Sputnik V: begehrter Impfstoff
Die Arzneimittelagentur der EU prüft Sputnik V, viele Länder nutzen den russischen Impfstoff bereits
Der offizielle Twitter-Account von Sputnik V meldet täglich neue Erfolge. Allein Ende Februar ist der russische Corona-Impfstoff in Ägypten, Kirgistan, Honduras, Guatemala und der Republik Moldau zugelassen worden; in Mexiko und Serbien sind Lieferungen eingetroffen, in Paraguay wurden erste Dosen verabreicht.
38 Länder haben Sputnik V mittlerweile registriert; mit Ungarn ist auch ein EU-Land darunter, das die Prüfung der EU-Arzneimittelagentur EMA nicht abwarten wollte und nun selbst die Risiken trägt. Auch die tschechische Regierung verkündete kürzlich, dass sie sich wegen einer Lieferung des russischen Impfstoffs an Präsident Wladimir Putin gewandt hat.
Besonders begehrt ist das Vakzin indes in ärmeren Ländern, da es mit knapp 20 Dollar für die zwei Dosen eher günstig ist und sich im Kühlschrank lagern lässt. Eine Studie in der Fachzeitschrift The Lancet bescheinigte Sputnik V zudem eine hohe Wirksamkeit und Sicherheit.
Noch ist unklar, ob Russland seinen Lieferversprechen nachkommen kann, da es auf Fabriken im Ausland angewiesen ist, etwa in Indien und Brasilien, von denen einige Medienberichten zufolge noch gar nicht produzieren. Bisher kommen die russischen Liefermengen bei weitem nicht an die der westlichen Produzenten heran. Wohl auch deshalb hat Russland angekündigt, von März an eine "Light-Version" seines Impfstoffs anzubieten, die statt zwei Impfdosen nur eine vorsieht.
Zweifel gelten in Moskau als "Politisierung"
Dies könnte auch das Problem lösen, dass Sputnik V offenbar doch nicht so viel günstiger ist als die Konkurrenz, wie es etwa Kirill Dmitrijew behauptet, der Chef des staatlichen Investitionsfonds RDIF, der die Entwicklung des Impfstoffs mitfinanziert hat und ihn nun im Ausland vermarktet. Der Financial Times zufolge hat die Afrikanische Union deutlich bessere Preise als für das russische Vakzin etwa mit Biontech und Astra-Zeneca ausgehandelt.
Dennoch ist Sputnik V schon jetzt ein Erfolg: Was die Bestellungen angeht, ist er derzeit einer der gefragtesten Impfstoffe der Welt. War die Skepsis also unangebracht, die ihm vor allem im Westen lange entgegengebracht wurde? Die Verantwortlichen in Moskau stellen das so dar. Zweifel oder Kritik werden als "Politisierung" der Impfstoffsuche gebrandmarkt.
Als EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen sich neulich verwundert zeigte, warum Moskau anderen Ländern Millionen Dosen seines Impfstoffs anbiete, während die Impfkampagne im eigenen Land schleppend vorankomme, twitterte die ständige Vertretung Russlands bei der EU als Reaktion: "Nein zur Politisierung der Covid-Impfstoff-Frage".
Dabei hatte die Skepsis bisher vor allem mit wissenschaftlichen Bedenken zu tun. So waren bis zu der Veröffentlichung in The Lancet Anfang Februar Sicherheit und Wirksamkeit von Sputnik V nicht unabhängig zu bewerten, weil die Entwickler kaum Daten herausgaben. Als Russland den Impfstoff im vergangenen Sommer zuließ, hatten an den klinischen Tests weniger als hundert Menschen teilgenommen, die entscheidende, dritte Studienphase stand noch aus, sie ist bis heute nicht beendet. Dieses Vorpreschen und die Missachtung internationaler Standards schürten Misstrauen.
Imagechance für Russland
Die Studie aus The Lancet hat nicht alle, aber viele Fragen beantwortet. Auch der Kreml nutzt die Veröffentlichung, um im eigenen Land für den Impfstoff zu werben; Präsident Wladimir Putin lobte das Fachjournal für seine "Objektivität". Als The Lancet im Dezember eine Studie über die Vergiftung des Oppositionellen Alexei Nawalny mit dem Kampfstoff Nowitschok publiziert hatte, hatte Putins Sprecher dazu noch gesagt: "Wir lesen keine medizinischen Zeitschriften."
Nun bietet der Erfolg von Sputnik V Russland Gelegenheit, sein angeschlagenes Bild in der Welt aufzubessern. Dafür werden große Vergleiche bemüht. So zog der RDIF eine Verbindung zum Zweiten Weltkrieg: Sputnik V wolle mit den Vereinigten Staaten und anderen Ländern zusammenarbeiten, um dieser Herausforderung an die Menschheit zu begegnen, "genau wie wir es im Zweiten Weltkrieg getan haben".
Auch die EU-Zulassung strebt Moskau nach eigenen Angaben an. Doch kamen hierzu widersprüchliche Angaben aus Russland, die neue Zweifel an der Seriosität der Verantwortlichen säen: Schon Ende Januar hatte der RDIF bekannt gegeben, die EU-Zulassung beantragt zu haben.
Dies wies die Arzneimittelagentur EMA zurück: Es habe lediglich eine "wissenschaftliche Beratung" stattgefunden und die Entwickler hätten ihr Interesse am Beginn eines "Rolling Review"-Verfahrens ausgedrückt. Seit Anfang März scheint die EMA die Zulassung zu prüfen.
Geringes Vertrauen in Sputnik V in Russland
In diesem Prüfverfahren, das in der Pandemie angewandt wird, um Zeit zu sparen, senden die Impfstoffentwickler schon während der klinischen Studien fortlaufend Daten an die EMA. Vorher prüft aber die EU-Agentur, ob der Impfstoff vielversprechend ist und ausreichend Daten vorliegen. Erst wenn die EMA ihr Einverständnis gibt, können die Entwickler einen Antrag auf Rolling Review stellen. Der RDIF twitterte Mitte Februar, dieser Antrag sei gestellt. Die EU-Arzneimittelagentur bestätigte aber der Frankfurter Allgemeinen, dass dies nicht der Fall sei. Man definiere "im Dialog mit dem Unternehmen" nächste Schritte.
Klar ist, dass die Anforderungen der EMA sehr hoch sind; so müssen etwa alle Patientendaten aus den Studien eingereicht und die Produktionsstätten inspiziert werden. Zudem fordert die EMA inzwischen auch belastbare Daten zur Wirksamkeit der Vakzine gegen die neuen Virus-Mutationen. Laut dem staatlichen Moskauer Gamaleja-Institut, das Sputnik V entwickelt hat, sollen Auffrischungsimpfungen auch gegen die britischen und südafrikanischen Varianten helfen. Daten sind hierzu aber noch nicht veröffentlicht worden.
In Russland spielen die Mutationen bisher fast keine Rolle. Die Infektionszahlen sinken, obwohl es kaum Einschränkungen gibt, Abstands- und Maskenregeln nur halbherzig befolgt werden und bisher nur 2,7 Prozent der Bevölkerung mindestens eine Impfstoffdosis erhalten haben. Zwar können sich in vielen Regionen inzwischen alle Erwachsenen impfen lassen, doch das Vertrauen ist gering.
Dieser Beitrag ist ursprünglich am 28. Februar 2021 in der FAZ erschienen / Alle Rechte vorbehalten. Copyright Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH. Zur Verfügung gestellt vom Frankfurter Allgemeine Archiv.