Wolgadeutsche: ‚Saboteure und Spione‘
28. August 1941: Wie Stalin erklärte, weshalb er die Wolgadeutschen umsiedeln müsse
Am 28. August 1941, gut zwei Monate nach dem Überfall der Wehrmacht auf die Sowjetunion, erließ das Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR ein Dekret „Über die Umsiedlung der Deutschen, die in den Wolga-Rayons wohnen“.
„Laut genauen Angaben, die die Militärbehörden erhalten haben, befinden sich unter der in den Wolgarayons wohnenden deutschen Bevölkerung Tausende und Abertausende von Diversanten [Saboteure, die Red.] und Spione, die nach dem aus Deutschland gegebenen Signal Explosionen in den in den von den Wolgadeutschen besiedelten Rayons hervorrufen sollen. Über das Vorhandensein einer solch großen Anzahl von Diversanten und Spionen unter den Wolgadeutschen hat keiner der Deutschen, die in den Wolgarayons wohnen, die Sowjetbehörden in Kenntnis gesetzt, folglich verheimlicht die deutsche Bevölkerung der Wolgarayons die Anwesenheit in ihrer Mitte der Feinde des Sowjetvolkes und der Sowjetmacht.
Falls aber auf Anweisung aus Deutschland die deutschen Diversanten und Spione in der Republik der Wolgadeutschen oder in den angrenzenden Rayons Diversionsakte ausführen werden und Blut vergossen wird, wird die Sowjetregierung laut den Gesetzen der Kriegszeit vor die Notwendigkeit gestellt, Strafmaßnahmen gegenüber der gesamten deutschen Wolgabevölkerung zu ergreifen.
Zwecks Vorbeugung dieser unerwünschten Erscheinungen und um kein ernstes
Blutvergießen zuzulassen, hat das Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR es für notwendig gefunden, die gesamte deutsche in den Wolgarayons wohnende Bevölkerung in andere Rayons zu überführen, wobei den Überzusiedelnden Land zuzuteilen und eine staatliche Hilfe für die Einrichtung in den neuen Rayons zu erweisen ist. Zwecks Ansiedlung sind die an Ackerland reichen Rayons des Nowosibirsker und Omsker Gebiets, des Altaigaus, Kasachstans und andere Nachbarortschaften bestimmt.
In Übereinstimmung mit diesem wurde dem Staatlichen Komitee für Landesverteidigung vorgeschlagen, die Übersiedlung der gesamten Wolgadeutschen unverzüglich auszuführen und die überzusiedelnden Wolgadeutschen mit Land und Nutzländereien in den neuen Rayons sicherzustellen.“
Der Erlass wurde zwei Tage später, am 30. August, in dieser Übersetzung in den deutschen Zeitungen der Wolgarepublik veröffentlicht, unterzeichnet von Michail Kalinin, Vorsitzender des Präsidiums des Obersten Sowjets.
Binnen drei Wochen, bis zum 20. September 1941, meldeten offizielle Stellen 373 529 aus der Wolgarepublik deportierte Deutsche, 46 706 aus dem Gebiet Saratow und 26 245 aus dem Gebiet Stalingrad, so das Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa. Militäreinheiten sorgten kompromisslos für die „Überwachung von Ruhe und Ordnung“. Die meisten Menschen wurden nach Sibirien und Kasachstan gebracht – in Güterzügen und Viehwaggons. Fast alle zwischen 15 und 55 Jahren wurden während des Kriegs in Arbeitslager eingewiesen. In den verlassenen Ortschaften kam es zu „beispiellosen Diebstählen und Plünderungen“. PHK