Im Spätsommer 2024 klärt US-Schauspieler Will Smith auf der Baustelle eines neuen Clubs auf Ibiza ein Missverständnis auf. Das vermeintliche Ufo über der sagenumwobenen Insel Es Vedra war in Wirklichkeit eine Drohne, eingesetzt für eine Werbekampagne. Smith steht auf dem Dach des Clubs, der in den 1980ern unter dem Namen „Ku“ bekannt und als weltgrößter Club ein Symbol für ausschweifende Partys und das hedonistische Image Ibizas war.
Am 30. Mai wird das völlig umgestaltete Gebäude als „UNVRS“ wiedereröffnet, angekündigt als der „erste Hyper-Club der Welt“. Der legendäre Außenpool fehlt, stattdessen soll der Club mit seiner hochmodernen Ausstattung eine neue Art von Cluberlebnis bieten, zugeschnitten auf eine Generation, die den „Ku“-Club nur aus Erzählungen und YouTube-Videos kennt.
Ende 1978 kauften drei junge Unternehmer aus dem Baskenland den damals unscheinbaren Club San Rafael, der über ein Restaurant und einen Pool verfügte. Sie benannten ihn nach der hawaiianischen Gottheit „Ku“. Unterstützt durch den später hinzugekommenen Promoter Faruk Gandji, der für spektakuläre Themenabende sorgte, entwickelte sich der Club zu einem globalen Phänomen.
„Die Behörden verstanden nicht, was wir erreichen wollten. Sie sahen in uns nur einen weiteren Touristenclub, doch wir waren eine Revolution“, erklärte Santamaría später. Der Club zog nicht nur gewöhnliche Gäste an, sondern auch Berühmtheiten wie Grace Jones, Julio Iglesias, Roman Polański, Valentino und sogar König Juan Carlos I.
Die Architektur des Clubs, ein ovales Amphitheater aus weißen Betonstufen mit einem 25-Meter-Pool im Zentrum, war einzigartig. Ab 5 Uhr morgens durften die Gäste im Pool baden, obwohl das Wasser zunehmend trübe wurde. Ein Steg mit einem Brunnen und eine drachenförmige Rutsche, die ins Becken führte, komplettierten das Bild: „Es war fast wie ein Set aus einem James-Bond-Film, ich hatte so etwas noch nie gesehen“, so der Fotograf Derek Ridgers über seinen ersten Besuch 1984.
3000 Menschen, junge Stiere, monumental chaotisch
Die Veranstaltungen wurden immer kühner und extravaganter. Besonders beliebt war das Brasilien-Fest mit Batucada-Musikern und aufwendigen Kostümen. Oder Tänzer in metallischen Space-Clown-Outfits unter neongrünen Konfettischlangen – das war die Quintessenz der exzessiven „Ku“-Ästhetik. Für eine Nacht verwandelte sich der Club in die Estafeta von Pamplona: 3000 Menschen in Rot-Weiß, echte junge Stiere, monumental chaotisch.
„Fünf Tage lang war ich mit vier PR-Mädchen an den Stränden Ibizas, um 25 Kandidatinnen für einen Schönheitswettbewerb zu rekrutieren“, erzählt Faruk Gandji: „Am Abend der Veranstaltung, als das „Ku“ voll war und die Menge ungeduldig wurde, erschienen nur vier Kandidatinnen! In meiner Verzweiflung zog ich 20 attraktive Frauen aus der Menge und überredete sie zur Teilnahme. Die Show war ein Riesenerfolg.“
Eines Abends fuhr meine Mutter mit einem der Tänzer zum „Ku“. Sein Kostüm krönte ein phallischer Kopfschmuck von solcher Größe, dass er den Kopf weit zurücklehnen musste, um überhaupt ins Auto zu passen.
Auch ich bin eine Zeitzeugin, denn ich verbrachte auf Ibiza meine Jugend. Für mich war es völlig normal, nach der Schule heimzukommen und brasilianische Tänzer vorzufinden, die ihre aufwendigen Kostüme in unserer winzigen Wohnung in der Altstadt nähten.
Überall lagen Pfauenfedern, bunte Stoffreste und Pailletten verstreut, Stecknadeln steckten in den Sofakissen – unser bescheidenes Zuhause verwandelte sich regelmäßig in eine improvisierte Schneiderwerkstatt. Meine Mutter half, die schillernden Outfits zu entwerfen; tagsüber arbeitete sie als Designerin für die „Sweetheart Boutique“ in der Calle de la Virgen.
Eines Abends fuhr sie mit einem der Tänzer zum „Ku“. Sein Kostüm krönte ein phallischer Kopfschmuck von solcher Größe, dass er den Kopf weit zurücklehnen musste, um überhaupt ins Auto zu passen.
Er umklammerte das Lenkrad, während meine Mutter Kommandos gab: „Links jetzt! Rechts!“ Vor dem Eingang entfaltete er sich zu voller Größe und tauchte mit seinem obszönen Kopfschmuck in die wartende Menge ein – ein wandelndes Kunstwerk auf dem Weg zur Bühne.
Trotz eines Eintrittspreises von 5000 Peseten (was ungefähr 30 Euro entsprach und damals etwa so doppelt viel war wie der durchschnittliche Tagesverdienst auf der Insel), strömten die Menschen ins „Ku“. Selbst das Personal anderer Clubs kam nach Feierabend. Sogar die in Sa Coma stationierten Soldaten halfen beim Zuschneiden von Cellophanfolie für die Dekoration, um freien Eintritt zu ergattern.
Die Behörden drückten beide Augen zu
In der Blütezeit des „Ku“ von 1983 bis 1985 drängten sich an Spitzenabenden bis zu 11.000 Menschen – 3000 über der erlaubten Kapazität. Die simple Türpolitik „Wer zahlt, kommt rein“ schuf eine beispiellose Durchmischung: elegante Besucher neben Dragqueens, lokale Promis neben Unbekannten, Millionäre in zerrissenen Jeans neben Arbeitern im Sonntagsanzug.
„Manchmal sah ich eine oben ohne tanzende Frau zwischen tätowierten Deutschen, Dragqueens, Osho-Jüngern in Orange, einer Flamencotänzerin und einem Hippie mit Kristall. Keine Grenzen, keine Voyeure, reine Drogen“, erinnert sich Creative Director Faruk Gandji.
Anders als die ibizenkische Konkurrenz „Amnesia“ und „Pacha“, die mit dem Balearic Beat eine eigene musikalische Identität entwickelten, blieb das „Ku“ ein stilistisches Chamäleon – von Europop über Disco bis zu frühen House-Tracks. Trotzdem schrieb der Club Pop-Geschichte: Im Mai 1987 wurde ein zweitägiges Musikfestival veranstaltet. Das Projekt entstand aus finanzieller Not nach einer schwachen Saison 1986. Mit rund 150.000 Euro – eine beträchtliche Summe für eine kleine Stadtverwaltung – unterstützte die Gemeinde San Antonio das Vorhaben.
Es kam zu Auftritten von Künstlern wie Duran Duran, Belinda Carlisle, Robert Palmer und Spandau Ballet. Doch der zweite Abend brachte die wahre Sensation: Freddie Mercury im Duett mit der Opernsängerin Montserrat Caballé.
Ihre Interpretation von „Barcelona“ wurde später die offizielle olympische Hymne 1992 in Barcelona. Und Mercury bezeichnete den Auftritt als einen der wichtigsten Momente seiner Karriere. Diese ungewöhnliche Verbindung von Oper und Rock in der einzigartigen Kulisse des „Ku“ machte den Club weltweit bekannt.
Ein Mix aus Rave-Kultur und Hemmungslosigkeit
Vier Jahre nach diesem Höhepunkt stand der Club 1991 als leere Hülle da. Der erste Golfkrieg, das Ende der 80er-Wirtschaftsblase und sinkende Touristenzahlen forderten ihren Tribut. Steigende Flugpreise durch die Ölkrise führten zu rückläufigen Besucherzahlen.
Mit nur 1.000 Gästen in einem Raum für 10.000 ließ sich keine Atmosphäre mehr schaffen – der Zauber war verflogen. Auch Aids veränderte das Clubleben. Viele der Tänzer starben in den späten 80ern. Was einst am Pool und in dunklen Ecken passierte, galt plötzlich als gefährlich. Statt bunter Schwimmringe hingen nun Kondomautomaten an den Wänden. 1993 fiel Santamaría, einer der Betreiber, einem Attentat der Terroristenorganisation ETA zum Opfer – bittere Ironie für einen Mann, der einen Ort jenseits politischer Grenzen erschaffen wollte.
Die Wende kam, als die Brüder Andy und Mike McKay aus Manchester – Veteranen der britischen Acid-House-Szene – mit einem alten Lieferwagen auf Ibiza landeten. Sie nutzten die Krise des „Ku“, mieteten es zunächst an einzelnen Nächten und übernahmen 1994 fest die Montagnacht, die sie „Manumission“ („Selbstbefreiung“) tauften.
Ihr Mix aus britischer Rave-Kultur und mediterraner Hemmungslosigkeit – DJs statt Bands, Ecstasy statt Kokain, nackte Akrobatik unter der 30-Meter-Kuppel und Love-Parade-Atmosphäre – lockte bis zu 10.000 Feiernde an, belebte das „Ku“ neu (später unter dem Namen „Privilege“) und prägte die Partykultur der 90er so nachhaltig, dass der Club seinen Guinness-Titel als größter der Welt behielt. Kurz vor Corona schloss er seine Türen, bis heute.
Auf dem ehemaligen „Ku“-Gelände steht nun ein moderner Hightech-Bau. Die Umbaukosten betrugen 45 Millionen Euro, mehr als hundertmal so viel wie die ursprünglichen Baukosten. Yann Pissenem, Gründer der Betreiberfirma The Night League, spricht ausschließlich in Superlativen und verspricht die nächste Stufe globalen Nachtlebens. Der Eintritt kostet zwischen 90 und 150 Euro – dreimal höher als im ursprünglichen Ku, inflationsbereinigt.
Zur Eröffnung am 30. Mai ist ein internationales Line-up angekündigt: Carl Cox, Jamie Jones, The Martinez Brothers. Das Konzept zielt nicht auf Nostalgie, sondern auf einen kompletten Neustart. Die Verbindung zum Originalclub besteht lediglich im gleichen Standort – natürlich technisch modernisiert.
Die Hochglanzclips auf der Website des „UNVRS“ flimmern wie Versprechen einer perfekten Nacht – und doch denke ich dabei an jenen kleinen Küchentisch, übersät mit Pfauenfedern und Pailletten, an dem brasilianische Tänzer ihre Träume zusammennähten. Damals bestimmte das Wetter den Rhythmus, heute regeln Klimaanlagen die Temperatur; einst war der Himmel die Decke, nun sind es LED-Wände. Der zugeschüttete Pool, das verschlossene Dach: architektonische Narben eines Übergangs vom zufälligen Amphitheater zur minutiös kalkulierten Erlebnismaschine.
Vielleicht liegt darin der wahre Unterschied: Das „Ku“ musste kein Gefühl inszenieren – es wuchs aus dem Moment, roh und unberechenbar. „UNVRS“ will jede Sekunde kuratieren, als ließe sich Ekstase am Reißbrett entwerfen. Und doch, zwischen der Synthese aus Licht und Sound, flackert sie auf: jene Sehnsucht nach Unmittelbarkeit, nach einer Nacht, die größer ist als jede Planung. Der Traum, der Ibiza am Laufen hält. „Ich bin dankbar, dass ich dazu beigetragen habe, eine wahre Utopie zu schaffen“, sagt Faruk Gandji. Er war Teil einer magischen Welt, die einst unter den Sternen Ibizas existierte.
