Krieg in der Ukraine

Müssen Z-ler vor Gericht?

Ein freiheitlicher Rechtsstaat darf nicht den Putin-Fehler begehen und Gesinnungen bestrafen

von Heribert Prantl
Kriegssymbol Z
Prantl stellt klar: Meinungsfreiheit gilt nicht nur für angenehme oder wertvolle Meinungen. Dieses "Z" verunstaltete Prag.

Vor ein paar Jahren machte ein Film Furore, der „Das weiße Band“ hieß. Der Film handelt von unerbittlicher Moral und von der tückischen Einbeziehung in ein autoritäres System. Die bittere Geschichte spielt kurz vor dem Ersten Weltkrieg in einem norddeutschen Dorf. Sie spielt in einer Zeit, als „elterliche Gewalt“ noch im Wortsinn zu verstehen war, als die Kinder ihre Eltern zu siezen und sich für Prügel zu bedanken hatten. Sie handelt von einem scheinheiligen Pastor, der seine Kinder misshandelt und ihnen als Warnung vor der Sünde, als Mahnung zur Tugend und als Symbol der Unschuld das „weiße Band“ um den Oberarm bindet.

Das weiße Band bindet sie ein in eine repressive patriarchale Welt – in der Falschheit, Bigotterie und Heuchelei herrschen. Der Film zeigt das Psychogramm einer autoritären Gesellschaft. Die Botschaft: In diesem Klima von Befehl und Gehorsam, von Scheinheiligkeit und Repression war eine Generation herangewachsen, die dann zum Gehilfen und Vollstrecker der mörderischen Maschinerie des Nationalsozialismus geworden war.

Nur eine alte Geschichte? Plusquamperfekt? Das Spiel mit der Repression ist ein ewiges Spiel, es ist ein hinterfotziges, ein pharisäerhaftes Gesellschaftsspiel in autoritären Gesellschaften, gestern und heute. Das weiße Band damals sollte demonstrieren, wie tugendhaft die Kinder sind.

Das weiße Z heute soll zeigen, wie patriotisch die Russen sind. Der russische Präsident Wladimir Putin behandelt die Bürgerinnen und Bürger seines Landes so, wie der Pastor des weißen Bandes vor hundert Jahren seine Kinder behandelt hat.

Putins weißes Band ist das weiße Z: Erst war es auf den russischen Invasionspanzern und Militärfahrzeugen in der Ukraine angebracht, um diese vom mobilen Gerät des ukrainischen Militärs zu unterscheiden. Sodann machte Putins Propaganda das Z zum Zeichen der Unterstützung für den Krieg und den Kriegspräsidenten: Man sah und sieht es in Werbefilmen, auf Hauswänden, auf T-Shirts.

Dieses Z ist zu einem Buchstaben der Kriegswerbung geworden; dieses Z ist ein Bekenntnis, es ist die Putin-Rune. Auch in Deutschland sieht man das Z inzwischen immer häufiger – sei es als T-Shirt-Motiv oder als Aufkleber an der Heckscheibe des Autos.

Weil die Empörung über Putin zu Recht groß ist, gibt es offenbar das öffentliche Bedürfnis, das öffentliche Präsentieren dieses Symbols in Deutschland symbolhaft zu bestrafen. Innen- und Justizminister haben das verlangt; Polizei und Staatsanwaltschaft in etlichen Bundesländern wurden bereits angewiesen, gegen Z-ler zu ermitteln: Das ist ein verständlicher, aber wenig hilfreicher Drang – auch wenn der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba alle Staaten aufgefordert hat, die Verwendung des Z-Symbols zu kriminalisieren.

Was sagt das deutsche Strafrecht?

Das Strafrecht ist nicht für symbolische Aktionen da. Im deutschen Strafgesetzbuch gibt es freilich einen bislang ziemlich unbekannten Paragrafen, den man da instrumentalisieren kann. Er trägt die Paragrafennummer 140, und er bestraft die Belohnung und Billigung bestimmter Verbrechen mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren; zu diesen Verbrechen gehört auch der Angriffskrieg.

Dieser Paragraf 140 zählt zu den Straftaten gegen die öffentliche Ordnung, aber er ist nicht in Ordnung. In der Strafverfolgungspraxis spielt er bislang kaum eine Rolle. In der Polizeilichen Kriminalstatistik für 2019 sind ganze 54 Fälle erfasst, für 2020 sind es 148; und es gab praktisch keine Verurteilungen, nämlich nur ein Dutzend. Das sollte auch so bleiben. Warum? Ein freiheitlicher Rechtsstaat darf nicht den Putin-Fehler machen und Gesinnungen bestrafen.

Ein rechtsstaatliches Strafrecht bestraft Taten, nicht Gesinnungen; ein Gesinnungsstrafrecht ist kein gutes Strafrecht. Im Fall Z soll die bloße innere Übereinstimmung mit einer fremden Tat bestraft werden: Es geht ja nicht um Verunglimpfung oder Beleidigung, nicht um Verhetzung, nicht um Gewaltdarstellung – das Äußerungsunrecht soll hier auf die bloße Identifikation mit einer Straftat heruntergesetzt werden.

Es handelt sich um die weiteste Vorverlagerung von Verbrechensbekämpfung, die denkbar ist. Die rechtsgutfeindliche Meinungsäußerung wird mit dem Rechtsbruch verwechselt. Die Bestrafung des Z behandelt den Gesinnungsdemonstranten nicht als Bürger, sondern als Feind.

Man sollte Putins Krieg nicht auf diese Weise in die deutschen Gerichtssäle tragen. Zur Meinungsfreiheit gehört es, selbst fürchterlichen Unsinn zu vertreten. Meinungsfreiheit gilt nämlich nicht nur für angenehme oder wertvolle Meinungen, sondern auch für unangenehme und schädliche; also brauchen bekanntlich auch Neonazis um ihre Grundrechte nicht zu betteln.

Gleichwohl hat das Bundesverfassungsgericht den Volksverhetzungsparagrafen für verfassungsmäßig erklärt – also die Holocaust-Leugnung und die Verherrlichung des Nationalsozialismus, wenn dadurch der öffentliche Friede oder die Würde der Opfer verletzt sind. Es handelt sich um Einschränkungen der Meinungsfreiheit, die einen guten Grund haben: Die Freiheitsgrundrechte des Grundgesetzes verkörpern die Erinnerung an das NS- Menschheitsverbrechen.

Diese Erinnerung darf nicht verwüstet werden durch die militante Beleidigung der Opfer. Das ist der Sinn des Volksverhetzungsparagrafen. Man kann ihn nicht auf Putin-Freunde ausdehnen.

Das Strafrecht ist ein Teilbereich der sozialen Kontrolle; die Strafen sollen nicht nur Freiheit und Sicherheit, sondern auch die Bestandskraft derjenigen Normen sichern, die für das Leben unverzichtbar sind. Muss man aber zu diesem Zweck wirklich ein Z auf dem T-Shirt bestrafen? Ist das eine Beteiligung am Angriffskrieg? Eine psychische Beihilfe, eine Unterstützung, gar eine Art Anstiftung? Nicht im Ernst.

Mit dem strafbewehrten Verbot der Billigung von Straftaten soll auf das Kommunikationsklima eingewirkt werden, es geht also um den öffentlichen Frieden – um den Rechtskonsens in der Bevölkerung, der nicht gestört werden soll. Die Frage ist freilich, ob er nicht vor allem durch die obsessive Aufmerksamkeit gestört wird, die diesem Z geschenkt wird.

Dieser Beitrag ist ursprünglich erschienen in: Süddeutsche Zeitung, 2.4.2022 / Alle Rechte vorbehalten: Süddeutsche Zeitung GmbH, München

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