von Völkerrecht und Menschenrecht beteiligt seien und von diesen profitierten. Das EU-Sanktionsinstrument solle auch auf den Straftatbestand von Korruption erweitert werden.

„Nord Stream 2 liegt im deutschen Interesse“

Eckhard Cordes, Aufsichtsratsvorsitzender der Bilfinger SE, vertrat die Auffassung, dass „EU-Europa“ nur dann eine tragfähige Zukunft mit Russland und nicht gegen Russland haben werde. Er sprach sich für eine partnerschaftliche Beziehung aus. Bei Sanktionen stelle sich die Frage, wie man davon wieder herunterkomme.

Mit weiteren Sanktionen würden politische Ziele nicht erreicht werden können. Nord Stream 2 liege im deutschen und europäischen Interesse. Auf Gas und Öl werde man noch Jahrzehnte für die Energieversorgung angewiesen sein.

„Nord Stream 2 schwächt die Ukraine“

Dr. Janis Kluge von der Stiftung Wissenschaft und Politik verwies auf den Rückgang des bilateralen Handels und einer nur teilweisen Erholung. Es liege nahe, diese Entwicklung mit den zunehmenden außenpolitischen Konfrontationen und Sanktionen in Verbindung zu bringen. Tatsächlich seien aber primär wirtschaftliche Faktoren die Ursache.

Das Auf und Ab der deutschen Exportzahlen lasse sich zum größten Teil mit der Entwicklung des Ölpreises erklären. Durch Nord Stream 2 werde die Ukraine wirtschaftlich geschwächt und diene so einem außenpolitischen Kerninteresse Moskaus. Das Projekt unterlaufe die politische Wirkung der EU-Sanktionen.

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