Schwache Diktatoren stärken Homophobie
Außen hart und innen ganz weich? Homophobie hilft Autokraten, ihre Macht zu sichern
Die chinesische Regierung hat „weichliche“ und „weibische“ Männerdarstellungen im Fernsehen verboten. Dies ist Teil einer bösartigen Propagandakampagne, die diese Männer als „abnorm“ und irgendwie gegen die Moralvorstellungen des Lands verstoßend brandmarkt. Dass Präsident Xi Jinping Schwule – und überhaupt alle, die nicht dem herkömmlichen Standard von Männlichkeit entsprechen – ins Visier nimmt, sollte nicht überraschen. Homophobie ist ein autoritäres Markenzeichen.
Als ich Anfang der 1980er-Jahre in Moskau studierte, wurde einer meiner Kommilitonen – ein stiller Literaturliebhaber – wegen angeblichen Plagiierens von der Uni verwiesen. Doch ich werde nie vergessen, wie ein anderer Kommilitone sich zu mir herüber lehnte und mir zuflüsterte, dass das Verbrechen unseres zwangsexmatrikulierten Mitstudenten tatsächlich gewesen sei, dass er „schwul war“.
Was auch immer seine sexuelle Orientierung gewesen sein mag: Unser Kommilitone wurde eindeutig als zu sanft für unser „heroisches“ Sowjetmilieu erachtet. Tatsächlich mussten sogar Frauen männlich daherkommen: Bilder junger Arbeiterinnen in orangefarbenen Westen, die Schnee schippten und Nägel einschlugen, waren in der Sowjetära gang und gäbe. Doch für Männer war es im Grunde ein Verbrechen, weniger als ein Vollblutmann mit stolz geschwellter Brust und schussbereitem Gewehr zu sein.
Staatlich geförderte Homophobie
Diktatoren sind von Ordnung abhängig. Sie bewahren sich ihre Stellung nicht, indem sie die Bedürfnisse der Menschen erfüllen, sondern indem sie so viele Aspekte im Leben des Lands kontrollieren, wie sie können. Dazu gehört auch, festzulegen, wie genau die Menschen sich verhalten sollten, und Andersartigkeit als nicht vertrauenswürdig oder sogar gefährlich darzustellen. In China ist, wie Rana Mitter gezeigt hat, die Durchsetzung von Konformität in Bezug auf das Geschlecht Teil einer umfassenderen Kampagne, die die Unterordnung unter staatlich gebilligte politische Sichtweisen sicherstellen soll.
Staatlich geförderte Homophobie ist auch ein Merkmal des Lebens im modernen Russland. 2013 entschied Präsident Wladimir Putin plötzlich, dass Homosexualität seine Position bedrohe. Das hatte vermutlich etwas mit anhaltenden Gerüchten zu tun, dass die Beziehungen zwischen Putins mächtigen Ministern und Geschäftspartnern nicht streng beruflicher Art – oder platonisch – seien. Sie sind womöglich nicht homosexuell, doch zumindest von einigen wird angenommen, dass sie Sex miteinander haben, teilweise, um ihrer Loyalität Ausdruck zu verleihen.
Das ist nicht die Art von Gerücht, die ein „starker Mann“ wie Putin im Umlauf haben möchte. Dies ist schließlich derselbe Mann, der sich hemdlos beim Angeln in einem sibirischen See und zu Pferde fotografieren ließ. Diese Fotos entwickelten sich rasch zu populären Icons in Schwulenmagazinen weltweit. Also verabschiedete Russland ein Gesetz, das „homosexuelle Propaganda“ verbot.
Ähnlich wie Chinas neue Regel verfolgt das Gesetz vorgeblich das Ziel, Kinder vor Informationen zu schützen, welche die „Verleugnung traditioneller Familienwerte“ fördern. In Wahrheit hat es den Zugang zu einer LGBT-inklusiven Bildung und zu diesbezüglichen Unterstützungsleistungen drastisch eingeschränkt.
Inzwischen sind viele in Russland überzeugt, dass Homosexualität ein erlerntes Verhalten ist. Selbst intelligente, gebildete Leute klatschen darüber, dass Personen, die sie kennen, „zu Schwulen gemacht“ wurden.
Doch war dieses Gesetz nur der Anfang. Einer der im Rahmen des manipulierten Verfassungsreferendums verabschiedeten Verfassungszusätze verbot gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften und bekräftigte, dass eine Ehe nur zwischen Mann und Frau bestehen könne.
Heilen schöne Frauen Homosexualität?
Dieses alte homophobe autoritäre Modell feiert auch auf den Philippinen Wiederkehr, wo Präsident Rodrigo Duterte einmal geäußert hat, er habe sich mit Hilfe „schöner Frauen“ selbst von der Homosexualität „geheilt“ – als ob diese eine Art schändlicher Krankheit sei. Während die Verfassung des Lands die gleichgeschlechtliche Ehe zulässt, tut es sein Familiengesetzbuch nicht.
In der Türkei gibt es LGBT-Rechte, doch zugleich auch weit verbreitete Diskriminierung und Belästigungen. In diesem Jahr äußerte Präsident Recep Tayyip Erdoğan nach einer Welle von Studentenprotesten: „Wir werden unsere jungen Leute in die Zukunft tragen, nicht als LGBT-Jugend, sondern als jene Jugend, die in der glorreichen Vergangenheit unserer Nation existierte.“
Selbst einige vorgebliche Demokratien verfallen im Rahmen einer umfassenderen Wende zur Illiberalität auf staatlich geförderte Homophobie. In Ungarn hat die Regierung von Ministerpräsident Viktor Orbán ein Gesetz verabschiedet, das „Werbung für Homosexualität“ und Geschlechtsumwandlungen bei Minderjährigen verbietet. In Polen wurden in fast 100 Regionen, Städten und Gemeinden „LGBT-Ideologie-freie Zonen“ oder LGBT-feindliche „Familien-Chartas“ eingerichtet.
Der ehemalige US-Präsident Donald Trump machte sich eine ähnlich „machohafte“ Rhetorik zu eigen, etwa indem er Demonstranten Gewalt androhte. Er ging sogar so weit, mit seinem Testosteronspiegel und seiner Penisgröße zu prahlen. Politisch schwächte er, unterstützt von seinem ultrakonservativen Vizepräsidenten Mike Pence, Schutzbestimmungen für Lesben, Schwule, Bi- und Transsexuelle und verbot Transsexuellen den Militärdienst.
Die USA sind dem Trumpismus zumindest für den Moment entkommen. Doch die Reihen cartoonartig machohafter Politiker scheinen nichtsdestotrotz zu wachsen. In der Ukraine hatte sich Präsident Wolodymyr Selensky in der Vergangenheit nicht als aggressiv maskuline Figur dargestellt; man hätte seinen Stil womöglich als „metrosexuell“ beschrieben. Heute jedoch gibt er den strammen Nationalisten, der – häufig im Kampfanzug – sein Heimatland gegen die russische Bedrohung verteidigt. Er hat Putin kürzlich herausgefordert, ihn in der Kriegszone an der Grenze zwischen der Ukraine und den selbsterklärten russischen Republiken Donezk und Lugansk zu treffen.
Hegemonische Maskulinität: stark, hart, dominant
Dass sich diese Politiker zur Stärkung ihrer Position auf eine „hegemonische Maskulinität“ stützen – die Vorstellung, dass Männer stark, hart und dominant sein sollten –, sollte nicht überraschen. Autoritäre Staaten sind im Grund schwach, und Diktatoren im Grunde unsicher. Daher versuchen sie ständig, Stärke zu projizieren.
Doch in der heutigen, sich schnell wandelnden Welt fühlen sich auch normale Menschen unsicher – insbesondere jene, die glauben, dass ihre traditionell „dominanten“ Stellungen ausgehöhlt werden. Dies verleitet sie, „starke Männer“ zu unterstützen, die eine Rückkehr zur Ordnung und Berechenbarkeit einer sozial rigiden Vergangenheit versprechen.
Anders ausgedrückt: Diese Menschen haben Angst vor Veränderung, und sie glauben, dass sie machohafte Politiker und patriarchalische Regeln brauchen, die sie schützen. Wer ist jetzt das Weichei?
Aus dem Englischen von Jan Doolan. Copyright: Project Syndicate, 2021.