Krieg: Wann wird ein Staat Konfliktpartei?
Dokumentation Rechtsgutachten: Der schmale Grat zwischen Unterstützung der Ukraine und Kriegsteilnahme
Die Abteilung Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags legte am 16. März 2022 ein Gutachten zu „Rechtsfragen der militärischen Unterstützung der Ukraine durch NATO-Staaten zwischen Neutralität und Konfliktteilnahme“ vor. Waffenlieferungen an den Angegriffenen Staat sind demnach erlaubt, nicht aber Ausbildung an Waffen, das Eingreifen mit eigenen Streitkräften und Durchsetzung einer No-Fly-Zone über der Ukraine. Eine knifflige Frage ist auch: Wer darf Kampfjets in die Ukraine bringen – und von welchem Flughafen?
KARENINA dokumentiert die Ergebnisse im Wortlaut (ohne Fußnoten).
1. Einführung
Im aktuellen Krieg zwischen Russland und der Ukraine befinden sich die NATO-Staaten auf einer Gratwanderung, indem sie einerseits die Ukraine militärisch unterstützen, ohne dabei andererseits als Partei in den bewaffneten Konflikt zwischen Russland und der Ukraine zu intervenieren (sog. „Drittintervention“). Mit der Drittintervention in einen bewaffneten Konflikt sind gravierende rechtliche und militärische Folgen verbunden – von einer geographischen Ausweitung des Konfliktgebietes bis hin zum (nuklearen) Eskalationspotential.
Die in den Medien vehement diskutierte Frage, wann ein Staat, der eine Konfliktpartei militärisch unterstützt, selbst zur Konfliktpartei wird, lässt sich allerdings nicht ohne weiteres abstrakt und erst recht nicht exakt anhand einer „roten Linie“ beantworten. Vielfach existieren Grauzonen, die rechtlich auszuleuchten sind und eine Antwort auf die gestellte Frage nur im konkreten Einzelfall erlauben.
2. Militärische Unterstützung und Waffenlieferungen
Als völkerrechtlich gesichert kann gelten, dass die militärische Unterstützung einer bestimmten Konfliktpartei in Form von Waffenlieferungen, einer Zurverfügungstellung von militärischer Ausrüstung o. ä. noch nicht die Grenze zur Konfliktteilnahme überschreitet. Die Frage, wie eine militärische Unterstützung von Konfliktparteien durch Waffenlieferungen mit dem traditionellen Neutralitätsgebot (niedergelegt in der V. Haager Konvention von 1907) zu vereinbaren ist, darf weitgehend als entschieden angesehen werden. Das Neutralitätsrecht wird durch das allgemeine Gewaltverbot und das System der kollektiven Sicherheit, welches die VN-Charta in Kapitel VII geschaffen hat, gewissermaßen überlagert. An die Stelle der Neutralität trat ein neuer Rechtsstatus der Nichtkriegführung („non-belligerency“). Zur historischen Entwicklung und dogmatischen Herleitung der Rechtsstellung der „Nichtkriegführung“ führt der Bonner Völkerrechtler Stefan Talmon aus:
„Im Jahr 1934 stellte die Vereinigung für Internationales Recht in ihrer Budapester Erklärung zur Interpretation des Kriegsächtungspakts [sog. Briand-Kellogg-Pakt vom 27. August 1928, der heute immer noch gültig ist und 63 Staaten, darunter Deutschland und Russland bindet] fest, dass die anderen Vertragsparteien es im Falle einer Verletzung des Paktes ablehnen dürfen, dem Aggressor gegenüber die Pflichten der Neutralität zu erfüllen. Damit war der Weg frei für die finanzielle oder materielle Unterstützung des angegriffenen Staates – einschließlich mit Kriegsmaterial. Die dahinter stehende Idee war, dass alle Vertragsparteien ein Interesse an der Sanktionierung des Aggressors hatten. An die Stelle der Neutralität trat der neue Status der Nichtkriegführung („non-belligerency“). Entgegen einer weit verbreiteten Ansicht in der Literatur handelt es sich bei der Nichtkriegführung nicht um eine Zwischenstufe zwischen Neutralität und Kriegszustand, sondern um eine die Neutralität ersetzende Rechtsstellung.
Der Begriff der „Nichtkriegführung“ bzw. des „Nicht-Kriegführenden“ war auf der 38. Tagung der Vereinigung für Internationales Recht im September 1934 in Budapest vom schwedischen Völkerrechtler und späteren Richter des Ständigen Internationalen Gerichtshofs Åke Hammarskjöld in Abgrenzung zum klassischen Begriff der Neutralität gewählt worden, um die Rechtsstellung der Vertragsparteien des Kriegsächtungspaktes zu beschreiben, die sich gegen den Aggressor stellen, ohne selbst aktiv an den Kampfhandlungen teilzunehmen. Obwohl die Budapester Interpretationserklärung des Kriegsächtungspakts vor allem in der Völkerrechtswissenschaft nicht unumstritten war, wurde sie in den Folgejahren von mehreren Staaten aufgegriffen. Bereits im April 1935 berief sich der ehemalige US-Außenminister Henry L. Stimson in einer Rede vor der amerikanischen Gesellschaft für Völkerrecht auf die Budapester Interpretationserklärung, als er erklärte, dass ein Verstoß gegen den Kriegsächtungspakt ein Völkerrechtsverstoß gegen alle Vertragsparteien darstelle und diese dazu berechtige, dem Aggressor die klassischen Rechte der Neutralität zu versagen.“
Gilt es also, der Verletzung des Gewaltverbotes (Art. 2 Ziff. 4 VN-Charta) durch einen Aggressor-Staat als Staatengemeinschaft entgegen zu treten, ist heute kein Staat mehr zur „Neutralität“ gegenüber den Konfliktparteien verpflichtet. Jeder Staat kann und darf den angegriffenen Staat unterstützen, ohne dabei selbst Konfliktpartei werden zu müssen; dabei nimmt der unterstützende Staat eine nicht-neutrale, gleichwohl aber am Konflikt unbeteiligte Rolle ein. Diese Rolle (non-belligerency) ist zu unterscheiden von der kollektiven Selbstverteidigung/Nothilfe gem. Art. 51 VN-Charta. Auch hier wird dem angegriffenen Staat militärische Hilfe geleistet – aber als Konfliktpartei.
Bei Unterstützungsleistungen auf der Grundlage von non-belligerency bleibt der Umfang von Waffenlieferungen, aber auch die Frage, ob es sich dabei um „offensive“ oder „defensive“ Waffen handelt, rechtlich unerheblich. Erst wenn neben der Belieferung mit Waffen auch die Einweisung der Konfliktpartei bzw. Ausbildung an solchen Waffen in Rede stünde, würde man den gesicherten Bereich der Nichtkriegsführung verlassen.
3. Teilnahme am Konflikt
Rechtlich weitgehend unumstritten erscheint neben dem Bereich des non-belligerency auch der Bereich der Konfliktteilnahme durch Drittstaaten (co-belligerency): Das Eingreifen mit eigenen Streitkräften, d. h. die unmittelbare Beteiligung an den Konflikthandlungen mit militärischer „Man-Power“, machen einen unterstützenden Staat zweifelsohne zur kriegsführenden Konfliktpartei („co-belligerent“). Rechtsfiguren, die das Überschreiten der „Schwelle“ zur kriegsführenden Partei beschreiben, finden sich etwa in der sog. „unmittelbaren Teilnahme an Feindseligkeiten“ im Sinne von Art. 51 Abs. 3 des 1. Zusatzprotokolls (ZP I) zu den Genfer Konventionen oder in der „Einbeziehung in bewaffnete Unternehmungen“ im Sinne des § 2 Parlamentsbeteiligungsgesetz. Eine Konfliktteilnahme läge nicht erst mit den sprichwörtlichen „boots on the ground“ vor, sondern bereits bei der militärischen Überwachung und Durchsetzung einer „No-Fly-Zone“ (gegen russische Kampfjets) im ukrainischen Luftraum.
4. Rechtliche Grauzonen
Schwieriger zu beurteilen bleiben hingegen die Grauzonen zwischen Nichtkriegsführung („non-belligerent“) und Konfliktteilnahme („co-belligerent“). Rechtliche, aber auch logistische Probleme zeigten sich etwa mit Blick auf die von Polen vorgeschlagene Lieferung von Kampfjets vom Typ MiG-29 an die Ukraine unter Nutzung eines US-Militärstützpunktes in Deutschland. Der Bochumer Völkerrechtler Pierre Thielbörger leuchtet den rechtlichen Graubereich in einem NZZ-Interview wie folgt aus:
„Wie gesagt stellt die bloße Lieferung von Waffen kein Problem dar. Bei der Lieferung von Kampfjets stellen sich aber im Unterschied zur Lieferung panzerbrechender Waffen massive logistische Fragen. Denkbar wäre entweder, dass Nato-Soldaten die Jets in die Ukraine fliegen. Das wäre eine enorme Eskalation gewesen. Die andere Option wäre, dass ukrainische Soldaten die Flugzeuge in ihr Land bringen. Das an sich wäre rechtlich unproblematisch. Es hätte aber eines Nato-Flughafens bedurft, von dem aus die Jets gestartet wären. Und damit wären die Grenzen zwischen Transport und Eingriff in den Konflikt deutlich poröser geworden. Davor sind die USA aus guten Gründen zurückgeschreckt.“
Grauzonen eröffnen stets Möglichkeiten für rechtlich unterschiedliche Interpretationen und Bewertungen durch alle Beteiligten – auch hinsichtlich der Frage, ob eine Konfliktbeteiligung (durch Drittintervention) vorliegt oder nicht. Medienberichten zufolge habe Russland mit schweren Konsequenzen gedroht, sollten andere Staaten der ukrainischen Luftwaffe gestatten, ihre Flughäfen für Angriffe zu nutzen:
„Die Nutzung der Flughafen-Infrastruktur dieser Länder als Stützpunkt für ukrainische Kampfflugzeuge und ihr Einsatz gegen die russischen bewaffneten Kräfte wird als Beteiligung dieser Staaten an einem bewaffneten Konflikt betrachtet", warnt der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, berichte die Nachrichtenagentur Interfax.
Das mag mit ein Grund dafür gewesen sein, dass das Pentagon den polnischen Vorschlag, MiG-29 Kampfjets über den US-Militärstützpunkt Ramstein in die Ukraine zu liefern, abschlägig beschieden hatte.
„Die Aussicht, dass Kampfjets von einer US- und Nato-Basis in Deutschland abfliegen, um in den Luftraum zu gelangen, der mit Russland um die Ukraine umkämpft ist, gibt Anlass zu ernsthafter Besorgnis für das gesamte Bündnis“, wird Pentagon-Sprecher Kirby in den Medien zitiert.
Bei der Beantwortung der Frage, ob die Nutzung von Militärstützpunkten und Air Bases der NATO bzw. von NATO-Staaten im Ergebnis zu einer Konfliktteilnahme der betreffenden NATO-Staaten führt, kommt es darauf an, wie ausländische Militärstützpunkte oder Umstände des Einzelfalls Flugbasen konkret genutzt würden: Als Operationsbasis für Kampfjets, die den ukrainischen Luftraum verteidigen bzw. gegen russische Stellungen im Konfliktgebiet vorgehen oder eher als „Logistikzentrum“, um Waffen einschließlich Flugzeuge in das Konfliktgebiet zu überführen. Ein völkerrechtlicher Blog-Beitrag leuchtet diese Grauzone rechtlich aus:
„Where States provide their territory as a launchpad for military operations by one party to the conflict against another party, this could constitute a sufficiently direct connection to harm caused to the adversary through these operations. In the 2003 Iraq conflict, for example, this seems to have been the ground on which the US qualified Kuwait and Qatar – from where the US had launched some of its military operations against Iraq – as its ‚co-belligerents‘ against Iraq (but not other States that had permitted their territory to be used for stopovers, such as Ireland, Germany, or Italy). Regarding Russia‘s invasion of Ukraine, Belarus can thus arguably be qualified as a party to the conflict alongside Russia – even as reports of an imminent co-invasion of Ukraine by Belarus have not yet materialized – because it has provided its territory for Russian attacks against Ukraine.
On Ukraine’s side of the conflict, much would depend on the role that foreign airbases would play in supporting Ukraine’s air operations. From the perspective of making the respective State a party to the conflict, it could make a difference whether Ukraine were allowed to launch air operations against Russia directly from such bases or whether the bases were merely to be used to move aeroplanes to Ukrainian bases to join the conflict at a later stage.”
Aus russischer Sicht wäre die „feinsinnige“ Unterscheidung hinsichtlich der Nutzung eines NATO-Stützpunktes indes kaum nachvollziehbar. Auf dem russischen Radar würde letztlich nur ein Kampfflugzeug sichtbar, das, von Westen aus NATO-Gebiet kommend, in den ukrainischen Luftraum eindringt. Dies wäre durchaus als Zeichen interpretierbar, dass sich die NATO in die Kampfhandlungen einschaltet – Eskalationspotential inklusive.
Graubereiche zwischen Konfliktteilnahme und Nichtkriegsführung ergeben sich ferner mit Blick auf die Übermittlung von Geheimdienstinformationen sowie von Informationen der Luftaufklärung durch sog. AWACS-Aufklärungs-Flugzeuge, die im NATO-Luftraum an der Grenze zur Ukraine patrouillieren und Informationen an die ukrainische Luftwaffe weitergeben. Dazu führt Thielbörger im NZZ-Interview aus:
„Hier sind die genauen Umstände entscheidend: Je substanzieller die Unterstützung wird und je abhängiger die unterstützte Partei, also die Ukraine in unserem Fall, davon ist, desto näher kommt man der roten Linie. Strategisch relevante Geheimdienstinformationen fallen dabei natürlich ins Gewicht. Ihrer Natur gemäß sind sie aber natürlich geheim und für die gegnerische Seite nicht oder nur schwer nachzuweisen.“
5. Ius in bello und ius ad bellum
Bei der Drittintervention in einen bewaffneten Konflikt ist zwischen dem ius ad bellum (Recht zum Kriege) und dem ius in bello (Recht im Kriege) zu unterscheiden. Würde in einem hypothetischen Fall die militärische Air Base eines NATO-Staates (z. B. Polen) als Operationsbasis für polnische bzw. ukrainische Kampfjets zur Verteidigung des ukrainischen Luftraums genutzt, so ließe sich dies durchaus als eine unmittelbare Teilnahme an Feindseligkeiten werten. Der betreffende NATO-Staat – nicht jedoch automatisch auch alle anderen NATO-Staaten oder die NATO als Ganzes – würde durch Drittintervention zur Konfliktpartei.
Die polnische Air Base in dem geschilderten hypothetischen Beispielsfall wäre nach dem ius in bello ein legitimes militärisches Ziel und dürfte gemäß humanitärem Völkerrecht (Art. 48 ZP I / Genfer Konventionen) auch von Russland angegriffen werden. Anders sieht es dagegen im Hinblick auf das ius ad bellum (Friedenssicherungsrecht) aus. Die Teilnahme eines NATO-Staates an dem russisch-ukrainischen Konflikt zugunsten der Ukraine wäre völkerrechtlich zulässig – Art. 51 VN-Charta erlaubt die kollektive Nothilfe/Selbstverteidigung zugunsten des angegriffenen Staates. Für den am Konflikt teilnehmenden Staat, welcher der Ukraine Nothilfe leistet, bedeutet dies, dass er dem VN-Sicherheitsrat die auf der Grundlage von Art. 51 S. 2 VN-Charta ergriffenen Maßnahmen sofort anzuzeigen hat.
Für den Aggressor Russland bedeutet die Konfliktteilnahme eines Drittstaates dagegen: Jeder potentielle russische Angriff gegen Drittintervenienten – in unserem hypothetischen Beispielsfall also gegen die polnische Air Base – wäre unstreitig ein (erneuter) Verstoß gegen das Gewaltverbot und damit völkerrechtswidrig.
„At the outset, it should be recalled that whether a State has become a party to an international armed conflict has no bearing on the lawfulness of the use of force by or against the respective States. That question is governed solely by the jus ad bellum. Western States’ becoming party to the conflict alongside Ukraine would not entitle Russia to use force against them, since, even once States are parties to an armed conflict, every instance of use of force by and against them must be assessed against the prohibition of the use force. As others have shown, other States can lawfully assist Ukraine in collective self-defence against Russia’s armed attack (so long as they act in accordance with necessity and proportionality) and Russia has no claim to self-defence against this self-defence.“
Thielbörger konstruiert im NZZ-Interview den gleichen Fall potentiell für Deutschland und unterscheidet dabei zwischen ius in bello und ius ad bellum:
„Deutschland würde durch seine Teilnahme an der kollektiven Selbstverteidigung der Ukraine den Schutz seines eigenen Territoriums nicht verlieren. Russland würde im Falle eines Angriffs erneut gegen das allgemeine Gewaltverbot verstoßen, das nur die Ausnahme der Selbstverteidigung und der Genehmigung durch den Sicherheitsrat kennt. Dieses Verbot ist in Artikel 2 der UNO-Charta festgelegt, die ja auch von Russland anerkannt wird. Anderes könnte aus Sicht des humanitären Völkerrechts gelten, also des Rechts des bewaffneten Konflikts, das ab dem Moment gelten würde, in dem Deutschland in den Konflikt eingreift.“
6. NATO-Bündnisfall
Führt man den hypothetischen Beispielsfall (s.o. 5.) fort, so könnte ein russischer Angriff auf die Air Base eines NATO-Mitgliedstaates, der zur Konfliktpartei („co-belligerent“) im Ukraine-Krieg geworden ist, den Bündnisfall gem. Art. 5 NATO-Vertrag auslösen, welcher bestimmt:
„Die Parteien vereinbaren, dass ein bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als ein Angriff gegen sie alle angesehen werden wird.“
Die Proklamation des NATO-Bündnisfalls setzt tatbestandlich einen bewaffneten Angriff („armed attack“) i.S.v. Art. 51 VN-Charta voraus – m.a.W. eine rechtswidrige völkerrechtliche Gewaltanwendung gegen das Territorium eines NATO-Partners bzw. seiner Streitkräfte. Der Bündnisfall gem. Art. 5 NATO-Vertrag wird von den NATO-Mitgliedstaaten durch einen Beschluss des NATO-Rats festgestellt. Eine klare Regelung dazu findet sich im NATO-Vertrag allerdings nicht. Der Feststellung des NATO-Bündnisfalles liegt keine „Automatik“ zugrunde. Die NATO-Staaten entscheiden im Konsens mit einem weiten politischen Ermessensspielraum. Ein „Anspruch“ eines angegriffenen NATO-Partners auf Feststellung des Bündnisfalles besteht nicht.
Führt man den hypothetischen Beispielfall dergestalt weiter, dass ein Kampfjet, welcher von der polnischen Air Base aus gestartet ist, im ukrainischen Luftraum von russischen Luftstreitkräften abgeschossen wird, wäre wie folgt zu differenzieren: Handelt es sich dabei um eine MiG-29, die der Ukraine von Polen im Rahmen einer Waffenlieferung zur Verfügung gestellt, mit entsprechenden ukrainischen Hoheitszeichen versehen und überdies von einem ukrainischen Piloten gesteuert wurde, wäre der Abschuss aus Sicht des humanitären Völkerrechts eine legitime Kampfhandlung im Rahmen des Ukraine-Krieges. Anders sähe es dagegen aus, wenn es sich um eine polnische MiG-29 handelte, die von polnischen Piloten (als Akt der kollektiven Selbstverteidigung Polens zugunsten der Ukraine) gesteuert würde. Hier würde Polen in den Ukraine-Konflikt intervenieren und dadurch zur Konfliktpartei. Der Abschuss eines polnischen Kampfjets im ukrainischen Luftraum wäre rechtlich genauso zu behandeln, wie ein russischer Angriff auf polnisches Territorium (s.o. 5.).