Russland und der Westen

Die Nato und das gebrochene Versprechen

Wie Nato und Deutschland den Traum vom europäischen Zeitalter des Friedens verloren

Nato Osterweiterung Russland und der Westen

Der heutige Konflikt zwischen Russland und der NATO wurde 1990 geboren. Dabei hat Deutschland eine besondere Verantwortung, die aus der deutschen Einigung entspringt. Es geht um die Frage, ob die Sowjetunion in diesem Zusammenhang die Versicherung erhielt, dass sich die NATO nicht ostwärts ausdehnt.

Bis heute wird das als fixe Idee Russlands hingestellt, zuletzt von Stefan Kornelius in der Süddeutschen Zeitung. Die Archive seien „weiter“, schrieb er, das alles habe nur für Ostdeutschland gegolten und es gäbe ja auch nichts Schriftliches.

Nun, die Archive in den USA sind eindeutig: Es hat dieses politische Versprechen gegeben und Urheber der Idee war der damalige deutsche Außenminister Genscher. Tatsächlich gibt es keine vertragliche Fixierung.

Der einzige Platz, ein solches Versprechen vertraglich zu vereinbaren, wäre der Zwei-plus-vier-Vertrag gewesen, mit der Folge, dass dadurch der Zeitplan der deutschen Einigung über den Haufen geworfen worden wäre. Und das bereits destabilisierte Ostdeutschland drohte völlig außer Kontrolle zu geraten.

Zur Erinnerung: Die französische Zustimmung zur deutschen Einigung erfolgte nicht aus Liebe zu Deutschland, sondern ausdrücklich in Anerkennung der instabilen Lage. Niemandem konnte damals an einer weiteren Destabilisierung gelegen sein, zumal zu diesem Zeitpunkt noch sowjetische Truppen in Ostdeutschland stationiert waren.

Auch Gorbatschow stellte sich seiner Verantwortung. Er hatte zudem berechtigte Gründe anzunehmen, dass nach dem Ende des Kalten Kriegs ein Zeitalter des Friedens und der Kooperation anbrechen werde. Es sollte nun um die Lösung der Zukunftsprobleme gehen, wie Abrüstung, Klimawandel oder ein kollektives Sicherheitssystem.

Damals waren auch die westlichen Politiker dieser Meinung. Die Charta von Paris legt Zeugnis ab, dass es 1990 diesen gemeinsamen Willen gab, ein neues Kapitel in der europäischen Geschichte aufzuschlagen. Aber nicht lange danach interessierten sich die NATO-Strategen nicht mehr die Bohne für die damaligen Versprechen.

Der Feind war geschlagen, der Westen „Sieger der Geschichte“ und Russland, diese „europäische Mittelmacht“, würde in die Knie gezwungen werden. Das misslang. Aber je mehr es misslang, umso verbissener wurde die westliche Politik gegenüber Russland.

Und hier kommt die Ukraine ins Spiel.

Den Westen und Russland eint in der Ukraine-Frage, dass sich keine Seite um die Ukrainer schert. Es ist allein die geostrategische Lage des Lands, die für beide von Interesse ist. Für Russland geht es um seine nationale Sicherheit, für den Westen um deren Schwächung.

Die Ukrainepolitik der USA lief vor 2013 auf das Ultimatum hinaus: Entweder mit uns oder gegen uns. Wie das endete, ist bekannt: Ein ethnisch zerrissenes Land, eine verlorene Krim.

Der Fox-Moderator Tucker Carlson interviewte am 11. November 2021 den Abgeordneten Turner, Mitglied des US-amerikanischen Verteidigungsausschusses. Turner beschwerte sich, dass Russland eine militärische Strategie verfolge, um einen Angreifer daran zu hindern, in russisches Territorium zu gelangen.

Der Hype um die Frage, ob Russland die Ukraine angreifen könnte, was auf westlichen Annahmen beruht, aber auch das Eingeständnis einschließt, sich in einem solchen Fall militärisch nicht zu exponieren, verdeckt das zentrale Problem: Werden sich die USA und ihre NATO-Verbündeten aufraffen, nunmehr die berechtigten Sicherheitsinteressen Russlands zu respektieren? Wird anerkannt, dass die Sicherheit in Europa unteilbar ist und nicht gegeneinander erreicht werden kann, sondern nur gemeinsam? Und wird sich deutsche Politik auch wieder an das Jahr 1990 erinnern?

Man kann es nur hoffen. Die NATO ist heute nicht mehr alleiniger Schiedsrichter in der Sache. Russland hat mit China einen mächtigen Unterstützer, auch Indien signalisiert Sympathie mit Russland. Die Zeiten haben sich gegenüber den 1990er-Jahren deutlich geändert. In einer Einigung zwischen NATO und Russland läge auch für die Ukraine die beste Chance, um aus ihrer Dauermisere herauszukommen, in die sie durch das west-östliche Tauziehen stürzte.

Dieser Beitrag ist ursprünglich erschienen in

WeltTrends. Das außenpolitische Journal
"Künstliche Intelligenz"
Februar 2022, Nummer 184

Potsdamer Wissenschaftsverlag
72 Seiten
Zeitschrift
5,80 Euro
ISBN 978-3-947802-661
Zum Verlag