Russische Küche

Gogols satirische Gourmandise

Wie der Schriftsteller der adligen Gesellschaft Russlands mit Küchenszenen den Spiegel vorhielt

Scharfzüngiger Beobachter: Nicolai Gogol, portraitiert von Fyodor Antonovich Moller (1840)

#7 – Peter Peters Zunge macht ihn zu einem wahren Kenner der Kochkunst und einem Meister des geschliffenen Worts. Für KARENINA schmeckt er der russischen Küche nach.

„Haben Sie schon zu Mittag gegessen?“, fragte der Hausherr.

„Ja.“

„Was denn, Sie sind wohl gekommen, um sich über mich lustig zu machen? Was soll ich denn mit Ihnen anfangen wenn Sie schon gegessen haben?“

Gogol: Die toten Seelen

 

„Die russische Küche ist die einzige Küche der Welt, bei der das Essen selbst unwichtig ist.“ Dieses Bonmot von Wladimir Kaminer aus seinem „Kochbuch des Sozialismus“ zielt augenzwinkernd darauf, dass Essen nur ein Vorwand ist, um sich zu treffen, um zu feiern und Trinksprüche auszubringen.

Daran muss ich häufig denken, wenn ich die Klassiker der russischen Literatur mit gastrosophischen Augen lese. Speiseszenen werden gern versatzstückartig eingesetzt und nur kurz angerissen. Ein legitimer literarischer Kunstgriff, um einen Rahmen für Tischgespräche zu schaffen oder die soziale Situation oder Gemütsverfassung der Figuren zu beleuchten.

Würde man sich den Spaß machen, stereotype Requisiten wie Grütze, Kwas, Kohlsuppe, Stör, Champagner, Wodka, Tee und Samowar zu streichen, blieben wenige kulinarische Realien übrig. Poeten, die wie Thomas Mann oder Honoré de Balzac mit dem Impetus eines Feinschmeckers die Freuden und Riten der Tafel einfangen, scheinen selten zu sein.

Kulinarische Stillleben

Es gibt Ausnahmen. Nikolai Gogol (1809 – 1852) ist eine. Dem Ukrainer, der als junger Mann nach Sankt Petersburg zog, waren bereits in seiner frühen Kurzgeschichte „Der Jahrmarkt in Sorotschinzy“ eindringliche kulinarische Stillleben gelungen:

„Bereits seit dem frühen Morgen zogen in endloser Reihe Ochsenkarren mit Salz und Fischen durchs Land. Ganze Berge heuumwickelter Töpfe und Geschirre bewegten sich langsam vorwärts und langweilten sich in ihrer dunklen Haft; denn hie und da guckte eine grell bemalte Schüssel oder ein Mohntopf aus dem hochgespannten Flechtwerk eines Fuhrwerks hervor und lenkte die begierigen Blicke von Liebhabern des Wohllebens auf sich.“

Sag mir, wie Du mich bewirtest, und ich sage Dir, wer Du bist. Dieses abgewandelte Motto könnte über Gogols Gaunerroman „Die toten Seelen“ stehen. Tschitschikow, ein abgehalfterter Beamter mit guten Manieren, galoppiert mit seinem Gespann durch die Weiten Russlands. Sein makabres Vorhaben: Er will unter Ausnutzung eines Steuerschlupflochs verstorbene Leibeigene erwerben, um sie anschließend dem Staat zu verpfänden. Das impliziert eine Kette von Besuchen bei adligen Grundbesitzern und für den Autor die Gelegenheit, anhand von Milieuschilderungen und Spielarten von Gastfreundschaft Sozialkritik zu üben.

Kulinarische Folter

Denn Tschitschikow erlebt einiges an Verwahrlosung und Egoismus. Provinzadlige, die zu geizig sind, dem Gast Tee anzubieten, schlaffe freundschaftstrunkene Gutmenschen und slawophile Schlemmer wie Sobakewitsch, der gegen ausländische Küche wettert: „Und wenn Du mir einen Frosch mit Zucker überziehst, ich werde ihn nicht in den Mund nehmen und Austern auch nicht. Nehmen Sie von der ... Hammellende mit Grütze! Das ist kein Frikassee, wie es in den Küchen der Herren aus Hammelfleisch gemacht wird, das vier Tage auf dem Markt herumgelegen hat! Das haben alles die deutschen und französischen Doktoren erfunden, sie wollen die Leute mit Hunger heilen! Mit ihrer kraftlosen deutschen Natur bilden sie sich ein, daß sie es auch mit dem russischen Magen so machen könnten!“

Sein Standesgenosse Petuch, der sich nie langweilt, da er, obwohl sein Gut längst verpfändet ist, immer nur ans nächste Essen denkt, unterzieht den Gast einer Art kulinarischer Folter. Der überfressene Tschitschikow versucht vergeblich einzuschlafen, als die nächtlichen Anweisungen des Hausherrn an den Koch aus dem Nebenzimmer schallen:

„Und back die Fischpastete mit vier Ecken ... in die eine Ecke legst Du mir Backen vom Stör und die Rückensehnen, in die andere Buchweizengrütze und Pilze mit Zwiebeln und süße Fischmilch und Hirn ... und dann back sie so durch, daß sie ganz vom Saft durchtränkt und durchzogen ist, damit sie dann ... wie Schnee auf der Zunge zergeht ... als Beilage zum Stör nimmst Du Sternchen aus roten Rüben.“

Die Ignoranz eines Raufbolds und Provinzgroßmauls wird durch die Alkoholika entlarvt, die er kredenzt: „Dann ließ Nosdrjow eine Flasche Madeira kommen, wie ihn ein Feldmarschall nicht besser trinkt. Der Madeira brannte in der Tat auf der Zunge, denn die Kaufleute kannten den Geschmack der Gutsbesitzer, die einen guten Madeira schätzen, und mischten ihn erbarmungslos mit Rum, ja manchmal taten sie sogar besonders starken Wodka hinein, in der Hoffnung, dass die russischen Mägen alles aushalten würden. Dann ließ Nosdrjow eine ganz besondere Flasche kommen, in der nach seinen Worten Burgunder und Champagner zugleich war.“

Schnörkellose Suppen

Es geht auch anders, auch uns Heutige kulinarisch ansprechender. Der erfolgreiche Gutsbesitzer Kostanshoglo hält zu viel ausländische Bildung und Intellektualismus auf dem Lande für schädlich. Er ist dafür, auch als Grundherr selbst anzupacken und damit seinen leibeigenen Bauern durch traditionelle Landwirtschaft ihre Lebensgrundlage zu sichern. Sein Geld gibt er lieber für das Gut als für herrschaftlichen Prunk aus. Entsprechend schnörkellos und saisonal ist seine Küche im schlichten „Speisezimmer, wo schon eine Terrine ohne Deckel auf dem Tisch stand und den angenehmen Duft einer Suppe aus frischem Grün und den ersten Kräutern des Frühlings verbreitete“.

So schwingt bei Gogols gastronomischen Miniaturen immer ein Psychogramm oder eine satirische Charakterskizze mit, klingt der parasitäre oder reformatorische Grundton ihrer Existenz durch. Zugleich erfährt man präziser, ja professioneller als bei anderen Autoren Details, Geschmacksnuancen und ideologische Implikationen der russischen Küche.

Doch manchmal streut der Autor auch Bilder eines idyllischen „ewigen“ Russlands ein, das sich natürlich traditionell ernährt, etwa in der Abendszene, als die Ruderer des Gutsherrn Petuch ein schwermütiges Lied anstimmen: „Sie kehrten in der Dämmerung zurück. Die Ruder schlugen im Finstern auf die Wasserfläche, die den Himmel schon nicht mehr widerspiegelte. In der Dunkelheit landeten sie am Ufer, wo Feuer angezündet waren: Die Fischer kochten auf Dreifüßen Suppe aus frisch gefangenen Barschen.“

Lesen Sie weitere Beiträge unseres Gastrosophen Peter Peter in der Rubrik Leben/Kulinarisches.

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