Andrei Schdanow

Der Kalte Krieg im Innern

Mitte August 1946 begann Andrei Schdanows Kampagne gegen die ‚Speichellecker des Westens‘

von Alexander Frese
Für seinen Krieg gegen die Literaten gelobt von Stalin: Andrei Schdanow (rechts)
Für seinen Krieg gegen die Literaten gelobt von Stalin: Andrei Schdanow (Bild von 1934)

Der Krieg war vorbei, seit einem Jahr war endlich Frieden. Doch bei aller Erleichterung über das Ende des massenhaften Schlachtens und Sterbens, und bei allem Stolz über den schwer erkämpften Sieg über Nazideutschland, bot die Sowjetunion im Sommer 1946 ein tristes Bild. Große Teile des Lands lagen in Trümmern, in fast jeder Familie hatte der Krieg Opfer gefordert, und zu alledem verursachte eine Dürre im Frühjahr und Sommer eine verheerende Hungersnot.

Trotzdem lag über dieser entmutigenden Szenerie eine große Hoffnung – die weit verbreitete Erwartung der Menschen nämlich, dass die gewaltigen Opfer, die sie während des Kriegs erbracht hatten, nun ihren Lohn finden würden in größeren Freiheiten und einer Abkehr von den dunklen Jahren des großen Terrors, der die Zeit vor dem Krieg geprägt hatte. Die Kriegsjahre waren in mancher Hinsicht schon von gewissen – obschon stark begrenzten – Lockerungen und Liberalisierungstendenzen geprägt gewesen.

Mitte August 1946 aber, vor 75 Jahren, erhielten solche Hoffnungen eine kalte Dusche. Die Zugeständnisse der Kriegszeit erwiesen sich als temporäre Konzessionen, mit denen die Staatsführung in der Stunde ihrer schwersten Prüfung sich der Loyalität ihrer Untertanen versichern wollte, obschon auf das „bewährte“ Repertoire des Repressionsapparates auch während des Kriegs keineswegs verzichtet worden war.

Auch die Zusammenarbeit der „Großen Drei“ war seit dem Sieg über den gemeinsamen Feind zunehmend von Konflikten geprägt. Schon im Februar 1946 hatte Stalin in einer „Wahlkampfrede“ das alte Thema vom unvermeidlichen Konflikt zwischen sozialistischer Sowjetunion und „kapitalistischen Imperialisten“ wiederaufleben lassen.

Kalter Wind gegen Intelligenzia und Kultur

Im Inneren fiel es dem Politbüromitglied und Fachmann für Ideologiefragen Andrei Schdanow zu, einen neuen kalten Wind über die sowjetische Intelligenzia und die Kulturlandschaft wehen zu lassen. Während sich außen die früheren Verbündeten USA und Großbritannien zu Feinden verwandelten, galt es innerhalb der Sowjetunion ihre feindlichen Entsprechungen aufzuspüren. Die äußere Konfrontation wurde im Inneren gespiegelt – und umgekehrt.

Bereits am 14. August 1946 hatte das sowjetische Zentralkomitee – nach einer Sitzung mit Stalin am 9. August – in einer Entschließung zwei in Leningrad erscheinende Literaturzeitschriften, „Swesda“ („Stern“) und „Leningrad“, für ihre „völlig unbefriedigende“ Linie scharf kritisiert. Insbesondere die dort publizierten Autoren Michail Soschtschenko und Anna Achmatowa wurden auf verschiedenste Weise herabgesetzt und als „unsowjetisch“ gebrandmarkt und entsprechende Änderungen verlangt. Der letzte Punkt der Entschließung lautete: „Den Genossen Schdanow nach Leningrad schicken, um den Beschluss des ZK zu erläutern.“ Dies tat der Sowjetführer am 15. und 16. August 1946 in zwei langen Reden, die am 21. September in stark überarbeiteter Form in der „Prawda“ erschienen. (Bereits am 21. August 1946 war dort die Entschließung des ZK „Über die Zeitschriften ‚Swesda‘ und ‚Leningrad‘“ publiziert worden.)

Schdanow sprach am 15. August zunächst vor Parteimitgliedern, dann am Folgetag vor zahlreichen Schriftstellern und Literaturwissenschaftlern. Von der enormen Wirkung des Vortrags auf die Zuhörenden zeugen die Erinnerungen einiger damaliger Teilnehmer. So notierte der Literaturwissenschaftler Boris Eichenbaum in seinem Tagebuch: „Es wurde eine Entschließung vorgelegt, die gestern von Schdanow mit seinen Kommentaren (er sprach 1,5 Stunden) angekündigt wurde. Das Wichtigste in dieser Entschließung, die von Schdanow ausführlich erläutert wird, ist der Beschluss zu Soschtschenko … und zu Achmatowa. Sie sind aus der Literatur verbannt und werden aus der Union (der Schriftsteller) ausgeschlossen. Über Soschtschenko alle Schimpfwörter, auch die schlimmsten: ‚Abschaum der Literatur‘, vulgär, ein Hooligan: eine Abscheulichkeit, hat nichts für die Menschen während des Krieges getan, etc. Er will, dass wir uns an ihn anpassen, das wird nicht passieren, und wenn er nicht mit uns arbeiten will, soll er zur Hölle fahren (wörtlich so). Auch über die Serapionsbrüder wurde in einem Ton tiefer Verachtung gesprochen. Über Achmatowa: eine bürgerlich-adlige Dichterin, dekadent, pessimistisch, zwischen Boudoir und Kapelle wandernd usw. Auf die schärfste Art und Weise über die Symbolisten. Mit einem Wort: ein Todesurteil für beide.“

Der ebenfalls anwesende jüdische Skandinavist und Germanist Wladimir Admoni erinnerte sich später: „Als er (Schdanow) über Soschtschenko und die Bösartigkeit der Serapionsbrüder im Allgemeinen sprach, las er manchmal ein Zitat vor; er nahm eines der Bücher vom Tisch und schleuderte es, nachdem er das Zitat beendet hatte, auf den Boden. … Wir, und wahrscheinlich die meisten von uns im Publikum, saßen wie betäubt da. Nach dem anfänglichen Schrecken, der uns überwältigte, fielen wir in eine Art Schockzustand, als wir begriffen, worum es ging. Das Grauen hatte aufgehört zu wachsen. Offensichtlich konnte es nicht weiter zunehmen. Und das Mitgefühl für unsere Freunde, die direkt und namentlich vernichtet wurden, verband sich sofort mit dem Gefühl, dass das Dekret einen viel größeren und tieferen Bereich wegnahm als den, auf den es sich direkt bezog. Es zerstörte alle Idylle und Illusion. Es war die Rückkehr zu der Gewohnheit des täglichen Terrors, die uns vor dem Krieg jahrelang beherrscht hatte und die ich seit Mitte der 1920er Jahre kannte. Der Schock war so groß, weil er so unerwartet kam.“

Vernichtet als „Unpersonen“: Soschtschenko und Achmatowa

Stalin hingegen zeigte sich hochzufrieden mit dem Auftritt seines ideologischen Scharfmachers: „Habe Ihren Vortrag gelesen,“ teilte er Schdanow am 19. August schriftlich mit. „Ich meine, dass er vorzüglich gelungen ist. Er muss jetzt möglichst schnell in Druck gehen, und dann auch als Broschüre aufgelegt werden. Siehe meine Korrekturen im Text. Grüße!“

Der von den wüstesten Ausfällen bereinigte Text erschien in der Tat schon bald auch als Broschüre in hohen Auflagen und wurde Teil des universitären Lehrplans. Soschtschenko und Achmatowa wurden zu Unpersonen, mit denen jeder soziale Kontakt gefährlich war. Ihre Bücher wurden aus Bibliotheken und Buchhandlungen entfernt; sie selbst wurden aus dem Schriftstellerverband ausgeschlossen und verloren auch ihren Anspruch auf Brotkarten. Ihr Überleben in dieser Zeit verdankten sie vor allem auch der Unterstützung furchtloser Freunde.

Das Vorgehen gegen die Literaten vom August 1946 war aber nur der Auftakt zu einem sehr viel umfassenderen Rundumschlag, der sich gegen missliebige Personen und Tendenzen im gesamten Kultur- und Wissenschaftsbetrieb richtete. Bereits im September 1946 lancierte Schdanow scharfe Angriffe gegen prominente Filmregisseure; Anfang 1948 rückten dann auch Komponisten ins Zielfeld der staatlichen Angriffe. Natur- und Geisteswissenschaftler sahen sich ebenfalls ideologischer Gängelung und zunehmenden Repressionen ausgesetzt. Schdanow prägte in dieser Zeit den Begriff von den „Speichelleckern des Westens“.

Abgrenzung gegenüber dem Westen

Bis zu seinem Tod Ende August 1948 erschien immer wieder Andrei Schdanow als die treibende Kraft hinter den Angriffen auf die sowjetische Kultur und Wissenschaft. Dass er aber nicht ihr Urheber oder ihr zentraler Repräsentant war, wurde spätestens dann klar, als die von Anfang an mit nationalistischen, antiwestlichen und antisemitischen Tönen begleitete Kampagne nach seinem Tod nicht abnahm, sondern sich im Gegenteil noch intensivierte. Gerade die antisemitische Dimension der Maßnahmen wurde immer stärker. Die als „vaterlandslose Kosmopoliten“ angefeindeten Künstler und Wissenschaftler hatten in ihrer großen Mehrheit einen jüdischen Hintergrund und gipfelten in der angeblichen „Ärzteverschwörung“ kurz vor Stalins Tod.

Statt der erhofften Befreiung folgte auf den Krieg so eine erneute bleierne Zeit voller Furcht und Repressionen. Ihr Muster – das Zusammengehen einer isolationistischen, scharfen Abgrenzung gegenüber dem westlichen Ausland mit einer repressiven Politik nach Innen – ist ein wiederkehrendes Motiv der neueren russischen Geschichte.

Blickt man nur auf die Sowjetzeit, folgte zum Beispiel auf die relative kulturelle Offenheit der 1920er-Jahre und den verstärkten wirtschaftlichen Kontakten in den Jahren des ersten Fünfjahresplans die Hysterie der Terrorjahre ab 1935. Die innere Liberalisierung und verstärkte Öffnung auch nach außen – insbesondere gegenüber den nun unabhängigen Staaten der ehemaligen kolonialen Welt – unter Chruschtschow wurde von einer allmählichen Verhärtung im Laufe der langen Breschnew-Ära begleitet, die im „zweiten Kalten Krieg“ endete.

Und kann man sich mit Blick auf die jüngsten Entwicklungen des Gefühls eines wenig erfreulichen Déjà-vus noch erwehren? Wer einer solch zyklischen Sichtweise folgen möchte, kann immerhin Trost aus der Einsicht gewinnen, dass bisher auf jede Phase innerer Abschließung noch eine liberale Öffnung folgte.