Ende der romantischen Russophilie

Deutschland muss seine Russlandpolitik europäisieren

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Dass Russland nicht an andere Länder, sondern an den Himmel grenze, war die fantastischste Formulierung deutscher Russophilie. Zu Rilkes Liebeserklärung an Russland in seinen „Geschichten vom lieben Gott“ gehörte schon um die Jahrhundertwende ein gehöriges Stück „Selbsteinredungsenergie“ (Thomas Schmidt).

Sie ist aber exemplarisch für die tiefe Verflochtenheit der deutschen und russischen Kultur, die auch die Geschichte der Russischen Akademie der Wissenschaften zeigt. Angelockt von hohen Gehältern und vielversprechenden Forschungsmöglichkeiten in einer terra incognita, suchten zahlreiche deutsche Wissenschaftler ihr Glück an der Neva, als Peter I. dort 1725 die Akademie gründete.

Die Erforschung Sibiriens war ein Akademie-Projekt, an dem Deutsche wie Johann Gmelin und Gerhard Müller erheblichen Anteil hatten. Für viele wissenschaftliche und künstlerische Bereiche kann man ähnliche Geschichten von gegenseitiger produktiver Beeinflussung, ja Symbiose erzählen. Was wäre das deutsche Theater ohne Tschechow und was die russische Philosophie ohne Schelling?

„Überdies ist Russland ein zu großes Rätsel, als dass wir es allein, ohne die Hilfe der Deutschen, lösen könnten“, so eröffnet Stepan Trofinowitsch den Dämonen-Roman von Dostojewski. Das war bittere Ironie, verwies aber doch auf eine enge Beziehung, die in der russischen Wissenschaftssprache als „Wechselseitigkeit“ bezeichnet wird.

Diese exzeptionellen bilateralen Kulturbeziehungen hatten eine problematische Entsprechung in der Politik. Petersburg und Berlin waren in der Diplomatie des 18. und 19. Jahrhunderts auf das Engste miteinander verbunden, der machtpolitische Aufstieg Preußens vollzog sich in einer Junior-Partnerschaft mit dem Zarenreich.

Die systematische Verklammerung bildete die sogenannte polnische Frage, die Teilungen Polens und die gegenseitige Assistenz bei der Niederschlagung polnischer Aufstände, mit der Preußen und Russland die polnische Nationalbewegung und die demokratische Öffentlichkeit in Europa zum Feind machten. Noch der Hitler-Stalin-Pakt lag in der Tradition dieser Politik.

Nach der Wiedervereinigung 1989 suchte Deutschland den deutsch-russischen Bilateralismus in geläuterter Form als „Modernisierungspartnerschaft“ wiederaufzunehmen. Aber nach der russischen Annexion der Krim war jede Politik, die auf die Exzeptionalität der deutsch-russischen Beziehungen setzte, gescheitert.

Mit den EU-Sanktionen gegen Russland trat eine europäische Strategie an ihre Stelle. Bis hin zum Giftanschlag auf Alexei Nawalny hat die politische Entwicklung seitdem nur bestätigt, dass eine Europäisierung der deutschen Russlandpolitik dringend erforderlich ist. Bilaterale Wechselseitigkeit mit ihren romantischen Obertönen mag man im Bereich der Kultur bewahren, als politisches Konzept ist sie untauglich.

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