Georgien: Erosion der Demokratie
Georgiens Kulturministerin kujoniert die freie Kulturszene, das Land steuert in Richtung Diktatur
Dass man in Georgien gerade dabei zusehen kann, wie das Land auf eine Diktatur zusteuert, ist bitter und schmerzhaft. Es ist ein Prozess, in dem die unabhängigen Institutionen ihre Unabhängigkeit Schritt für Schritt verlieren, auch und gerade in der Kulturpolitik – auf einem Feld also, auf dem Georgien in den vergangenen Jahren auch international Beachtung gefunden hat.
Bestes Beispiel ist der Gastlandauftritt Georgiens auf der Frankfurter Buchmesse im Oktober 2018, der als großer Erfolg gefeiert wurde. Sichtbares Zeichen dafür war das gestiegene Interesse nicht nur an der Literatur Georgiens, sondern auch am Land. Es konnte sich als ein moderner Staat präsentieren, der zu Recht stolz auf seine junge Demokratie und zeitgenössische Kultur war.
Dieser Gastauftritt wurde von dem georgischen nationalen Buchzentrum vorbereitet, einer kleinen, vor allem mit Frauen besetzten Institution mit bescheidenem Haushalt unter dem Dach des Kulturministeriums, die ihren Erfolg als unabhängige, transparente, professionell und meritokratisch besetzte Institution herbeiführte – ein kleines Bild für Georgien, wie es sein könnte, wenn alles im Land so funktionierte wie im Buchzentrum.
Allerdings stand das Projekt mehrfach auf der Kippe. Das Buchzentrum musste sich mit der Unterstützung der georgischen Autorinnen und Autoren und nach einem langen gesellschaftlichen Protest gegen den Druck des Kulturministeriums durchsetzen und etwa abwehren, dass der Auftrag für das Design des Gastland-Pavillons unter der Hand an die Hof-Künstler des Ministeriums vergeben wurde.
Statt aber das Buchzentrum zu einem Modell für andere Kulturinstitutionen in Georgien zu machen, beschloss das georgische Kulturministerium, es zu schließen. Nur nach dem entschiedenen Protest von Autoren und Verlegern konnte das Zentrum zumindest teilweise gerettet werden, allerdings nicht mehr als unabhängige Institution, sondern unter dem Dach des Schriftstellerhauses. Medea Metreveli, die Chefin des Zentrums und die Architektin des Buchmessen-Auftritts, musste gehen.
Krieg gegen die unabhängigen Kulturinstitutionen
Den Krieg gegen die unabhängigen Kulturinstitutionen in Georgien hat die georgische Regierung damit nicht abgeschlossen. Der nächste Schritt kam 2020 mit der Ernennung von Tea Tsulukiani zur Kulturministerin. Die Hardlinerin im Kabinett des Premierministers Garibashvili hat wegen ihres brutalen Vorgehens in der Kulturpolitik den Spitznamen „Dschalatea“ („Thea, die Henkerin“) bekommen.
Ein Beispiel hierfür ist ihr Umgang mit dem Literaturpreis Litera, gegründet 2015 vom georgischen Buchzentrum und inzwischen einer von drei bedeutenden Auszeichnungen dieser Art im Land. Sein Ansehen beruhte auf eine jährlich wechselnden, unabhängigen Jury von Autoren, Philologen und Kritikern. Das Geld kam zwar vom Staat, er hatte aber keine Kontrolle über die Jury. Nach der Sowjeterfahrung mit Staatsprämien für regimehörige Autoren stehen unabhängige Literaturpreise in Georgien auch symbolisch für die Entsowjetisierung und eine nicht mehr „domestizierte Literatur“ (um den Buchtitel des Literaturkritikers Akaki Bakradze zu zitieren).
Indem die Ministerin Tsulukiani ihren Berater per Dekret zum Jurymitglied ernannte, hat sie die Unabhängigkeit des Literaturpreises untergraben. Die überwiegende Mehrheit der Autoren hat daraufhin auf die Teilnahme am Auswahlverfahren verzichtet. Auch vier Mitglieder der aus fünf Mitgliedern bestehenden Jury – mit Ausnahme des Beraters der Ministerin – traten zurück.
Das georgische PEN-Zentrum startete eine erfolgreiche Spendenkampagne, sodass Litera dieses Jahr ohne staatliches Geld finanziert werden konnte. Die Ministerin gründete nun einen neuen Literaturpreis. Georgische Autoren erklärten erneut, nicht an der Preisausschreibung der Ministerin teilnehmen zu wollen.
Über die Ziele Tsulukianis kann kein Zweifel bestehen: Zum einen soll die Solidarität der Autoren gebrochen und die Literaturlandschaft polarisiert werden. Zum anderen geht es darum, den bisher unabhängigen Literaturbetrieb finanziell weniger vom Staat als von der Parteipolitik der jeweils regierenden Partei abhängig zu machen.
Eine Ministerin dirigiert auch die Museen
Solchen Übergriffen ist auch ein weiteres Erfolgsprojekt der postsowjetischen georgischen Kultur ausgesetzt, das Nationalmuseum des Landes. Zu Beginn des Jahrtausends wurden einzelne Museen, etwa das Museum für Geschichte, das Kunstmuseum, die Nationalgalerie und viele andere im Nationalmuseum Georgiens zusammengeschlossen. Im einzigartigen Twinning-Projekt – ein Instrument der institutionellen Kooperation zwischen der EU und ihren Partnerstaaten – mit der Stiftung Preußischer Kulturbesitz wurde das Nationalmuseum erfolgreich reformiert und modernisiert.
Aus den reichen, aber verwahrlosten und disparaten Sammlungen ist ein erstklassiges wissenschaftliches und Ausstellungszentrum entstanden, mit weltweit angesehenen Restauratoren, Kuratoren, Architekten und wissenschaftlichen Mitarbeitern. So wie das Buchzentrum war auch das Nationalmuseum ein Beispiel, wie die erfolgreiche postsowjetische Transformation in Georgien hätte aussehen können.
Doch die Ministerin Tsulukiani setzte Direktoren mehrerer Museen ab und besetzte die Posten mit Personal aus dem Umfeld des Justizministeriums, das sie bisher geleitet hat. Im Kunstmuseum ersetzte sie die Kunstwissenschaftlerin Eka Kiknadze durch den bisherigen Direktor des Gesetzesblattes. Neuer Leiter des ethnographischen Museums wurde die ehemalige Direktorin des Umschulungszentrums für Vorbestrafte.
Man fühlt sich an die Besetzungen der Posten in der stalinistischen Sowjetunion erinnert, wo die Parteikader und nicht Fachleute das Sagen hatten. Die beiden neuen Museumsleiter bilden nun mit David Lortkipanidse, dem Generaldirektor des Nationalmuseums, ein Direktorat. Da alle Mitglieder des Direktorats das gleiche Stimmrecht haben, kann Tsulukiani durch ihre Kommissare auch das Museum über den Kopf seines Generaldirektors hinweg regieren.
Allianz von Staat und Kirche
Warum Tsulukiani einen direkten Zugriff auf das Museum haben will, zeigt ein brisantes Beispiel: In der Sammlung des Kunstmuseums befinden sich wertvolle mittelalterliche Ikonen. Nach dem Staatsvertrag zwischen dem georgischen Staat und der georgischen orthodoxen Kirche (GOK) gehören sie zwar der Kirche, doch sie werden im Museum verwahrt. Die GOK möchte seit Jahren die Ikone von Antschi, die Perle der Sammlung, in der Kirche ausstellen, ohne dafür die notwendigen Ausstellungsmöglichkeiten zu haben.
Dass die Regierung vor der Wahl versprochen habe, die Ikone von Antschi der Kirche zu übergeben, bestätigte indirekt der Metropolit Schio (Mudschiri), der als möglicher Nachfolger des Patriarchen gehandelt wird. Wie die Kirche mit den Kulturgütern in ihrem Besitz umgeht, die unwiederbringlich beschädigt werden, zeigen leider zahlreiche Beispiele.
Die Kulturpolitik ist nur ein Bereich, in dem die Erosion der Demokratie in Georgien sichtbar wird. Natürlich muss die georgische Regierung in der Lage sein, neue Institutionen aufzubauen und alte zu reformieren. Gravierend ist aber, dass sie ausgerechnet die wenigen gut funktionierenden Institutionen wie das Buchzentrum, das Schriftstellerhaus oder das Nationalmuseum angreift und teils auch zerstört.
Die Profis mit internationalem Ruf werden durch parteitreue Opportunisten ersetzt. Dichter wie Swiad Ratiani werden Opfer der Polizeigewalt und der staatlich orchestrierten Hetzkampagne. Die bronzezeitliche Goldgrube in Sakdrissi, eine archäologische Grabungsstätte von Weltrang, wird gesprengt, weil sie den Interessen der Oligarchie im Wege steht. All diese und noch mehr Mosaiksteine ergeben ein Bild, auf dem zu sehen ist, wie die Partei des Oligarchen Iwanischwili den georgischen Staat kapert.
Es ist nur eine Frage der Zeit, wann die Demontage der Demokratie in Georgien endgültig ist. Natürlich mögen angesichts der drohenden Invasion Russlands in die Ukraine und der von Lukaschenko orchestrierten Flüchtlingskrise an der Grenze zur EU Probleme in Georgien aus europäischer Sicht eher klein und bedeutungslos erscheinen. Doch man sollte nicht die Augen davor verschließen, dass die Zustände in Georgien ein Teil der Entwicklungen im Osten Europas sind.
Je mehr die Erosion der Demokratie in Georgien fortschreitet, desto stärker wird sich Georgien von Europa abwenden und in die offenen Arme Russlands laufen. Ohne Unterstützung aus Europa und den USA werden auch die wenigen kleinen Inseln der Demokratie im Osten Europas eine nach der anderen verschwinden.
Die georgische Zivilgesellschaft kämpft, zum Teil sogar mit Erfolg. Allein ist sie aber zu schwach, um gegen die vereinte Staatsmacht und die Finanzmacht des Oligarchen Iwanischwili zu bestehen. Die Regierungen in der EU müssen klare und deutliche Signale an Iwanischwili und die Regierung in Georgien senden. Ihr Gesprächspartner muss, so wie in Belarus, nicht mehr die georgische Regierung, sondern die georgische Zivilgesellschaft werden.
Zaal Andronikashvili ist Mitarbeiter des Leibniz-Zentrums für Literatur- und Kulturforschung in Berlin. Sein Beitrag ist auch in der FAZ erschienen.