Klimawandel: Keine Bananen aus Sibirien
Russland hat das Pariser Klimaabkommen ratifiziert, aber der Beitrag zur Begrenzung des Klimawandels ist gering
Russland wähnte sich lange von den Folgen des Klimawandels nicht betroffen. Viele glaubten sogar, davon profitieren zu können. Gängig waren Ansichten wie diese: „Erderwärmung? Das ist doch gut, dann brauchen wir keine Wintermäntel mehr. Und in Sibirien können wir Bananen und Erdbeeren anbauen.“
Dieser Beitrag ist ursprünglich erschienen in der Zeitschrift Osteuropa:
"Im Fluss. Umweltpolitik in Russland", Berlin 2020 [= Osteuropa 7-9/2020]
Mittlerweile setzt sich langsam die Erkenntnis durch, dass dies ein Irrtum ist. Auch Russland wird mit massiven Konsequenzen konfrontiert sein, wenn es nicht gelingt, den Klimawandel zu begrenzen. Zwar sind die Luftverschmutzung, die Überbauung von Grünflächen in den Städten und das Müllproblem immer noch die wichtigsten Umweltthemen. Doch nach verheerenden Waldbränden und Smog im Sommer, vielen warmen Wintern und zahlreichen Überschwemmungen nach Starkregen sind laut Lewada-Zentrum immer mehr Menschen auch in Russland zu der Auffassung gelangt, dass der Klimawandel ernsthafte Folgen haben wird.
Repräsentative, nicht öffentliche Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Romir mit 1500 Teilnehmern aus verschiedenen Regionen Russlands im Jahr 2019 und 2020 ergaben, dass 76 Prozent der Befragten „Veränderungen des Klimas bemerken“, 55 Prozent sind überzeugt, dass der Klimawandel die Häufigkeit, Dauer und Intensität extremer Wetterereignisse erhöht. 66 Prozent halten den Klimawandel für „eine echte Bedrohung“. 86 Prozent glauben, dass „der Klimawandel Russland Nachteile bringen wird“. Darüber hinaus geben 80 Prozent der Befragten an, dass sie „die negativen Auswirkungen des Klimawandels bereits erleben“. Im Jahr 2019 gaben noch 56 Prozent an, dass die Veränderungen zumindest teilweise auf menschliche Aktivitäten zurückzuführen sind, im Jahr 2020 erklärten 69 Prozent, die globale Erwärmung stünde in Verbindung mit menschlichen Aktivitäten.
Doch aus einer anderen Einstellung folgt noch nicht, dass die Bereitschaft zum Handeln wächst. Bei einer Studie des Meinungsforschungszentrums VCIOM und der Stiftung für Nationale Energiesicherheit aus dem Jahr 2020 teilten nur zwölf Prozent der Teilnehmer die Ansicht, dass jeder Mensch seinen persönlichen Ressourcenverbrauch reduzieren sollte, um die globale Erwärmung zu bekämpfen. 43 Prozent der Befragten meinten, der Kampf gegen den Klimawandel solle in erster Linie vom Staat geführt werden. Nur 15 Prozent der Befragten – 22 Prozent in Moskau und 21 Prozent in anderen Millionenstädten – erklärten, sie seien bereit, gegebenenfalls auf Fahrten mit dem eigenen Pkw zu verzichten. Die bekundete Bereitschaft zum Wasser- und Stromsparen liegt bei 43 Prozent bzw. 59 Prozent. Nahezu keine Bereitschaft gibt es, auch nur geringfügig höhere Stromkosten in Kauf zu nehmen, wenn der Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt wurde.
Begrenzung des Klimawandels oder bloße Anpassung?
Der Bereitschaft zum Handeln steht ein weiterer Faktor entgegen: die Vorstellung, der Klimawandel sei unausweichlich. Man müsse sich daher vor allem auf die Folgen vorbereiten. Dies ist etwa der Tenor einer Studie des Umweltökonomen George Safonov von der Higher School of Economics (HSE). Er benennt klar, was auf Russland zukommen kann: eine Zunahme gefährlicher Wetterphänomene, ein Anstieg des Meeresspiegels, Waldbrände, Hitze- und Kältewellen, die sich negativ auf Landwirtschaft und auch auf die Gesundheit der Menschen in Russland auswirken.
Thema seiner Studie mit dem Titel „Social Consequences of Climate Change“ ist gleichwohl nicht die Frage, ob und wie Russland und andere Staaten mit einer entsprechenden Klimapolitik dazu beitragen könnten, dass diese Phänomene nicht oder nur in weniger dramatischem Ausmaß auftreten. Vielmehr fragt er, mit welcher Wirtschaftspolitik sich die Staaten Osteuropas auf diese Phänomene einstellen können. Er konstatiert, dass Russland bislang „keine koordinierte Politik zur Schaffung von Widerstandsfähigkeit (resilience) gegen und zur Anpassung an den Klimawandel“ habe.
Den gleichen Ansatz verfolgt auch eine Ende September 2020 veröffentlichte Studie des Föderalen Diensts für Hydrometeorologie. Auch diese beschäftigt sich auf 120 Seiten lediglich mit der Frage, wie sich Russland an den – auch hier offenbar als vom Menschen nicht beeinflussbar hingenommenen – Klimawandel anpassen sollte. Viele Studien haben gezeigt, dass die Temperaturveränderungen im Hohen Norden besonders stark sein werden. Dies bestätigt auch Russlands Wetterdienst. Die Dicke des arktischen Meereises etwa sei in den letzten 60 Jahren um zwei Drittel zurückgegangen, 70 Prozent der Eiskappe bestünden heute aus saisonalem Eis, das im Sommer taut. Doch das Fazit des Wetterdienstes lautet: Der Temperaturanstieg werde sich positiv auf die für Russland strategisch bedeutsame Förderung von Erdöl und Erdgas in seiner arktischen Zone auswirken.
Allerdings konstatiert der Bericht, das Auftauen des Permafrosts stelle ein Problem dar. Auch die Auswirkungen auf die Städte im Hohen Norden hat der Wetterdienst untersucht. Das Ergebnis: „Die Dynamik der Klimaveränderungen führt zu einer höheren Zuverlässigkeit der Wärmeversorgung.“ Nach 120 Seiten kommt der Bericht zu dem Schluss, es müssten mehr Klimadaten gesammelt und mehr Meteorologen ausgebildet werden.
Um Anpassung an den Klimawandel geht es auch in dem „Nationalen Maßnahmenplan der ersten Stufe zur Anpassung an den Klimawandel bis 2022“. In diesem benennt das Wirtschaftsministerium zahlreiche Folgen der Erderwärmung: häufigere, längere und intensivere Dürren in manchen Regionen Russlands, extreme Niederschläge und Überschwemmungen in anderen Regionen, wachsende Waldbrandgefahr, das Auftauen des Permafrostbodens, Artensterben und Artenverdrängung, die Ausbreitung von Infektionskrankheiten.
Die Autoren sehen jedoch auch positive Folgen des Klimawandels. Sie erwarten einen zurückgehenden Energieverbrauch während der Heizperiode, bessere Bedingungen für den Gütertransport im arktischen Meer infolge der Eisschmelze, eine Erweiterung der landwirtschaftlich nutzbaren Zone.
Russland hat im September 2019 als einer der letzten Staaten der Welt das Pariser Klimaabkommen ratifiziert. Drei Jahre hatte Moskau für die Entscheidung gebraucht, ob Russland den USA folgt und von dem Übereinkommen zurücktritt, oder seine Unterschrift aus dem Jahre 2016 bekräftigt.
Für den Kreml war dies eher ein diplomatischer Schritt, aber er zeigt, dass die Staatsführung die Bedeutung des Problems Klimawandel unterdessen anerkennt und bereit ist, es gemeinsam mit anderen Staaten anzugehen. Präsident Wladimir Putin äußert sich in jüngster Zeit aber wesentlich offener als früher zu dessen Risiken. Gleichwohl scheint er noch immer unentschlossen, ob er die anthropogene Dimension des Klimawandels einräumen soll.
Strategien, Szenarien und Gesetzesvorhaben
Russland hat wie alle Staaten der Welt im Zuge der Aushandlung des im Dezember 2015 in Paris verabschiedeten Klimaabkommens den Vereinten Nationen im Rahmen der Klimarahmenkonvention (United Nations Framework Convention on Climate Change, UNFCCC) im März 2015 seinen „national festgelegten Beitrag“ (Nationally determined Contribution, NDC) zur Emissionsreduzierung übermittelt. Dort hieß es, Russland wolle die Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2030 auf maximal 70 bis 75 Prozent des Niveaus von 1990 begrenzen – und dabei die Umweltauswirkungen der Landnutzung, Landnutzungsänderungen und Forstwirtschaft (LULUCF) in höchstmöglichem Maße anrechnen lassen. Im Jahr 2017 lagen die Treibhausgasemissionen in Russland ohne Anrechnung der Landnutzung und der Forstwirtschaft bei 68 Prozent des Niveaus von 1990. Diese eingerechnet lagen sie bei 51 Prozent des Niveaus von 1990. Russlands Beitrag zum Klimaschutz sollte also keine Senkung der Emissionen, sondern allenfalls eine Begrenzung des Wachstums sein.
Russland muss nun den Vereinten Nationen im Rahmen des Pariser Abkommens eine aktualisierte Fassung des „national festgelegten Beitrags“ übermitteln. Die Arbeiten daran koordiniert das Wirtschaftsministerium. Gleichzeitig arbeitet das Ministerium an einer „Strategie zur langfristigen Entwicklung der Russländischen Föderation bis 2050 mit niedrigen Treibhausgasemissionen“.
Einen Entwurf hat Wirtschaftsminister Maxim Reschetnikow im März 2020 den anderen Ministerien und den Wirtschaftsverbänden übermittelt. Das „Basisszenario“ der Strategie fordert u. a. eine deutliche Erhöhung der Energieeffizienz. Der Waldbestand soll durch eine Ausweitung von Schutzgebieten und eine Verringerung von Kahlschlägen vollständig erhalten bleiben. Da selbst bei gleichbleibendem Bestand Russlands Wälder weniger Kohlendioxid absorbieren werden, soll der trotz Einsparmaßnahmen wachsende Stromverbrauch durch die Errichtung neuer Atomkraftwerke sowie die Nutzung erneuerbarer Energien gedeckt werden.
Das Basisszenario rechnet mit einem leichten Anstieg der Treibhausgasemissionen – Umweltauswirkungen der Landnutzung, Landnutzungsänderungen und Forstwirtschaft stets bereits mitgerechnet – von 1578 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent im Jahr 2017 auf 2077 Millionen Tonnen im Jahr 2030. Nach 2030 sollen die Emissionen dann bis 2050 auf das Niveau von 1993 Millionen Tonnen sinken.
Anders gesagt: Gegenüber dem Niveau von 1990 sollen die Emissionen im kommenden Jahrzehnt von 50 Prozent auf 67 Prozent steigen, um dann in den folgenden zwei Jahrzehnten auf 63 Prozent zu sinken. Neben dem Basisszenario gibt es ein „Verharrungsszenario“ und ein Szenario ohne staatliche Unterstützungsmaßnahmen. Diese beschreiben eine massive Zunahme der Treibhausgasemissionen gegenüber 2017. Lag der Ausstoß zu diesem Zeitpunkt bei 50 Prozent gegenüber dem Wert von 1990, so steigt er in diesen Szenarien auf 76 oder 90 Prozent.
Allerdings gibt es auch ein „Intensivszenario“. Doch selbst in diesem sollen die Treibhausgasemissionen bis 2030 noch wachsen. Die Zielvorgabe von 52 Prozent gegenüber dem Jahr 1990 bedeutet für die nächsten 30 Jahre faktisch keinen Rückgang, denn aktuell liegen die Emissionen bei gut 55 Prozent des Jahres 1990. So heißt es dann auch, das Szenario werde „es ermöglichen, gegen Ende des 21. Jahrhunderts Klimaneutralität zu erreichen“.
So wundert es nicht, dass die meisten Experten die Strategie als äußerst „unambitioniert“ bezeichneten. Greenpeace und andere Umweltorganisationen forderten Russlands Regierung auf, die Strategie zu überarbeiten und sich das Ziel zu setzen, bis Mitte des Jahrhunderts Kohlenstoffneutralität zu erreichen. Das World Resources Institute hielt fest, mit solchen Zielen verstoße Russland gegen die Selbstverpflichtung des Pariser Abkommens, dass jeder Staat zur Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5 oder maximal 2 Grad beiträgt. Moskau bleibe hinter den Zielen aller anderen großen Volkswirtschaften zurück.
Neben der „Strategie zur langfristigen Entwicklung der Russländischen Föderation bis 2050 mit niedrigen Treibhausgasemissionen“ wird gegenwärtig der Entwurf für ein Gesetz mit dem Titel „Über die staatliche Regulierung der Emissionen und des Abbaus von Treibhausgasen“ beraten. Das Gesetz soll die Basis dafür schaffen, dass Unternehmen verpflichtet werden können, über ihre CO2-Emissionen und Maßnahmen zu deren Reduktion zu berichten. Während der fünfjährigen Arbeit an diesem Dokument sind mehrfach Vorschriften zur Einführung von Emissionszielen für Unternehmen und Mechanismen wie Emissionszertifikaten oder Steuern vorgeschlagen und wieder gestrichen worden. Vor allem das Energie- und das Transportministerium, Unternehmen der Montan- und Hüttenindustrie sowie Teile des Verbands der Industriellen und Unternehmer Russlands (Rossijskij sojuz promyšlennikov i predprinimatelej, RSPP) leisten Widerstand.
In der Fassung, die das Wirtschaftsministerium der Regierung im September 2020 vorlegte, werden zwei Prioritäten genannt: die Subventionierung kohlenstoffarmer Technologien und die Einführung eines CO2-Passes für Unternehmen. Konkrete Zielvorgaben fehlen, Erwägungen zu möglichen Abgaben im Falle einer Überschreitung von Kontingenten oder zur Einführung eines Emissionshandels oder einer CO2-Steuer sind sehr vage. Auch diesen Gesetzentwurf bezeichnen Experten als „wenig ehrgeizig“. Die Lobbyisten haben momentan die Überhand. Umweltverbände wie der WWF Russland, Greenpeace Russland, aber auch der klimapolitische Berater von Präsident Putin Ruslan Edelgeriev kritisierten den Gesetzentwurf als ungenügend und forderten ehrgeizigere Maßnahmen.
Welche Vorstellungen das Energieministerium und die Energiebranche haben, lässt sich in der Energiestrategie für die Zeit bis 2035 nachlesen. Diese hat Russlands Regierung im April 2020 nach fünfjährigen Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Interessengruppen beschlossen. Dem Energiesektor wird darin die Aufgabe zugewiesen, die soziale und wirtschaftliche Entwicklung Russlands zu fördern. Dies solle geschehen, indem die Position Russlands auf den Weltmärkten für Kohle, Erdöl und Erdgas erhalten und nach Möglichkeit ausgebaut wird. Kurzum: Russland setzt auf den Export fossiler Rohstoffe. In Russland selbst soll Strom weiter mit konventionellen Energieträgern – also vor allem Kohle und Erdgas – sowie durch Atomkraft und große Wasserkraft erzeugt werden. Regenerative Energien spielen bisher keine Rolle – und werden auch in der Strategie übergangen.
Die Strategie spiegelt damit die Interessen der teils staatlichen, teils privaten oder halbstaatlichen Energiekonzerne. Sie decken sich durchaus mit dem Bestreben der politischen Führung, Russland zur Energiegroßmacht zu machen.
Erneuerbare Energien und Energieeffizienz
In Russland gibt es seit dem Jahr 2013 ein Programm für den Ausbau erneuerbarer Energien. Nach mehrfachen Änderungen sollen gegenwärtig bis 2025 Solaranlagen mit einer Kapazität von 5,86 Gigawattstunden, Windkraftanlagen mit einer Kapazität von 3,2 GW und kleine Wasserkraftwerke mit einer Kapazität von 0,21 GW errichtet werden. Doch das Programm greift kaum. Bislang wurden lediglich Solaranlagen mit einer Kapazität von 1,5 GW Stunden errichtet. Zum Vergleich: In Deutschland lag die installierte Photovoltaikkapazität im Jahr 2018 bei 50 GW. Der Anteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung liegt in Russland gegenwärtig bei 0,25 Prozent.
Seit 2019 wird über ein neues Einspeisungsprogramm für erneuerbare Energien diskutiert. Es geht um eine Überarbeitung der Regeln für den Einsatz erneuerbarer Energien auf dem Großhandelsmarkt im Zeitraum 2025 bis 2035 und neue Stromeinspeisungsregeln für Kleinerzeuger. Dank eines Ende 2019 verabschiedeten Gesetzes können Eigentümer von Mikro-Stromerzeugungsanlagen in Privathäusern überschüssigen Strom ins Netz einspeisen und zum durchschnittlichen Großhandelspreis an Vertriebsgesellschaften verkaufen. Das Gesetz sieht allerdings vor, dass die installierte Kapazität der einspeiseberechtigten Anlagen maximal 15 kW betragen darf, und schließt große Wohnhäuser aus. Obwohl das Gesetz grundsätzlich eine Einspeisung von Strom auch aus kleinen Windgeneratoren und Miniblockheizkraftwerken vorsieht, richtet es sich bislang in der Praxis vor allem an Besitzer von Sonnenkollektoren.
Pilotprojekte in Nord und Osten
Im Hohen Norden Russlands kann die Heizperiode bis zu elf Monate dauern. Hinzu kommt, dass die Siedlungen der Gegend fern der Zentren und oft schlecht an diese angebunden sind. Dies gilt auch für das Strom- und Fernwärmenetz. Da die Städte Strom und Wärme lokal produzieren, müssen die Energieträger zur Versorgung teils über mehrere Tausend Kilometer herangebracht werden. Entsprechend hoch sind die Verluste und auch die Energiepreise.
Die Stromtarife liegen in den isolierten Energiesystemen des Hohen Nordens um das 5- bis 50fache über dem Durchschnittspreis in Russland, die Tarife für Wärme um das 3- bis 17fache. Die dortige indigene Bevölkerung, die teils von Jagd, Fischfang und Rentierzucht lebt, könnte diese Preise nie zahlen. Daher erhalten sie Zuzahlungen. Doch diese Subventionsprogramme führen dazu, dass in vielen Regionen des Hohen Nordens selbst ohne Berücksichtigung der Industrie mehr als 30 Prozent des öffentlichen Haushalts – an einigen Orten sogar 60 Prozent – auf die Energieversorgung entfällt. Im Durchschnitt sind es in Russland 19,5 Prozent.
Das behindert die Entwicklung der Regionen im Hohen Norden erheblich. Verbessert man in diesen Gebieten die Energieeffizienz und setzt erneuerbare Energie ein, können jährlich etwa 100 Milliarden Rubel (rund eineinhalb Milliarden US-Dollar) eingespart werden. Das Einsparpotential bei Strom beträgt 35 bis 45 Prozent, bei Wärmeenergie 40 Prozent, wenn zusätzlich Fassaden besser gedämmt werden sogar 70 Prozent. Daher sind auch die Amortisationszeiten viel kürzer: Investitionen in die Steigerung der Energieeffizienz zahlen sich bereits nach zwei bis vier Jahren aus, in weiter südlich gelegenen Regionen Russlands sind es 10 bis 15 Jahre. Doch weder die Regierung in Moskau noch die örtlichen Behörden betrachten eine Energiewende als einen Beitrag zur Lösung der sozialen und wirtschaftlichen Probleme des Hohen Nordens.
Angst vor grenzüberschreitender Kohlenstoffregulierung
Die Europäische Union erwägt, Importzölle in Abhängigkeit von der Treibhausgasemission des eingeführten Guts zu erheben (Carbon Border Adjustment). Dies soll verhindern, dass ihre Klimaschutzmaßnahmen durch Verlagerung von Unternehmen oder die Einfuhr von Waren aus Ländern ohne entsprechende Maßnahmen unterlaufen werden. Sollten sich die Befürworter solcher Zölle durchsetzen, wird dies erhebliche Auswirkungen auf Russland haben. Das Wirtschaftsprüfungsunternehmen sprach von Einbußen von 4–5 Milliarden Euro, die Unternehmen aus Russland pro Jahr erleiden würden. Das Institut für nationale Wirtschaftsprognosen der Russländischen Akademie der Wissenschaften kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Bei einem Preis von 20 bis 25 Euro pro Tonne CO2-Äquivalent würden sich die Verluste auf 2,8 bis 3,6 Milliarden Euro pro Jahr belaufen. Die ersten informellen Konsultationen zwischen Russland und der EU zu diesem Thema fanden Anfang September 2020 statt.
Die Pläne der EU werden in Russland mit großer Sorge betrachtet. Schon ist von Klagen bei der WTO und Vergeltungsmaßnahmen die Rede. Bislang hat das Wirtschaftsministerium lediglich erklärt, der neue Mechanismus dürfe nicht diskriminierend sein, müsse den WTO-Regeln entsprechen und solle keine Hindernisse für den Handel schaffen.
Doch es gibt auch einen anderen Weg: Russland beginnt selbst mit größerem Nachdruck daran zu arbeiten, dass die Unternehmen des Landes die bei der Produktion ihrer Güter entstehenden Treibhausgasemissionen senken. Dies hat auch Putins klimapolitischer Berater Edelgeriev vorgeschlagen. Russland solle selbst einen „Kohlenstoffpreis“ festlegen und bei Treibhausgasen das Verursacherprinzip anwenden.
Aus dem Russischen von Roland Götz