Russischer Experte: EU handelt in Belarus leichtsinnig
Timofey Bordachev: ‘Strategic Frivolity’ of the West and the Belarus Issue, RIAC, 28.5.2021
Timofey Bordachev, Politikwissenschaftler an der Wirtschaftshochschule Moskau und Programmdirektor des Waldai-Klubs, zeigt eindrücklich, wie grundsätzlich anders Russland die Entführung der Ryanair-Maschine und die Inhaftierung des Passagiers Roman Protasewitsch beurteilt. Sein Beitrag auf der Webseite des Russian International Affairs Council (RIAC) beginnt mit folgenden Worten: Die Reaktion des Westens auf „die Festnahme eines Oppositionsführers in Minsk“ zeige die hohe Bereitschaft der USA und ihrer Alliierten, „riskante Situationen zugunsten eines kurzzeitigen politischen Nutzens zu erzeugen“.
Ungeachtet dessen, wie die Aktionen der belarusischen Behörden mit internationalen Luftfahrtgesetzen und -regeln übereinstimmten, hätte das Verhalten Washingtons und der meisten europäischen Hauptstädte gezeigt, „dass sie schwierige, wenn nicht hoffnungslose Partner für den Rest der Weltgemeinschaft sind. Wir haben Grund zu fürchten, dass diese Entwicklungen in eine unkontrollierte Eskalation führen.“
Die Angriffe gegen Lukaschenko beeinträchtigten Russlands Interessen nicht direkt, schreibt Bordachev. Was in den Medien und in diplomatischen Kreisen geschah, schaffe jedoch reichlich Gelegenheit, „die Notwendigkeit für neue Eindämmungsmaßnahmen gegenüber dem Verhalten der USA und Europas zu erwägen, die europäische und internationale Sicherheit auf die leichte Schulter nehmen“.
Was wirft er „dem Westen“ vor? Die „Hysterie“ und der „emotionale Ausbruch“ zeige, dass der Westen nicht beabsichtige, „irgendeinen stabilen Dialog mit Mächten einzurichten, die nicht bereit sind, ihre jeweiligen nationalen und internationalen Politiken dessen Forderungen unterzuordnen“.
Strategischer Leichtsinn des Westens
Dies Art „strategischer Leichtsinn“ („strategic frivolity“) sei in den USA und Europa zunehmend üblich geworden, so Bordachev. „Russland kann jeglichen Grad an Zurückhaltung üben, aber die Grenze, an der das nicht mehr möglich ist, könnte unbemerkt überschritten werden.“
Die Reaktion auf das „Anhalten“ des Flugs und die „Verhaftung eines der Passagiere“ sei keine Überraschung. Russland, China und andere hätten sich daran gewöhnt, dass die USA und Europa „schnell internationale Stabilität opfern, wenn es ihren gleichzeitigen Zielen nutzt. Die EU-Staaten haben nach jedem Strohhalm gegriffen in ihren Versuchen, ihre größere Bedeutung in Bezug auf internationales Recht und die weltpolitische Bühne zu untermauern.“ Bisher habe das nicht sehr gut funktioniert.
Die Sanktionen nennt Bordachev „ineffektiv“, sie werden nach dem Scheitern der EU im Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern zu einem „weiteren Schlag gegen die internationale Reputation der EU“ führen.
Für Russland bedeute der neuerliche „plane crash“ bezüglich Belarus keine unmittelbare Herausforderung, „aber es könnte ein weiterer Test für „Russlands sagenhafte Zurückhaltung“ werden. Moskau sei es gewohnt, dass es in der eigenen Welt des Westens „Regeln für sie gibt und völlig unterschiedliche für die Anderen. Russland hat darauf sehr reserviert reagiert.“
Was Russland Sorgen bereite sei „die Leichtigkeit, mit der der Westen in Konflikte anderer Nationen eintritt“. Mit Blick auf das Treffen von Biden und Putin am 16. Juni in Genf hofft er auf Beschwichtigung, erwartet aber keine großen Durchbrüche.
Sein Schluss: „Die Lukaschenko-Regierung bietet den USA und Europa dauerhaft Gelegenheiten, vielbeachtete politische Kampagnen zu inszenieren, ohne dass es eine tatsächliche Gefahr für die Welt gibt.“ PHK