Henry Ford: Autos, Asta, Antisemiten

Wieso die Bolschewisten US-Fahrzeuge bauten und wie der Henry-Ford-Bau zu seinem Namen kam

Kriegsgerät für Stalin: ein GAZ-AA

Die FDJ-Zeitschrift Forum berichtete am 3. August 1951 unter der Überschrift „Ford kauft Charlottenburg“ über „die Hintergründe einer ‚Spende‘ an die ‚Freie‘ Universität“. Die „sogenannte ‚freie Universität‘“ verdanke „dem Besuch Henry Fords des Zweiten, der im Juni den amerikanischen Brückenkopf Westberlin besuchte […] eine Spende aus der Ford-Stiftung in Höhe von 1 309 500 Dollar“. Diese Spende war nach Auffassung der FDJ-Zeitschrift keine „philanthropische Tat“, sondern „ein glatter Steuerschwindel“, mit dem die „amerikanischen Monopolisten“ eine „gesetzlich festgelegte Besteuerung der Überprofite“ umgingen und „Steuern hinterziehen“. Für die „auf der Straße liegenden Ford-Arbeiter ist die Ford-Stiftung nicht zuständig“. Stattdessen finanziere sie für „eine Horde von zaristischen weißgardistischen Flüchtlingen“ die Überfahrt in die USA, um diese Leute „als Spione, Spitzel und Agenten zu benutzen“. Weiterhin finanziere die Ford-Stiftung laut New York Times den Aufenthalt von europäischen Wissenschaftlern in den Vereinigten Staaten, wo sie als „Lehrer an Militärschulen“ sowie „Autoren, Berater und Übersetzer für die Stimme Amerikas und das ‚Nationale Komitee für ein freies Europa‘ eine privat finanzierte antikommunistische Gruppe“ zum Einsatz kämen. Eindeutiger könne die „vielseitige Aufgabe der Ford-Stiftung kaum dargelegt werden! Die Westberliner Studenten und Professoren sollen Kriegshandwerkzeuge der volks- und völkerfeindlichen Fords werden.“ Allerdings würden die nächsten Tage vielen von ihnen zeigen, „wie sie sich gegen die große Gefahr schützen können; durch aktive Mitwirkung im Kampf um den Frieden, dessen großartigste Demonstration sie zu den Weltfestspielen erleben“ würden.

Wie die FDJ-Leute dazu kamen, Dahlem nach Charlottenburg zu verlegen, sei dahingestellt. Interessant ist aber, dass die FDJ-Zeitschrift gegen eine „Spende Henry Fords des Zweiten“ polemisiert, aber dessen Großvater, Henry Ford I, mit keinem Wort erwähnte. Sollte den Ost-Berliner „Antifaschisten“ dessen Wirken vor 1945 nicht bekannt gewesen sein? Oder trauten sie sich nicht, Henry Ford I anzugreifen, dessen Autobiografie „My Life and Work“, als russische Ausgabe bereits 1924 in der UdSSR herauskam. Stalin soll später über Ford geäußert haben: „Die Kombination der russischen Revolution mit amerikanischer Effizienz ist der Kern des Leninismus.“

Bereits 1923 war in Russland die Massenproduktion eines Ford-Traktors angelaufen. Nach einem am 30. Mai 1929 geschlossenen Lizenzvertrag mit Ford erhielt die Sowjetunion 72 000 zerlegte Fahrzeuge aus den USA. Auch liefen in den Gorkier Automobilwerk (GAZ) bald Ford-Fahrzeuge in Serie vom Band. Techniker des Werks waren von Experten der Ford Motor Company in Detroit ausgebildet worden. In Gorki wurden der PKW GAZ-A und der leichte Lastkraftwagen GAZ-AA gebaut, von dem die Roten Armee im zweiten Weltkrieg 150 000 Exemplare im Einsatz hatte.

Das Fahrzeug beruhte auf dem, Ford-Modell AA. Konstruktionsunterlagen und die Bauteile für die ersten Exemplare der sowjetischen Serie lieferte die Ford Motor Companie bis 1932 aus den Vereinigte Staaten. Auch die Fertigungsstraßen in Gorki stammten von Ford. Die Bolschewiki brauchten zur Motorisierung des Lands die Massenproduktion von Fahrzeugen.

Ford war weltweit der Einzige, der damals mit der Fließbandproduktion technisch einfacher und robuster Modelle genau das bieten konnte. Doch auch andere sowjetische Fahrzeuge basierten auf amerikanischen Vorlagen.

Stalin dankt dem Antisemiten Henry Ford

Auf der Fotografie des GAZ-AA zu Beginn dieses Beitrags ist im Hintergrund ein Lkw Studebaker US 6 zu sehen. Die Sowjetunion bezog davon im Zweiten Weltkrieg rund 100 000 Exemplare. Auch dafür bedankt sich Stalin, mit der Bemerkung, dass die Rote Armee ohne diese Unterstützung den Krieg nicht gewonnen hätte. Als Trägerfahrzeug der Stalinorgel/Katjuscha wurde der Studebaker gleichsam zur Bildikone der Roten Armee. Der weiter unten ausführlich erwähnte Paul G. Hoffman, der von 1935 bis 1947 als Präsident die Studebaker Corporation leitete, trug in dieser Funktion maßgeblich zur Bereitstellung der Hilfslieferungen für die Sowjetunion bei.

Die Bolschewiki adaptierten für ihre industrielle Massenproduktion frühzeitig den „Fordismus/Taylorismus“ und trieben ihn auf die Spitze. Lenin meinte bereits 1914 vorausblickend, das Taylorsystem bereite, „ohne Wissen und gegen den Willen seiner Erfinder, die Zeit vor, wo das Proletariat die ganze gesellschaftliche Produktion in seine Hände nehmen und eigene Arbeitskommissionen einsetzen wird, um die gesamte gesellschaftliche Arbeit richtig zu verteilen und zu regeln. Die Großproduktion, die Maschinen, die Eisenbahnen, das Telefon – all das gibt Tausenden die Möglichkeit, um die Arbeitszeit der organisierten Arbeiter auf den vierten Teil herabzusetzen und ihnen dabei einen viermal so großen Wohlstand als heute zu gewährleisten.“

Das Dankesschreiben Stalins aus dem Jahr 1944 an Henry Ford für die Unterstützung der Sowjetunion im „Großen Vaterländischen Krieg“ war den FDJ-Agitatoren 1951 vermutlich nicht bekannt. Doch blieb Henry Ford I, dessen Antisemitismus für die nationalsozialistische Bewegung und dessen industrielles Erfolgskonzept für Lenin und Stalin von großem Gewicht waren, in der FDJ-Polemik gegen die Ford-Spende für die Freie Universität unerwähnt.

Der Ford-Bau gerät in den Blick linker Studenten

Hatten die kommunistischen Propagandamacher der FDJ in den frühen 50er-Jahren Henry Ford I aus den Augen verloren oder in ihrer Polemik gegen die Ford-Spende absichtsvoll außer Acht gelassen, so meinte der linke FU-AStA anlässlich des 60. Gründungstags der Freien Universität, damit ein kampagnenträchtiges Thema aufgetan zu haben; er publizierte in seinem Magazin einen Artikel von Ralf Hoffrogge, der unter der Überschrift „Verdrängen statt Erinnern. Wie die offizielle FU-Geschichtsschreibung den Nationalsozialismus verharmlost und vom Antisemitismus nicht wissen will“ den damaligen Präsidenten der Freien Universität Dieter Lenzen angriff. Über dessen Hinweis, „der Ford-Bau sei nicht nach dem Antisemiten Ford, sondern nach dessen Enkel Henry Ford II. benannt“, urteilte Hoffrogge apodiktisch, das sei „eine Behauptung, für die es keinerlei Beweise gibt“.

Hoffrogges Artikel gefiel der nächsten AStA-Generation so gut, dass sie ihn zehn Jahre später zum 70. Gründungstag der Freien Universität in einer Broschüre FU70: Gegendarstellung erneut publizierte. Auch das ehemalige FDJ-Blatt junge welt beteiligte sich an der Kampagne und brachte Hoffrogges Anwürfe gegen die Freie Universität unter der Überschrift „Antisemitismus am Fließband. Henry Ford, Namensgeber des Hauptgebäudes der Freien Universität Berlin, war ein von den Nazis geehrter Antisemit. Für die Uni-Spitze ist das aber kein Thema“. Im Unterschied zu ihren Altvorderen aus der Honecker-FDJ setzte die junge welt 2007 die Freie Universität immerhin nicht mehr in Anführungszeichen.

Als der Akademische Senat der Beuth Hochschule für Technik beschloss, die Hochschule werde sich von ihrem Namenspatron Christian Peter Wilhelm Beuth wegen dessen antisemitischer Äußerungen verabschieden, nahm das der FU-AStA zum Anlass, erneut eine Umbenennung des Henry-Ford-Baus der Freien Universität zu fordern. In der Erklärung des AStA heißt es dazu: „Der Namensgeber des repräsentativsten Gebäudes der FU war nachweislich ein bekennender Antisemit und Unterstützer des NS-Regimes. So veröffentlichte Ford unter anderem bereits 1920 eine antisemitische Textesammlung ‚The International Jew‘ welche nach der Übersetzung ins Deutsche zu einem festen Bestandteil der antisemitischen Propaganda wurde. Auch persönlich hatte Ford enge Verbindungen zum NS Regime und ihm wurde 1938 als erstem US-Amerikaner das Großkreuz des deutschen Adlerordens, die höchste Auszeichnung für Ausländer im nationalsozialistischen Deutschland, verliehen. Die Laudatio kam dabei von Hitler persönlich, welcher Ford auch auf Grund seiner antisemitischen Schriften als Inspiration bezeichnete. Auch der Einsatz von Zwangsarbeiter*innen und KZ-Häftlingen in den Ford-Werken ist mittlerweile gut belegt. In einem Bericht der Ford Motor Company Archives ist von bis zu 1900 Zwangsarbeiter*innen, überwiegend osteuropäischen Kriegsgefangenen, die Rede. Darüber hinaus wurden KZ-Häftlinge aus dem Lager Buchenwald in der Produktion ausgebeutet. Dieses Vorgehen kam auch der Wehrmacht zu Gute, für die die Ford-Werke während des Zweiten Weltkriegs ‚zwischen 87.000 und 92.000 Fahrzeuge‘ herstellte.“

Was der Asta verschweigt

Der FU-AStA verschweigt geflissentlich in seiner Verlautbarung über die Ford-Untaten in der NS-Zeit, was in der von ihm selbst angeführten Untersuchung des „Ford Motor Company Archives“ über die Zeit von 1939 bis 1945 nachzulesen ist, als die Ford-Fahrzeuge für die Wehrmacht produziert wurden: „Nach Kriegsausbruch im September 1939 waren geschäftliche Verbindungen zwischen den USA und Deutschland schwierig. Die Kommunikation zwischen Ford und Ford-Werken wurde immer schwieriger. Im Juni 1941 fror die deutsche Regierung alle US-Vermögenswerte in Deutschland ein. Ermittlungen des US-Militärs nach dem Krieg kamen zu dem Schluss, dass der amerikanische Einfluss auf die Ford-Werke nach Kriegsausbruch abnahm und mit dem Kriegseintritt der USA im Dezember 1941 ganz zum Erliegen kam. Als Teil der Kriegswirtschaft fielen die Ford-Werke und ihr Geschäftsbetrieb unter die Kontrolle des deutschen Rüstungsministeriums und anderer Regierungsbehörden. Im April 1941 ernannte die deutsche Regierung Robert Schmidt, Mitglied der Geschäftsführung der Ford-Werke, zum Wehrwirtschaftsführer, das heißt zu einem der Wirtschaftsführer, die den Heeresbedarf mit der Industrie koordinierten. Man richtete eine deutsche Heeresinspektionsstelle im Werk ein. Bald nach Kriegseintritt der USA im Dezember 1941 wurden die Ford-Werke der direkten Aufsicht des Reichskommissars für die Behandlung von Feindvermögen unterstellt. Am 15. Mai 1942 erklärte das Oberlandesgericht in Köln die Ford-Werke als ein unter feindlichem Einfluss stehendes Unternehmen und ernannte Schmidt – einen Deutschen, der seit 1926 als Manager eine Schlüsselposition bei den Ford-Werken innehatte – zum Treuhänder. Schmidt musste dem Reichskommissar Bericht erstatten und für zahlreiche Geschäftstransaktionen Genehmigungen einholen. Jegliche Kontakte zu ‚feindlichen Aktionären oder ihren Mittelsmännern‘ ohne Genehmigung des Reichskommissars waren ihm untersagt. Dem Reichskommissar, einem nationalsozialistischen Funktionär, waren weitreichende Befugnisse über jene Unternehmen eingeräumt worden, deren Mehrheitsaktionäre sich im feindlichen Ausland befanden. Der Reichkommissar ernannte Heinrich Albert zum Vorsitzenden des Konsultativrates – das Gremium, mit dem die Regierung den Aufsichtsrat ersetzt hatte.“

Zwangsarbeiter in den deutschen Ford-Werken

Das Forschungsprojekt des Archivs der Ford Motor Company nahm 1998 seine Arbeit auf, nachdem eine Dokumentation der BBC über den Einsatz von Zwangsarbeitern in den deutschen Ford-Werken berichtet hatte. Über 45 Archivare, Historiker, Forscher und Übersetzer werteten daraufhin in den Vereinigten Staaten, in Deutschland und Großbritannien 98 000 Seiten mit Bezug zu dem Zwangsarbeitsreinsatz in den deutschen Ford-Werken aus. Eine 1998 gegen die Ford Company erhobene Sammelklage zur Entschädigung von Zwangsarbeitern blieb ohne Erfolg, da die deutsche Geschäftsführung in der NS-Zeit nicht von der Mutterfirma ausgeübt wurde.

Den Umbenennungsaktivisten passt das freilich nicht ins Kampagnenbild von der Zwangsarbeiterausbeutung durch den Ford-Konzern. Deswegen verschweigen sie die Quintessenz des von ihnen selbst zitierten Untersuchungsberichts der „Ford Motor Company Archives“.

In seiner Begründung zur geforderten Namensänderung des Henry-Ford-Baus behauptete der FU-AStA im Februar 2020 weiterhin: „Die Argumentation des FU Präsidiums, der Bau sei nach Henry Ford II. benannt, ist bekannt, aber wenig stichhaltig. So findet sich in den Unterlagen des Akademischen Senats zur Benennung des Henry-Ford-Baus kein Verweis auf Henry Ford II. und auch auf der Webseite über die Geschichte des Henry Ford Baus taucht dieser nicht auf. Gleichzeitig hat noch immer keine glaubhafte Distanzierung von Henry Ford stattgefunden. Sowohl der antisemitische Hintergrund Henry Fords als auch die präsidiale Interpretation des Namens dürfte nur wenigen Mitgliedern der Universität bekannt sein. Zudem lässt diese Argumentation den Ursprung des Vermögens der Ford Foundation als Geldgeber des Baus außer Acht.“

Die Behauptung, auf der Website über den Henry-Ford-Bau finde sich kein Hinweis auf Henry Ford II ist falsch. Dort heißt es ausdrücklich: „Benannt ist der Bau nach Henry Ford II., der veranlasst hatte, dass die US-amerikanische Ford Foundation die Finanzierung des Gebäudekomplexes in Höhe von rund acht Millionen D-Mark übernahm.“

Henry I oder Henry II – welcher Ford gemeint war

Zur feierlichen Einweihung des neuen Hörsaalgebäudes der Freien Universität Berlin, das am 19. Juni 1954 den Namen Henry-Ford-Bau erhielt, fanden sich in Dahlem zahlreiche Gäste aus dem In- und Ausland ein. Berlins Regierender Bürgermeister Walther Schreiber vollzog die Schlüsselübergabe an den Rektor der Freien Universität, Ernst Eduard Hirsch, der die erste Festansprache hielt. Auf ihn folgten der amerikanische Hochkommissar James Bryant Conant, Bundesinnenminister Gerhard Schröder, der Senator für Bildung, Jugend und Familie, Joachim Tiburtius, der Vorsitzende der Ernst-Reuter-Gesellschaft, Paul Hertz und ein Studentenvertreter. Zu den 1 500 Festgästen gehörten u. a. Vizekanzler Franz Blücher, Wirtschaftsminister Ludwig Erhard, zahlreiche Diplomaten, Bundestagsabgeordnete sowie Vertreter von westdeutschen und ausländischen Universitäten. Die Ford Foundation hatte zum Bau der neuen Mensa und des Hörsaalgebäudes samt angeschlossener Bibliothek mit 7 402 660 DM beigetragen. Die Spende war am 9. Juni 1951 anlässlich des Besuchs von Henry Ford II an der Freien Universität vereinbart worden.

Vorausgegangen war dieser Vereinbarung eine Empfehlung des Hohen Kommissars der Vereinigten Staaten in Deutschland John Jay McCloy vom 15. Januar 1951, der seinem Freund und neuen Präsidenten der Ford Foundation Paul G. Hoffman ein „Memorandum on the Free University of Berlin“ zusandte. McCloy regte an, die Ford Foundation solle sich mit dem wichtigen Projekt befassen und jemand kompetentes nach Berlin schicken, um sich selbst aus erster Hand über die neue Universität zu informieren. Er wisse, schrieb McCloy, dass Hoffman sich über die Bedeutung einer demokratischen, internationalen Universität in Berlin im Klaren sei. Die Weiterentwicklung dieser Universität entspreche den grundlegenden Zielen der amerikanischen Politik in Deutschland.

Das von Shepard Stone verfasste Memorandum wies darauf hin, dass die deutschen und europäischen Universitäten mit ihrem Konservatismus hinter den Erfordernissen der Zeit zurückgeblieben seien. Insbesondere in Deutschland fehle eine Einrichtung, die in der Lage ist, Führungspersönlichkeiten auszubilden, die den politischen, ökonomischen und sozialen Herausforderungen des Kommunismus wie auch der rechtstotalitären Angriffe gewachsen sind.

Berlin habe sich leidenschaftlich für die Freiheit engagiert. Eine dynamische neue Universität in Berlin wäre für die Entwicklung in den kommenden Jahrzehnten von großem Vorteil. Shepard Stone sah gute Chancen für die Etablierung einer modernen Soziologie, der politischen Wissenschaft, einer internationalen Rechtswissenschaft sowie von Osteuropastudien an der Freien Universität. Er veranschlagte die benötigten finanziellen Mittel auf 25 Millionen DM.

Ignoranz gegenüber Biografien

Die vom aktuellen AStA der FU im Februar 2020 erneut verbreitete Behauptung, der Henry-Ford-Bau sei nach dem Antisemiten Henry Ford I benannt worden, erfolgt in gänzlicher Ignoranz gegenüber den Biografien der Männer, die sich damals für das Engagement der Ford Foundation eingesetzt haben. Shepard Stone (1908 – 1990) war der Sohn jüdischer Einwanderer aus Litauen. Er hatte in Heidelberg und Berlin Staatswissenschaften und Geschichte studiert und bei Hermann Oncken promoviert. Shepard Stone verließ 1933 Deutschland, sein Doktorvater Oncken wurde 1935 zwangsemeritiert. Shepard Stone war als Kriegsfreiwilliger am 6. Juni 1944 an der Invasion in der Normandie beteiligt und gehörte 1945 dem Truppenteil an, der das Konzentrationslager Buchenwald befreite. Sein Memorandum über die Freie Universität verfasste er als Sonderberaters für öffentliche Angelegenheiten und Informationswesen des Hochkommissars McCloy. Der neue Präsident der Ford Foundation Paul G. Hoffman (1891 – 1974), dem das Memorandum zuging, war bis 1950 für die ökonomische Umsetzung des Marshall-Plans zuständig.

Am 26. April 1951 unterstützte der Deutschlandexperte des State Department Henry J. Kellermann mit einem Schreiben an Paul G. Hoffman nachdrücklich das Anliegen McCloys. Das Außenministerium wünsche sehr, dass die Foundation sich zu einer Förderung der Freien Universität entschließe. Henry J. Kellermann kam 1910 als Sohn eines Berliner Rabbiners zur Welt. Er konnte noch seine juristische Promotion an der Friedrich-Wilhelms-Universität ablegen, bevor er 1937 in die Vereinigten Staaten emigrierte. Nach dem Krieg gehörte Kellermann zu der Ermittlergruppe des amerikanischen Militärgeheimdienstes, die Belastungsmaterial für den Nürnberger Prozess zusammengetragen hat.

Die Empfehlungen McCloys, Shepard Stones und Henry Kellermanns fielen auf fruchtbaren Boden. Henry Ford II, Paul G. Hoffmann und der Stellvertretende Präsident der Ford Foundation Robert Maynard Hutchins reisten persönlich nach Berlin, um sich über die Entwicklung der Freie Universität zu informieren und mit dem Regierenden Bürgermeister Ernst Reuter und FU-Rektor Freiherr von Kress über die Bedingungen einer möglichen Großspende der Ford Stiftung zu verhandeln. Ernst Reuter garantierte auf Nachfrage Hoffmans eine dauerhafte Existenz der Freien Universität und versprach, es werde im Falle einer Wiedervereinigung „nur eine Universität in Berlin geben, und das wird die Freie Universität sein. Ihr Schwerpunkt wird immer Dahlem sein; der Plan, in Dahlem eine Zentrale der Wissenschaft zu schaffen ist fünfzig Jahre alt; daran wird nichts geändert.“ Nur fünf Wochen später, am 16. Juli 1951, telegrafierte Paul G. Hoffman an den Rektor Freiherr von Kress, die Ford-Stiftung habe „das Gesuch der Freien Universität um Zuwendung von 1 309 500 Dollar bewilligt“.

Ein erster Vorschlag zur Namensgebung für das neue Hörsaalgebäudes stammte von Franz Leopold Neumann, der in der Gründerzeit unermüdlich in den Vereinigten Staaten für die Förderung der Freien Universität warb. Franz Neumann, geboren am 23. Mai 1900 in Kattowitz, entstammte einer jüdischen Familie. Er studierte in Frankfurt am Main und lehrte nach seiner juristischen Habilitation an der gewerkschaftlichen Akademie der Arbeit. Er trat 1927 in eine gemeinsame Sozietät mit dem späteren FU-Professor Ernst Fraenkel ein. Beide Juristen gehörten damals dem Lehrkörper der Deutschen Hochschule für Politik an. Nach seiner kurzeitigen Verhaftung flüchtete er 1933 aus Deutschland. In den Vereinigten Staaten arbeitete er seit 1936 am Institut für Sozialforschung. Seine 1942 erschienene Studie „Behemoth, Structure and Practice of National Socialism“ gilt bis heute als Standardwerk der NS-Forschung.

Nach dem Krieg gehörte Franz Neumann mit Henry Kellermann zur Ermittlergruppe für den Nürnberger Kriegsverbrecherprozess. Seit 1948 lehrte er an der Columbia University in New York, verfasste für die Ford Stiftung Gutachten über die Entwicklung der Freien Universität, an der er ein Semester auch als Gastprofessor lehrte. Neu­mann war maßgeblich an der Gründung des Instituts für Politische Wissenschaft beteiligt, das später in die Freie Universität integriert wurde.

Am 31. Juli 1952 schrieb der Kurator der Freien Universität Fritz von Bergemann an den Rektor Prof. D. Freiherr von Kress, Franz Neumann habe die Frage aufgeworfen, „ob man nicht einige der Hörsäle des neuen Gebäudes nach Persönlichkeiten der Fordstiftung benennen soll, evtl. das Auditorium maximum als Henry-Ford-Saal und zwei andere Hörsäle nach Mr. Hoffmann und Mr. Hutchins.“ Am 3. März 1954 befasste sich der Akademische Senat der Freien Universität in seinem 2. Tagesordnungspunkt mit der „Benennung von Hörsälen im Auditorium maximum nach bestimmten Persönlichkeiten“ und beschloss auf Vorschlag des Rektors, „dass das Gebäude des Auditorium maximum im ganzen den Namen ‚Henry-Ford-Bau‘ tragen soll“. Die Namenswahl des Hörsaalgebäudes erfolgte somit auf Vorschlag des Rektors Ernst Eduard Hirsch. Die Behauptung, mit der Namensgebung sei der 1947 verstorbene Antisemit Henry Ford I geehrt worden, ist angesichts der Biografie des FU-Rektors an Ignoranz kaum noch zu überbieten.

Ernst Eduard Hirsch, geboren 1902 im hessischen Friedberg, wurde als promovierter und habilitierter Jurist 1930 in Frankfurt am Main zum Richter auf Lebenszeit ernannt. Am 30. März 1933 wegen seiner jüdischen Herkunft aus dem Justizdienst entfernt, emigrierte er in die Türkei. Seine Schwester Anni und andere seiner Familienangehörigen starben im Gas von Auschwitz. Hirsch lehrte in Istanbul und Ankara Handelsrecht und gehörte zu den Wegbereitern der Reform des türkischen Rechtssystems, das an die Stelle der Scharia kodifiziertes Recht setzte. Er nahm die türkische Staatsbürgerschaft an und beabsichtigte in der Türkei, seiner zweiten Heimat, zu bleiben. Ernst Reuter, mit dem er in der türkischen Emigration zusammengearbeitet hatte, überzeugte ihn 1952, einen Ruf an die Freie Universität anzunehmen, um sich an der Ausbildung einer neuen Juristengeneration in Deutschland zu beteiligen.

Am 11. Juni 1954 unterrichtete Don K. Price, Vizepräsident der Ford Foundation, seinen Präsidenten H. Rowan Gaither telegrafisch über eine von der Freien Universität zur Einweihung des neuen Hörsaalgebäudes geplanten „Überraschung“. Es sei vorgesehen einem Gebäude den Namen „Ford Hall“ zu geben. Es stelle sich die Frage, ob Henry Ford zu diesem Vorhaben befragt werden solle. Fords Freund Forrest Murden habe geraten, den Dingen ihren Lauf zu lassen und Henry Ford nicht damit zu befassen. Einen Tag vor der Einweihung des Gebäudes telegrafierte Forrest Murden an Shepard Stone, der bereits in Berlin eingetroffenen war, Henry Ford sei über die geplante Namensgebung informiert und gebeten worden, sich sofort telegrafisch an Shepard Stone zu wenden, falls er damit nicht einverstanden wäre.

In seiner Rede zur Gebäudeeinweihung dankte Rektor Hirsch namentlich Henry Ford II ausdrücklich für sein Engagement. Weder in der zweistündigen Feierlichkeit noch in den zahlreichen Presseberichten über den Festakt findet sich eine Erwähnung des Namens von Henry Ford I in Anbetracht der Tatsache, dass Shepard Stone für seine Verdienste im Rahmen der Veranstaltung die Ehrendoktorwürde erhielt und Paul Hertz dort für die Ernst-Reuter-Gesellschaft sprach, wäre das eine Zumutung gewesen, die weder Stone noch Hertz hingenommen hätten.

Auch Paul Hertz (1888 – 1961) war jüdischer Herkunft. Er gehörte seit 1920 dem Reichstag zunächst als Abgeordneter der USPD an und seit 1922 der SPD. Bereits vor der nationalsozialistischen Machtergreifung sah sich Hertz antisemitischen Schmähkampagnen ausgesetzt. Er floh 1933 aus Deutschland und wurde 1934 von den Nationalsozialisten ausgebürgert. Auf Bitte Ernst Reuters kehrte er 1949 aus den Vereinigten Staaten nach Berlin zurück und gehörte bis zu seinem Tod als Senator für Wirtschaft und Finanzen dem Berliner Senat an.

Henry Ford II diente im Zweiten Weltkrieg nach dem Kriegseintritt der Vereinigten Staaten in der US-Navy. Nach dem frühen Tod seines Vaters Edsel, der seit 1919 die Ford Motor Company geleitet hatte und 1943 im Alter von 49 Jahren starb, wurde der 26-jährige Henry Ford II aus der Navy entlassen, um die Führung der kriegswichtigen Fordwerke zu übernehmen. Er musste allerdings seinen 80-jährigen Großvater erst aus der Position des Firmenpräsidenten verdrängen, in die dieser nach dem Tod seines Sohnes Edsel zurückgekehrt war. Henry Ford II war im Unterschied zu seinem Großvater, den er nicht mochte, philosemitisch eingestellt. Er unterstütze Israel nach dessen Staatsgründung durch ein Handelsabkommen und steuerte 50 000 Dollar zur ersten christlichen Spendenkampagne der „United Jewish Appeal“ (UJA) für Israel bei. Der Henry-Ford-Bau der Freien Universität Berlin trägt einen guten Namen.

Mit der Edsel-Ford-Straße dankte die Stadt Köln dem Firmenchef die Ansiedlung der Ford-Werke in Köln-Niehl. In der Kölner Karl-Marx-Straße befindet sich der Sitz der Henry Ford Realschule, was der Cancel Culture bisher entgangen ist. Die Ratsfraktion der Kölner Linkspartei weist indes unbeirrt auf eine politische Fehlstelle im Kölner Stadtbild hin: „Karl Marx und Köln stellen eine untrennbare Verbindung dar“, wo doch am ehemaligen Sitz der Neuen Rheinischen Zeitung, „in der Schildergasse 99 „die Wiege des Marxismus“ stehe. „Aber weder an diesem Ort noch sonst wo in Köln erinnert bisher irgendwas daran“. Nur am Heumarkt 65 befinde sich „eine unscheinbare Plakette“, die auf das Karl-Marx-Blatt hinweist.

Die Linken Ratsleute fordern daher mehr als eine Plakette, Köln müsse ein Karl-Marx-Denkmal aufstellen. Das könnte dann als Inschrift das berühmte Marx-Bekenntnis aus dem Jahr 1852 tragen:

„Was ich neu tat, war

  1. nachzuweisen, dass die Existenz der Klassen bloß an bestimmte historische Entwicklungsphasen der Produktion gebunden ist;
  2. dass der Klassenkampf notwendig zur Diktatur des Proletariats führt;
  3. dass diese Diktatur selbst nur den Übergang zur Aufhebung aller Klassen und zur klassenlosen Gesellschaft“

Die weltweiten Konsequenzen der von Marx als notwendig erachteten Diktaturen des Proletariats sind bekannt. Henry Ford I kann als Bösewicht den Vollstreckern der von Karl Marx angestrebten klassenlosen Gesellschaft nicht das Wasser reichen.

Nachbemerkung

Da Linke auf dem linken Auge blind sind, ließen die Kampagnenführer des AStA der Freien Universität die hilfreiche Unterstützung unerwähnt, mit der Henry Ford I frühzeitig der stalinistischen Sowjetwirtschaft unter die Arme griff. Auch wenn die im Namenstreit befangenen AStA-Aktivisten die inzwischen vorliegenden Dokumente aus dem Rockefeller Archiv nicht kannten, hätte sie ein Blick auf die seit langem bekannten Biografien der an der Taufe des Henry-Ford-Baus beteiligten Verantwortlichen der Freien Universität eigentlich von der starrsinnig vorgebrachten Behauptung abbringen müssen, das Gebäude trüge den Namen eines von Himmler und Hitler geschätzten Antisemiten. Neben FU-Rektor Ernst Eduard Hirsch war an der Einwerbung der Ford-Spende wie auch an der späteren Namensgebung der damalige Kurator der Freien Universität Fritz von Bergmann beteiligt. Der Mediziner und seine Frau Christel gehörten der humanitären Steglitzer Widerstandsgruppe „Onkel Emil“ an, die sich nach den Novemberpogromen von 1938 auf Initiative der Journalistin Ruth Andreas-Friedrich und des Dirigenten Leo Borchard gebildet hatte. Sie half verfolgten Juden mit falschen Papieren und Verstecken.

Fritz von Bergmann unterstützte außerdem den im Zuchthaus Brandenburg inhaftierten Kommunisten und Widerstandskämpfer Robert Havemann. Beide kannten sich aus dem Pharmakologischen Institut der Friedrich-Wilhelms-Universität, in dem Fritz von Bergmann als Assistent arbeitete. Er erhielt Zugang zu dem inhaftierten Freund, dessen vom Volksgerichtshof verhängte Todesstrafe wegen seiner kriegswichtigen Forschungen ausgesetzt war, da er ihm im Institutsauftrag wichtiges Arbeitsmaterial in die Haftanstalt zu bringen hatte. Fritz von Bergmann nutzte die Besuche bei Havemann, um Kassiber und Teile für einen Rundfunkempfänger in die Haftanstalt zu schmuggeln.

Die sowjetische Besatzungsmacht war nach Kriegsende von der Integrität Fritz von Bergmanns derart überzeugt, dass sie ihm im September 1945 die Leitung der Abteilung Wissenschaft und Ausbildung der Deutschen Zentralverwaltung für das Gesundheitswesen in ihrem Sektor übertrug. Der erneuten, diesmal kommunistischen Gleichschaltung entzog sich Fritz von Bergmann im Sommer 1946 durch den Wechsel in die West-Sektoren Berlins. Dort arbeitete er als freier Journalist zunächst für den Tagesspiegel und gehörte dann als Sekretär des vorbereitenden Ausschusses für eine freie Universität zu den maßgeblichen Initiatoren der Dahlemer Universität. Das alles ist lange bekannt. Es bedarf schon einiger Einfalt, diesem untadeligen Mann zu unterstellen, er habe sich federführend daran beteiligt, das architektonische Wahrzeichen der Freien Universität mit dem Namen eines Antisemiten zu versehen.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der Zeitschrift des Forschungsverbunds SED-Staat an der Freien Universität Berlin erschienen. Wir danken Autor und Redaktion für die Erlaubnis, ihn bei KARENINA veröffentlichen zu dürfen.

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