Schreiben in Zeiten der Cholera

Wie große russische Schriftsteller früherer Zeiten ihre Pandemiejahre im Homeoffice meisterten

Puschkin in Boldino. Gemälde von Pjotr Kontschalowski

Die Corona-Pandemie bestimmt die Headlines in allen Medien und die Hoffnung, bald das Licht am Ende dieses Tunnels zu sehen, kann jederzeit erlöschen. Maskenpflicht, Abstand, Lockdown und viele weitere Begriffe nahmen schnell einen festen Platz in unserem Wortschatz ein und gehören mittlerweile zum alltäglichen Sprachgebrauch.

Hört man von einer weiteren polizeilich aufgelösten Corona-Party, so drängt sich die Erinnerung an Puschkins kleine Tragödie „Das Gelage während der Pest“ ins Bewusstsein. Doch sobald man die eintönigen Corona-Meldungen beiseitelässt und sich der Vergangenheit widmet, findet man heraus, dass schon Menschen im 19. Jahrhundert mit dem pandemischen Vokabular vertraut waren. Zu verdanken war das dem Cholera-Ausbruch, der knapp ein ganzes Jahrhundert lang in ganz Europa Werkzeug des Todes war. Der Lockdown bewirkte bei einigen der bedeutendsten russischen Schriftsteller einen kreativen Schub.

Puschkins Herbst in Boldino

Auf dem Kalender stand der letzte Sommertag des Jahres 1830. Im Leben des genialen Dichters stand ein bedeutendes Ereignis an: die Hochzeit mit Natalia Gontscharowa. Puschkin war auf dem Weg von Moskau in die Region Nischni Nowgorod, wo er das Gut Boldino übernehmen sollte, Hochzeitsgabe seines Vaters.

Doch schon bald erreichte die Cholera auch diese Gegend. Die Regierung ordnete Quarantäne an. Und Puschkin fürchtete, dass er die geplante Rückreise deswegen um zwanzig weitere Tage verschieben und lange auf seine Braut verzichten müsste.

Trotz der melancholischen Lage inspirierten breite Steppen, Zurückgezogenheit und die geliebte Herbstzeit sein Genie. Quälende Sorgen um seine Braut sowie die Ungewissheit über die Cholera-Lage in Moskau animierten Puschkin zu einem Versuch, dorthin zurückzukehren. Doch das Vorhaben, die Bewegungseinschränkungen zu umgehen, scheiterte.

Bedrückt von der hilflosen Lage und dem Fehlen des dichterischen Funkens blieb Puschkin in Boldino eingesperrt. In seiner schriftlichen Korrespondenz sah er sich wie auf einer von Quarantänen umgebenen Insel gestrandet.

Dennoch verließ er am 8. Dezember 1830 Boldino nicht mit leeren Händen. Es gelang ihm, kleinere Tragödien sowie dreißig Gedichte zu schreiben und sein berühmtes Versepos „Eugen Onegin“ zu beenden.

Cholera macht Gogols Pläne zunichte

Im Poem „Die toten Seelen“ verbarg Nikolai Gogol hinter dem spöttischen Lachen bittere Tränen um die russische Realität des 19. Jahrhunderts. Die Sterblichkeit der Seele ist eine Metapher und erfüllt ausschließlich eine kritisierende Funktion. Der Tod an Cholera war hingegen nicht metaphorisch gemeint.

Die Hauptstadt empfing 1829 einen jüngeren Fremdling außergewöhnlichen Aussehens mit offenen Armen, jedoch wichen seine Vorstellungen stark von der Wirklichkeit ab: Die Gnadenlosigkeit der Literaturkritiker, das Versinken Petersburgs in Bürokratie und der Lebensstil Puschkins erfüllten nicht Gogols Idealbild. Aber mehr noch erschütterte der Choleraausbruch 1831 den 22-Jährigen, der am Patriotischen Institut, einer Lehranstalt für Mädchen, als Geschichtslehrer tätig war.

Um die Ausbreitung der Cholera einzudämmen, wurde das Institut geschlossen. Der Kontakt musste für zwei Monate komplett eingestellt werden, und Gogol war gezwungen, sich eine vorübergehende Beschäftigung zu suchen. Schließlich zog er nach Pawlowsk, wo eine wohlhabende Dame einen Nachhilfelehrer für ihren geisteskranken Sohn suchte.

Weil Gogol zu hypochondrischen Anfällen neigte, beschloss er, die Rückreise nach Petersburg zu verschieben, bis die Cholera besiegt sein würde. In einem Brief an seine Mutter vom 24. Juli 1831 sprach er von folgenden „wirksamen“ Heilmitteln: erwärmte Milch, Eiklar mit Olivenöl und gesalzenes Wasser.

Im Herbst 1831 lebte das Patriotische Institut wieder auf. Gogol aber strebte fort. Die einzige Stadt, zu der er sich hingezogen fühlte, war Rom, doch seine geplante Italienreise 1836 scheiterte am Einreiseverbot. Ihm blieb keine andere Wahl, als die Ewige Stadt zu meiden und sich von anderen europäischen Ländern (Schweiz, Frankreich, Deutschland) inspirieren zu lassen.

Schließlich erreichte er im März 1837 sein Ziel. Nachdem seine Mentalität und sein Schaffen einen kritischen Wendepunkt erreicht hatten, begab er sich nach Jerusalem. Auf der Hin- und Heimfahrt erwarteten ihn mehrere Zwangsquarantänen. Reisende wurden zwölf Tage in abgeriegelten Quarantäneräumen für zwölf Tage isoliert und Gogol, aus einem Gitterfenster blickend, munterte sich mit Skizzieren auf.

Alexander Herzen und ein aufopferungsvoller Einsatz

Der russische Philosoph und Schriftsteller Alexander Herzen war Zeuge des Choleraausbruchs von 1830 in Moskau, wo er studierte. Ausführlich schildert er in seiner Autobiographie „Mein Leben: Memoiren und Reflexionen“ die damalige Lage in der Stadt.

Herzen und seine Kommilitonen waren vom plötzlichen Tod eines Studierenden tief betroffen. Alexanders Technologieprofessor starb am nächsten Tag. Die Ereignisse versetzten alle in Furcht und Schrecken und niemand hatte mehr einen Zweifel: Die Cholera ist in Moskau angekommen.

Die Leitung der Universität verfügte die Schließung der Universität aufgrund des Unglücks. Und Herzen beobachtete, wie die Großstadt sich veränderte: verminderter Straßenverkehr, bedrückte Passanten, von der Polizei begleitete Krankentransporte, besorgniserregende Leichenwagen am Fahrweg. Zweimal täglich erfolgte eine aktuelle Lageeinschätzung, und die Hoffnungslosigkeit stieg exponentiell.

Angesichts der Situation beschloss der Generalgouverneur Dmitri Golitzyn, ein Komitee aus wohlhabenden Bürgern zu gründen. Er teilte jedem der Männer ein Stadtviertel zu, und innerhalb weniger Tage konnten zwanzig Krankenhäuser eröffnet werden, von reichen Händlern mit Spenden und allem Nötigen versorgt. Der Einsatz junger Freiwilliger war enorm. Einige beaufsichtigten die Spenden, damit nichts aus den Hospitälern gestohlen werden konnte. Die Medizinstudenten zogen aufopferungsvoll in die Krankenhäuser ein und trotz der hohen Infektionsgefahr kümmerten sie sich für mehrere Monate um die Erkrankten.

In Zeiten der ärgsten Not bewiesen die Bürger einen ähnlichen Zusammenhalt wie die drei Musketiere in Alexandre Dumas' Roman.

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