USA und China

Entspannung wird es nicht geben

Der Hegemonialkampf zwischen USA und Chinas bleibt zentrale Achse der internationalen Beziehungen

von Erhard Crome

Bereits US-Präsident Barack Obama war die historische Aufgabe gestellt, den „Rückbau“ der imperialen Überdehnung der USA so zu managen, dass ihre Interessen möglichst weitgehend zur Geltung kommen. Nachdem er das nicht vermochte, sondern nur die vorherige Globalpolitik etwas schlauer fortzusetzen bestrebt war, versuchte es Donald Trump mit einem „isolationistischen“ Kurswechsel, nun Joseph Biden mit einer etwas ausbalancierteren „internationalistischen“ Politik bei Beibehaltung verschiedener Elemente des Vorgehens von Trump. Zu hegemonialen Offensivoperationen nicht mehr in der Lage zu sein, ist etwas anderes, als danach zu fragen, welche Defensivkräfte weiter mobilisierbar sind.

US-Präsident Joe Biden hat im Juni 2021 in Europa ein dichtes Programm absolviert, erst G7 in Großbritannien, dann NATO-Gipfel in Brüssel und Treffen mit der EU-Spitze, anschließend Gipfeltreffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in Genf.

Westliche Beobachter freuten sich, mit Biden herrsche nach den Trump-Jahren wieder globalpolitischer Sachverstand. Dabei ist viel Trump geblieben. Schaut man in das Papier des NATO-Gipfels, so sind die unbewiesenen Behauptungen der Trump-Administration, Russland habe gegen den Vertrag zum Verbot der Mittelstreckenraketen verstoßen wie auch gegen den Open-Skies-Vertrag, und deshalb hätten die USA diese Verträge gekündigt, wieder aufgeführt.

Das betrifft ebenso die Unterstellungen, Russland habe sich in Wahlen in den USA und überhaupt im Westen eingemischt und sei für Cyberangriffe verantwortlich. Zu China heißt es, bereits dessen Aufstieg sei eine „systemische Herausforderung“ für den Westen und stelle eine Gefahr für die NATO dar.

Das Gipfeltreffen Putin-Biden brachte tatsächlich Neues. Es kann geeignet sein, die angestauten Spannungen abzumildern. Zunächst: Man spricht miteinander, die Botschafter kehren an ihren Arbeitsplatz zurück. Zentral ist die Gemeinsame Erklärung vom 16. Juni 2021 über „Strategische Stabilität“, darin die Feststellung: „Wir bekräftigen heute das Prinzip, dass ein Kernwaffenkrieg nicht gewonnen werden kann und deshalb niemals geführt werden darf.“

Das ist eine wortwörtliche Übernahme aus der sowjetisch-amerikanischen Erklärung von Michail Gorbatschow und US-Präsident Ronald Reagan vom 1. Juni 1988. Zwischen den beiden größten Atommächten wird wieder über Abrüstung und Kontrolle der Rüstungen gesprochen. Auch über Cybersicherheit soll verhandelt werden.

Feindbild China

Henry Kissinger warnte künftige US-Präsidenten, gegenüber China nicht eine Politik des Regimewechsels zu betreiben, sondern die Beziehungen als „Ko-Evolution“ zu gestalten. Biden dagegen erklärte China programmatisch zum Hauptfeind. In seiner Rede zur „Virtuellen Münchner Sicherheitskonferenz“ am 19. Februar 2021 sagte er: „Wir müssen uns gemeinsam auf einen langfristigen strategischen Wettbewerb mit China vorbereiten.“

Und weiter: „Die Art und Weise zu gestalten, wie die Vereinigten Staaten, Europa und Asien zusammenarbeiten, um Frieden zu gewährleisten, ihre gemeinsamen Werte zu verteidigen und ihren Wohlstand über den Pazifik hinweg zu fördern, wird zu unseren folgenreichsten Aufgaben gehören. Der Wettbewerb mit China wird hart.“

Der Kampf der USA gegen den Aufstieg Chinas wurde eine zentrale Achse der internationalen Beziehungen des 21. Jahrhunderts. Er begann nicht mit Donald Trump, sondern unter Barack Obama und seiner „Wendung nach Asien“. Unter Trumps Präsidentschaft wurde viel über den Handelskrieg gegen China geredet. Im Hintergrund dieses Handelskriegs forcierten die USA jedoch ihre militärische Aufrüstung und die Einkreisung nicht nur Russlands, sondern auch Chinas.

Der US-amerikanische Politikwissenschaftler Chalmers Johnson sprach bereits vor zwanzig Jahren in seinem Buch „Der Selbstmord der amerikanischen Demokratie“ von einem „Imperium der Militärbasen“, die USA hatten damals außerhalb des eigenen Territoriums mindestens 725 Militärbasen in 139 Staaten, auf denen über 250 000 Militärangehörige stationiert waren.

Dieses System dient der Kontrolle der globalen Verhältnisse durch die USA, umringt jedoch hauptsächlich China und Russland. Derzeit werden etwa 800 militärische Außenposten der USA gezählt, insbesondere durch die Expansion der NATO „in die frühere sowjetische Einflusszone in Osteuropa“.

Gestützt auf ihr militärisches Potenzial und ihre Militärstützpunkte schüren die USA die regionalen Konflikte, die sie zum Teil geschaffen, zu einem anderen Teil vorgefunden haben, in geographischer Nähe Chinas – nicht nur im Südchinesischen Meer, auch in Bezug auf Taiwan und Korea. Hinzu kommen die Förderung sezessionistischer Kräfte in Tibet und Xin-jiang, geheimdienstfinanzierte Operationen für eine „Farbrevolution“ in China, aktuell mit der Unterstützung von Unruhen in Hongkong, sowie wirtschaftlicher und politischer Druck auf Drittländer.

Dieser Beitrag ist ursprünglich erschienen in

WeltTrends
Das außenpolitische Journal
"US-Außenpolitik mit Biden", Ausgabe 179, September 2021

Potsdamer Wissenschaftsverlag
72 Seiten
Zeitschrift
5,80 Euro
ISBN 978-3-947802-661
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So gab etwa Kevin Rudd, Sinologe und früherer Premierminister Australiens, heute Präsident eines Asien-Instituts mit Sitz in New York, der Neuen Zürcher Zeitung September 2020 ein Interview.

Die Rivalität zwischen den USA und China, betonte er, sei Ergebnis struktureller und personeller Faktoren. Die strukturelle Seite sei völlig klar: die Veränderung des Kräfteverhältnisses in militärischer, wirtschaftlicher und technologischer Hinsicht. Die politischen Eliten der USA, Republikaner wie Demokraten, seien zu dem Schluss gekommen, „dass China unter Xi keine Status-quo-Macht“ mehr sei, sondern dass es Amerika in seiner globalen Führungsposition ablösen“ wolle.

Dann differenzierte Rudd: „Hätte Hillary Clinton 2016 gewonnen, wäre ihre Reaktion sehr hart gewesen. Trump ist primär oberflächlich hart aufgetreten, vor allem in den Bereichen Handel und Technologie. Er wurde erst durch die Covid-19-Krise, die seine Wiederwahl bedroht, zu einer umfassend härteren Gangart veranlasst. Wäre der nächste Präsident der USA ein Demokrat, dürfte die neue Regierung gegenüber China ebenso robust, aber systematischer auf-treten.“

Mit anderen Worten: Eine Entspannung wird es nicht geben. Das ist genau das, womit wir es unter Biden 2021 zu tun haben.

Das Ergebnis, das mit Corona verstärkt wurde, so Rudd weiter, sei eine weltwirtschaftliche Entkopplung zwischen den USA und China. Das betrifft die Auflösung globaler Lieferketten, die Zweiteilung in Bezug auf „kritische Technologien“ wie bei der Halbleitertechnik und den Mikrochips, was am Ende zu einer Zweiteilung des Internets führen werde, die Schrumpfung wechselseitiger Direktinvestitionen sowie die Abkopplung der „Talentemärkte“.

Dem stehen jedoch Gegenkräfte gegenüber. China liege, trotz aller Bemühungen, in der Halbleiterindustrie drei bis sieben Jahre hinter den USA, Taiwan und Südkorea zurück. Bisher stammen jedoch 50 Prozent der Gewinne der US-Halbleiterindustrie von Kunden aus China. Dieses Geld finanziert entsprechende Forschung in den USA. Um den technologischen Vorsprung zu halten, stehe deshalb das Pentagon „nicht auf der Seite der Anti-China-Falken“. Am Ende warnte Rudd jedoch, er habe in Washington und in Peking mit zu vielen Leuten gesprochen, um einen militärischen Konflikt für eine nur theoretische Möglichkeit zu halten.

Weltsystemischer Kontext

Der Logik des kapitalistischen Weltsystems – was nicht dasselbe ist, wie der Kapitalismus als Wirtschaftssystem und die bürgerliche Gesellschaft – konnte sich auch das „sozialistische Weltsystem“, ungeachtet gegenteiliger Beteuerungen, praktisch nicht entziehen. Dennoch gingen seine Protagonisten im Sinne ihres Verständnisses vom Charakter der Sowjetunion und der anderen „sozialistischen“ Länder davon aus, dass sie nicht nur eine alternative Gesellschaft errichten würden, sondern auch ein anderes Staatengefüge.

Grundlage seines Platzes in der Welt ist Chinas rasante wirtschaftliche Entwicklung im 21. Jahrhundert. 1960 betrug das Bruttoinlandsprodukt (BIP) des ganzen Lands 59 Milliarden US-Dollar, 1984 – nach Beginn der Wirtschaftsreformen – 316 Milliarden und 2020 genau 14 723 Milliarden US-Dollar.

Es ist dies jedoch kein Versuch, ein alternatives Weltsystem neben oder gegen das vorgefundene zu stellen. In den Zirkeln der außenpolitischen Analyse in den USA wird gerade dies als Bedrohung angesehen. Die Auseinandersetzung mit der Sowjetunion sei ein „Streit in der westlichen Familie“ gewesen, während China der erste „nicht weiße“ Rivale sei, schreibt Matthias Naß in seinem Buch „Drachentanz. Chinas Aufstieg zur Weltmacht und was er für uns bedeutet“.

Das kann man als Rassismus qualifizieren, muss man aber nicht. Es geht in erster Linie um die Macht im Weltsystem beziehungsweise die Verteidigung des seit 500 Jahren bestehenden Weltsystems als Konstrukt westlicher, nordatlantischer Macht. Das Gerede davon, wer hier welche Regeln bestimmt, ist nur eine Umschreibung dessen.

Branco Milanović zitiert in „Kapitalismus global. Über die Zukunft des Systems, das die Welt beherrscht“ den britischen Publizisten Martin Jacques, der bereits 2012 schrieb: „Der Aufstieg Chinas zum globalen Akteur relativiert alles. Der Westen ist an die Vorstellung gewöhnt, die Welt sei seine Welt, die internationale Gemeinschaft sei seine Gemeinschaft, die internationalen Institutionen seien seine Institutionen, (...) die universellen Werte seien seine Werte. (...) Das gilt nicht länger.“

Pepe Escobar beschrieb am 5. März in der Asia Times den Grundkonflikt so: „Was in diesem Wettbewerb zwischen schwächelnden westlichen (neo)liberalen Demokratien und dem ‚Sozialismus mit chinesischen Merkmalen‘ (Copyright Deng Xiaoping) letztlich auf dem Spiel steht, ist die Fähigkeit, das Leben der Menschen (...) zu verbessern.“ Er verweist auf den britischen Sinologen Kerry Brown vom King’s College in London, der drei Hauptprobleme hervorhob: (1) In der gesamten modernen Geschichte gibt es keine westliche Wertschätzung für China als eine starke und mächtige Nation. Die westliche Mentalität ist nicht bereit, sich darauf einzulassen. (2) Der moderne Westen hat China nie als Weltmacht gesehen, und wenn als Macht, dann bestenfalls als Landmacht, nie als Seemacht, die fähig sein könnte, Macht weit über ihre Grenzen hinaus auszuüben. (3) Angetrieben von der eisernen Gewissheit eigener Wertebezogenheit – so das „sehr abgegriffene Konzept“ der „wahren Demokratie“ – hat der atlantische Westen keine Ahnung, was er von den chinesischen Werten halten soll, und ist letztlich nicht daran interessiert, China zu verstehen. Das führt zu einem Vorurteil der Selbstbestätigung, dessen Ergebnis China als „Bedrohung für den Westen“ ist.

Erhard Crome, geb. 1951, ist Politikwissenschaftler (Dr. rer. pol. habil.) und Publizist. Er ist Referent für Friedens- und Sicherheitspolitik im Institut für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung und geschäftsführender Direktor des WeltTrends-Instituts für Internationale Politik.

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