„Die Katze konnten wir retten“
Anna Tambowa, 39, Schauspielerin, Kiew: „Ich habe verlernt, für die Zukunft zu planen“
Ich will zurück in die Ukraine, aber ich kann nicht. Da gibt es ständig Beschuss. Sobald ich darüber nachdenke, wenigsten meine Verwandten zu besuchen, sagt man mir: „Bleib schön da im Hinterland. Vielleicht muss noch jemand zu dir kommen.“ Also halte ich solange durch hier im Hinterland.
Ich bin professionelle Schauspielerin. Man kann sagen, ich bin ein Mediengesicht der Ukraine.
Der 24. Februar: Ich habe den Krieg als erste gehört
Am 23. Februar hatte ich bis spät eine Theatervorstellung, am 24. sollten Filmaufnahmen gemacht werden. Nach der Vorstellung kam ich spät nach Hause – ich wohne außerhalb von Kiew, in Bilohorodka. Und ich musste dringend meine Fingernägel in Ordnung bringen. Denn am anderen Morgen sollte ich um 7 Uhr zu den Aufnahmen abgeholt werden.
Bis 2 Uhr morgens machte ich mir die Nägel, danach ging ich zu Bett. Am 24. Februar um 4.30 Uhr wachte ich auf. Die erste SMS, die unser Regieassistent erhielt, dass der Krieg begonnen hat, kam von mir. Von uns aus konnte man die Detonationen in Hostomel hören.
Zwei Wochen hielt ich es noch zu Hause aus. Ich habe ein eigenes Haus, wir haben es selbst gebaut und sind erst vor vier Jahren eingezogen. Es gibt einen Keller, dort konnten wir übernachten. Aber trotzdem war ich in einem nervösen Zustand, an der Grenze zum Nervenzusammenbruch, wenn man die ganze Zeit nur zittert. Sogar wenn nicht mehr geschossen wird. Nach zwei Wochen beschloss ich, wegzufahren.
Damals kam es schon von der einen Seite zu uns rübergeflogen, über den Wald, und von der anderen Seite brannte es, von den Treffern. Das Internet war weg, es gab keine Nachrichten. Wir befanden uns in einem Vakuum und wussten nicht, ob sie vielleicht schon hier um die Ecke sind. Bilohorodka ist der letzte Vorposten. Hinter uns wurden schon die Brücken gesprengt.
Die kranke Katze musste zum Tierarzt
Ich wollte nicht wegfahren, aber ich musste mein Kind und meine Schwester mit ihrem Kind wegbringen. Meine Schwester wollte ohne mich nicht fahren. Ich hatte Freunde in Berlin, die mich am ersten Tag anriefen, ich solle zu ihnen kommen. Aber ich wusste nicht, wohin mit den Tieren; ich habe zwei Katzen und einen Hund.
Am 23. Februar hatte ich meine Katze in Irpin sterilisieren lassen. Am 28. Februar rissen die Fäden auf, und ihre Eingeweide kamen heraus. In dem Moment war mein Angstgefühl völlig verschwunden.
Ich rief einen Tierarzt in der Nähe an, und eine halbe Stunde später sollte ich schon bei ihm sein. Ich nahm schnell das Auto, und wir fuhren los. Während der Tierarzt alles versäuberte, stand ich auf der Straße und lauschte, ob nichts angeflogen kommt.
Die Katze wurde gerettet.
Anschließend brachten wir sie noch für drei Tage in die Klinik, zum Versäubern, aber zu Fuß, denn Autofahren war schon gefährlich. Als ich ihr selbst Spritzen geben konnte, beschloss ich, zu packen und wegzufahren. Wir gaben die Schlüssel den Nachbarn, damit sie sich bei uns im Keller verstecken konnten. Wir brachten die Tiere und meinen Mann so weit wie möglich weg zu Verwandten und fuhren los.
Schwierige Ausreise
Die Fahrt dauerte sehr lange und war sehr beschwerlich. Mit dem Auto kamen wir nur bis Chmelnyzkyj, dann musste das Auto umkehren. Mein Auto fährt mit Gas, aber Gas gab es nirgends.
Mit unseren Kindern und mit unseren Sachen waren wir in einem Dorf in der Nähe von Chmelnyzkyj. Dann fuhren wir mit Evakuierungszügen bis Lwiw, dort nahmen uns Freunde auf.
Es war ein seltsames Gefühl in Lwiw, weil es dort ganz ruhig war. Man fühlt sich sehr seltsam, wenn man nach den endlosen Detonationen, an die man sich schon fast gewöhnt hat, da hinkommt. In Kiew hatte man ständig das Gefühl, dass man seinen Körper nicht im Griff hat, dieses Beben und Zittern, diese Krämpfe werfen dich aus dem Gleichgewicht.
Bei Marsch der Mütter in Berlin
Von Lwiw aus fuhren wir zu Freunden in ein Dorf in Polen. Dort haben wir anderthalb Wochen nur gegessen und geschlafen und sind spazierengegangen. Aber ich wollte etwas tun. Deshalb fuhren wir nach Berlin.
Seit März machten wir mit unserer Organisation „Marsch der Mütter“ Aktionen in Berlin. Organisiert hat das alles Dascha Malachowa, sie hat mit mir am Theater in Kiew gearbeitet. Den „Marsch der Mütter“ gibt es in verschiedenen Städten Europas, Menschen aus der Ukraine kommen zusammen und nehmen an den Aktionen teil. Dann sind alle aus der Organisation „Marsch der Mütter“ dem Verein „Vitsche“ beigetreten.
Wenn du losgehst und etwas tust, dann fühlst du dich nicht hilflos. Denn als wir dasaßen und es einfach nur still war und nicht schlimm, wusste man nicht, wozu das alles. Sogar in Kiew, als wir noch nicht weggefahren waren, wollte ich etwas tun. Wir liefen ständig in den ersten Stock rauf, um nachzusehen, welche Flugobjekte über unser Haus flogen, um dann die Informationen weiterzugeben.
„Ich möchte zurückgehen“
Meine Schwester ist zurückgefahren. Ihr Sohn ist jetzt in Litauen an der Universität. Ich habe in Berlin inzwischen Projekte. Wir haben sofort an den Wochenenden angefangen, Projekte zu machen, zur Unterstützung der Ukraine, mit Liedern zur Gitarre, mit Konzerten. Dann hat uns ein Kindertheater angesprochen, wir sollten Märchen machen. Wir haben uns getroffen und versuchsweise geprobt. Es war super, hier wieder in meinem Beruf zu arbeiten.
Jetzt zeigen wir jeden Sonntag ein Märchen für ukrainische Flüchtlinge. Das ist sehr notwendig. Es gibt dir das Gefühl, dass du etwas tust, und nicht einfach nur überlebst.
Es ist sehr schwer zu verstehen, dass mein Theater in Kiew jetzt mit aller Kraft versucht, zu arbeiten. Ständig geht das Licht aus, und trotzdem spielen sie. Und das Publikum kommt. Für mich ist das seltsam. Ich habe schon verstanden, was in Berlin läuft, aber was dort läuft, weiß ich nicht.
Ich will zurück. Ich warte auf den Moment, wo es klappt. Aber gleichzeitig will ich hier auch nicht vergammeln. Ich will von hier etwas mitnehmen, das wir dort anschließend brauchen werden. Ich sauge so viel wie möglich in mich auf. Die Trainings, die Sprache, internationale Kontakte. Das ist wichtig.
In Berlin unterstützen uns die Kollegen sehr stark. Sie haben zum Beispiel bei Crew United in Erfahrung gebracht, wie man für die Ukrainer eine kostenlose Mitgliedschaft machen kann, damit sie ihr vollständiges Portfolio dort einstellen können.
In der Schule: „Putin ist super“
In der Schule hat mein Kind jetzt Probleme, die türkischen Kinder laufen herum und sagen: „Putin ist super“. Aber das haben sich die Kinder ja nicht selber ausgedacht.
Gott sei Dank bin ich in Berlin keinem Putinversteher begegnet. Ich bin nämlich ein jähzorniger Mensch. Das ist keine Frage der persönlichen Beziehung, sondern elementares menschliches Verständnis von Gut und Böse.
Bis zuletzt wollten viele nicht glauben, dass so etwas sein könnte. Ich weiß noch, wie wir gelacht haben, am 16. Februar, als die Nachricht kam, Russland wolle die Ukraine erobern. Wir lachten, dass in diesem Moment Russland nur Belarus vollständig „erobert“ hatte. Dieses Land hat die fremden Panzer hereingelassen, das heißt, sie nehmen tatsächlich an diesem Krieg teil.
Die Menschen gehen jetzt aus Prinzip zur ukrainischen Sprache über. Nicht weil sie etwas gegen die russische Sprache haben. Wir haben russischsprachige Soldaten in den Schützengräben. Worüber reden wir. So was gab es nicht, dass die russische Sprache verdrängt wurde.
Den Krieg kann man nicht beschreiben
Ich weiß nicht, wie man den Krieg beschreiben soll. Um ihn zu verstehen, muss man ihn fühlen. Mir hat vor einiger Zeit ein Bekannter aus Israel erzählt, wie er einmal in einem Bus fuhr und nicht wußte, ob er ankommen würde oder nicht. So lebt man jetzt in der Ukraine. Man befindet sich dort nirgends in Sicherheit. Es bleibt nur zu hoffen, dass alle ihren Job richtig und gut machen.
Die Menschen haben Angst zu sterben. Man spürt das sehr präzise, dass man sterben kann. Man kann sehr präzise sehen, wie sie sterben, wie die Menschen bei ihren Häusern verscharrt werden. Was da geschieht, liegt jenseits des menschlichen Verstands. Und jedes Gespräch über Politik oder Wirtschaft jetzt, wenn sie sagen „Ach komm, wir kaufen trotzdem das Öl ein wenig günstiger ein...“ Ich möchte sie erwürgen, ehrlich gesagt. Ja, das Hemd ist jedem näher als die Jacke. Aber solange ein Mensch nicht selber ein paar Stunden bei heulenden Sirenen im Keller gesessen hat, versteht er nicht, was Krieg ist.
Im Moment gibt es in der Ukraine keine Arbeit für Schauspieler. Die Kultur ist jetzt sehr stark ins Abseits geraten, weil niemand Lust hat, sich zu amüsieren. Ja, ich kann zurück ans Theater, aber da gibt es keinen Lohn oder nur sehr wenig. Weil kein Geld da ist.
Für die Zukunft planen? Wie soll das gehen?
Ich habe verlernt, für die Zukunft zu planen. Planen, so einen Begriff gibt es nicht. Ich plane allerhöchstens für eine Woche. Und im Moment habe ich nur einen Gedanken – wahrscheinlich muss ich in Deutschland überwintern. Deshalb versuche ich hier eine Arbeit zu organisieren, um existieren zu können und niemandem zur Last zu fallen und dort zu helfen.
Ich kann nicht sagen, dass Deutschland nicht mein Ding ist. Es gefällt mir hier, mir gefällt die deutsche Mentalität. Allerdings bin ich hier in Berlin, und das beschreibt nicht ganz Deutschland. Berlin passt ganz gut zu mir. Aber ich will trotzdem nach Hause. Mein Zuhause passt besser zu mir. Ich will nach Hause, zu Hause gefällt es mir besser, zu Hause ist es schöner. Zu Hause ist zu Hause. Mir ging es gut zu Hause, ich bin nicht weggegangen, weil es mir dort schlecht ging.