Nord Stream: Stiftung gegen US-Sanktionen
Wie ein Trick die am Bau der Erdgaspipeline beteiligten Unternehmen schützen soll
Nicht beim Natur- und Umweltschutz, auch beim Klimaschutz lässt sich Mecklenburg-Vorpommern von niemandem etwas vormachen. Diesen Eindruck vermittelt jedenfalls Ministerpräsidentin Manuela Schwesig, wann immer sich die Gelegenheit dazu bietet. So geschehen auch auf der Dringlichkeitssitzung des Schweriner Landtags am 7. Januar, als sie die Landtagsabgeordneten um Zustimmung „für die Einrichtung der Stiftung Klima- und Umweltschutz MV“ und um die Freigabe von einmalig 200 000 Euro aus dem Landeshaushalt als Stiftungskapital und 50 000 Euro für Notar- und sonstige Verwaltungskosten bat.
Die SPD-Politikerin nahm lange Anlauf, um zum Kern vorzustoßen: Sie verwies zunächst auf das beispiellose Nationalparkprogramm von Mecklenburg-Vorpommern, erinnerte an die Schutzmaßnahmen für die Wälder und Böden, sprach über die Wiedervernässung der CO2-speichernden Moore und nannte dann die 2000 Windkraftanlagen an Land und vier Offshore-Windparks vor der Ostseeküste Mecklenburg-Vorpommerns: „Wir sind Vorreiter in Deutschland auch bei den erneuerbaren Energien“, sagte sie. „Mit der Stiftung Klima- und Umweltschutz wollen wir einen weiteren Beitrag leisten.“
Eine Stiftung für viele Zwecke
Wie sich zeigt, ähnelt diese Stiftung in ihren Zielen einem bunten Strauß an Zwecken und ihrer finanziellen Ausstattung einem Füllhorn. Denn mit dem Start werden weitere 20 Millionen Euro in der Kasse sein, gestiftet von der Aktiengesellschaft Nord Stream 2, die neben zwei deutschen und drei weiteren westeuropäischen Energiekonzernen dem russische Staatskonzern Gazprom gehört. Im Lauf der kommenden 20 Jahre wird Nord Stream 2 aus den Geschäftseinnahmen zusätzlich 40 Millionen Euro in diese Stiftung geben. So ist es verabredet.
Viel Geld, mit dem alles und jeder Mögliche gefördert werden kann – von der Artenvielfalt in Flora und Fauna Mecklenburg-Vorpommerns über Bildungsprojekte über Klimaschutz bis zur Forschung an klimafreundlichen Formen der Energiegewinnung. Interessenten aus Wissen- und Bürgerschaft sollen sich ebenso an diese Stiftung wenden wie Umweltverbände und Klimaschutzinitiativen, so Schwesig in dem erkennbaren Versuch, die Kritiker aus dem Nichtregierungsbereich zu umschmeicheln.
„Das ist gar nichts Ungewöhnliches“, ergänzte sie. „Auch beim Bau der ersten Ostseepipeline sind mit Unterstützung der Betreiber der Pipeline zwei Stiftungen eingerichtet worden, die seitdem sehr erfolgreich Umweltprojekte insbesondere mit Bezug auf die Ostsee – also auf der Ostsee und davor – unterstützen.“ Das sei „in ganz enger Zusammenarbeit mit Umweltverbänden wie dem WWF in Deutschland“ geschehen.
Geheimnistuerei um einen Nebenschauplatz
Eine Woche verging nach der überwältigenden Zustimmung durch das Landesparlament (SPD, CDU und Die Linke sagten ja, die AfD enthielt sich). Dann hatten sich die einschlägigen Natur- und Umweltschutzverbände berappelt. Sie fühlten sich von der Stiftungsidee überrumpelt und barmten, dass die Ministerpräsidentin sie nicht um Rat gefragt habe.
Tatsächlich war das Stiftungskonstrukt über viele Wochen hinweg in einem sehr kleinen und vertraulich arbeitenden Kreis aus dem Schweriner Energieministerium, der Staatskanzlei, der SPD-Fraktionsspitze und Nord Stream 2 ersonnen worden. Im November stoppte das Kanzleramt den ersten Anlauf, eine Beschlussvorlage ins Landesparlament zu bringen und die trickreiche Idee bekannt zu machen.
Nach reiflicher Prüfung kam nun im Januar grünes Licht für die neue Stiftung aus Berlin und Brüssel. Deren Besonderheit bestehe im Vergleich zu den beiden Stiftungen der ersten Nord-Stream-Ostseepipeline laut Schwesig darin, „dass sie auch einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb bekommen kann, der zeitlich befristet ist und genutzt werden kann, die Fertigstellung der Ostseepipeline 2 zu unterstützen." Kann oder soll?
Bis heute stellen Staatskanzlei und der federführende Energieminister Christian Pegel (SPD) diesen Bereich der Stiftung dar, als handle es sich nur um einen kleinen Nebenschauplatz, der vielleicht zeitweilig genutzt wird, vielleicht aber auch nicht. Dass andersherum ein Schuh daraus wird, ist mit Händen zu greifen.
Stiftung gegen US-Sanktionen
Denn seit je unterstützt das Land Mecklenburg-Vorpommern und den seit Dezember 2019 durch die angedrohten US-Sanktionen unterbrochenen Bau von Nord Stream 2. Zum einen setzte das Land „auf Erdgas aus der Ostseepipeline statt auf Fracking-Gas“ als Brückentechnologie, damit die Energiewende nach dem Abschalten der deutschen Atom- und Kohlekraftwerke Deutschland gelingen könne, so Manuela Schwesig.
Außerdem legt Schwerin seit je großen Wert auf möglichst intakte politische wie wirtschaftliche deutsch-russische Beziehungen. Amtsvorgänger Erwin Sellering (SPD), der der neuen Stiftung ehrenamtlich vorstehen soll, ist bis heute der Vorsitzende der Deutsch-Russischen Freundschaftsgesellschaft.
Wegen der unehrlichen Kommunikationsstrategie der Landesregierung fragen nun Kritiker wie Befürworter die Landesregierung: Warum das Kind nicht beim Namen nennen? Schließlich ist mit Händen zu greifen, dass diese Stiftung dazu dienen soll, die Sanktionsdrohungen der US-Regierung gegenüber jedem Privatunternehmen zu unterlaufen, das sich an der Verlegung der letzten sechs Prozent der Pipeline beteiligt.
Diese folgenreiche Einmischung der USA ist aus Sicht der Schweriner Landesregierung ein Unding. Schließlich handle es sich bei Nord Stream 2 um ein privatwirtschaftliches Energieprojekt mit einem Investitionsvolumen von elf Milliarden Euro, das in allen betroffenen Ostseeanrainerstaaten mit umfangreichen rechtsstaatlichen Verfahren geprüft und genehmigt worden ist. Für das Hoheitsgebiet im deutschen Küstenmeer zum Beispiel, durch den die letzten zwölf Kilometer der Rohrleitung bis zur Anlandestation Lubmin bei Greifswald führen, war das Bergamt in Stralsund zuständig. Diese Behörde ist dem Landesenergieministerium zugeordnet.
So soll der Trick funktionieren
Nun soll der wirtschaftliche Betriebsteil der neuen Stiftung diese Trasse nicht selbst zu Ende bauen oder gar betreiben. Das obliegt weiterhin der Firma Nord Stream 2 als verantwortlichem Bauherrn. Vielmehr soll die Landesstiftung als Zwischenkäuferin auftreten und für Gazprom/Nord Stream 2 wie eine Art Warenregal fungieren.
Das heißt: Alles, was an Spezialmaschinen, an Baustoffen, Dienstleistungen nötig ist, um die letzten rund 75 Kilometer Doppelleitung vor der dänischen Insel Bornholm zu verlegen, wird von der Stiftung gekauft und „ins Regal“ gelegt. Gazprom/Nord Stream 2 begleicht zwar letztlich die Rechnungen, hat aber keine direkten – und damit sanktionsbedrohten – Geschäftsbeziehungen mehr zu den Zulieferern und Dienstleistern, sondern nur zu dieser Stiftung. Weil die öffentlich-rechtlich verfasst ist, verpuffen die Strafdrohungen aus Washington wirkungslos, hofft man in Schwerin.
Ob damit die Sanktionsdrohungen wirklich unterlaufen werden können, die in dem von Republikanern wie Demokraten einhellig beschlossenen „Gesetz zum Schutz der Energiesicherheit Europas“ angelegt sind? Tatsächlich bezieht sich die Drohung, Institutionen künftig vom US-amerikanischen Wirtschafts- und Finanzmarkt abzuschneiden, wenn sie diese Trasse zu Ende bauen oder deren Geschäftspartner sind, auf private Unternehmen, neuerdings aber nicht mehr auf staatliche Behörden oder auf öffentlich-rechtliche Körperschaften. Doch ein genauer Blick in die Ausführungsbestimmungen zeigt, dass diese Ausnahme nur dann gilt, wenn diese Behörden oder öffentlich-rechtlichen Körperschaften im Zusammenhang mit dem Pipelinebau nicht wirtschaftlich aktiv sind.
Das aber dürfte bei der Klima- und Umweltstiftung von Mecklenburg-Vorpommern der Fall sein. Aus deren Satzungsentwurf geht auch hervor, dass sich die Nord Stream 2 AG und damit Gazprom ein erhebliches Mitsprache- und Entscheidungsrecht für den wirtschaftlichen Betriebsbereich der Stiftung gesichert haben.
Naturschützer sind empört
BUND, WWF, NABU und der Greifswalder Michael Succow Stiftung sind empört: „Mogelpackung“ und „Nicht mit uns!“ sagten deren Vertreter, als sie sich am 14. Januar zu einem Gespräch mit Regierungschefin Schwesig, zwei Landesministern und dem designierten Vorstandschef der Stiftung, dem vormaligem Ministerpräsidenten Erwin Sellering (SPD), zusammenschalteten. Sie kritisieren, dass einer der Satzungszwecke in der Fertigstellung der Erdgastrasse besteht, was dem im Stiftungsnamen propagierten Ziel des Klimaschutzes widerspreche.
Das Hauptproblem aus Sicht der auch in Mecklenburg-Vorpommern einflussreichen Nichtregierungsorganisationen: „Das zusätzliche Erdgas“, das über diese zweite Ostseetrasse von Russland bis nach Lubmin am Greifswalder Bodden transportiert und von dort über Land weiterverteilt werden soll, „würde eine notwendige Abkehr von fossilen Energieträgern für über fünf Jahrzehnte hinauszögern.“ Mit Geld von der neuen Stiftung – und damit von Nord Stream 2 – wollen die Umwelt- und Klimaschutzlobbyisten nicht arbeiten.
Deutsche Umwelthilfe will klagen
Der Verein Deutsche Umwelthilfe (DUH) forderte inzwischen die EU-Wettbewerbskommissarin auf, das Schweriner Stiftungskonstrukt mit Blick auf eine Verletzung des EU-Beihilferechts zu prüfen. Immerhin unterstütze die Landesregierung damit „nur ein Unternehmen“, erklärte Bundesgeschäftsführer Sascha Müller-Kraenner. Zudem wolle man gegen das Landesjustizministerium klagen, weil es die Gründung dieser Stiftung genehmigte, obwohl die nach Meinung der DUH gar nicht wie im Stiftungsrecht vorgesehen gemeinwohlorientiert sei.
Dass das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie am 15. Januar entschieden hat, das Zeitfenster für den Weiterbau der Pipeline bis Mai zu erweitern, sei ebenfalls nicht hinzunehmen. Die DUH geißelt „das von einer beispiellosen Intransparenz gekennzeichnete Verfahren“, in dem „unsere massiven Bedenken zur Klimaschutz- und Naturschutzverträglichkeit des fossilen Mega-Projektes systematisch ausgeblendet und ignoriert“ worden seien. Der Weiterbau der Pipeline mitten im Winter stelle „eine massive Störung in einem der bedeutendsten Winterrastgebiete für Zugvögel in der gesamten Ostsee dar.“
Man werde umgehend Rechtsmittel einlegen, um im Eilverfahren den Weiterbau der Pipeline zu stoppen. Der russische Rohrverleger „Fortuna“ hat den Hafen Wismar verlassen. Am 18. Januar gab die Behörde den Widersprüchen von DUH und Naturschutzbund nach, seither ruht die Genehmigung.