Mit dem Krieg leben lernen
Liana Fix und Michael Kimmage: „Was, wenn der Krieg in der Ukraine außer Kontrolle gerät?“, Foreign Affairs, 19.7.2022
Was, wenn der Krieg in der Ukraine außer Kontrolle gerät? Und wie könnte das geschehen? Ob es dazu kommt, liege an der russischen Seite, glauben Liana Fix und Michael Kimmage in ihrer nächsten Folge „What if the war in Ukraine…“ für Foreign Affairs.
Putin sei sich der unsichtbaren Regeln in diesem Krieg wohl bewusst, unterstellen die beiden. Aber was ist mit den Kommandeuren, von denen viele frustriert seien wegen Rückschlägen auf dem Schlachtfeld, Ausrüstungsproblemen, unzureichenden Arbeitskräften und einem ukrainischen Militär, das mit Geschick und Entschlossenheit gekämpft hat? „Ihre Abenteuerlust könnte sie zu einem Luft- oder Raketenangriff außerhalb der Ukraine ermutigen – zum Beispiel, um den Transport von Waffen in die Ukraine zu stoppen.“ Das wäre ein Angriff gegen ein Nato-Mitgliedsland, was wiederum Washington als Eskalation interpretieren dürfte.
Folge: „Ein Krieg zwischen Russland und der Nato würde unmittelbar bevorstehen.“ Und zwar auch, weil die Nato darauf reagieren müsste, weil „viele jetzt schon nervöse Länder diesen Angriff als Zeichen werten würden, dass Russland seinen Krieg ausweitet“.
Auch aufseiten der Ukraine könnte ein „eine Art Unfall“ geschehen. Wenn die Ukraine militärische Ziele in Russland attackiere, könnte dort versehentlich ein wichtiges ziviles Ziel getroffen werden. (Russland agiere so in der Ukraine, ganz ohne Skrupel.) Aber der Kreml könnte einen solchen Angriff, wenn auch noch mit Waffen aus dem Ausland, mit eigenen Angriffen gegen militärische Nachschubeinrichtungen auf Nato-Gebiet beantworten.
Putin könnte auch, so fürchten sie, „aus Hybris oder Wut zu dem Schluss kommen, dass sein einziger Weg nach vorne darin besteht, den Einsatz zu erhöhen und den Krieg dramatisch zu eskalieren, um die westlichen Länder zurückzudrängen und sie ein für alle Mal abzuschrecken. Er könnte die Reaktion übersehen, die dies in den Vereinigten Staaten und ihren Verbündeten hervorrufen würde.“
Welches Szenario auch eintritt, Fix und Kimmage raten den USA, die Lage sorgfältig zu überprüfen. „Die Reaktion der USA sollte mit besonnener Logik kalibriert werden, nicht unbedingt mit der Logik von Tit for Tat. Andernfalls könnte es sich für beide Seiten als unmöglich erweisen, einen unnötigen Eskalationszyklus umzukehren.“
Will heißen: Man könne Putins verbale Zumutungen auch mal ignorieren, das gelte auch für seine Drohungen mit einem Atomkrieg. „Verbale Hässlichkeit muss nicht immer entgegnet werden. Sie kann auch strategisch ignoriert werden.“ Putin könne nur durch Anwendung von Gewalt zurückgehalten werden, schreiben Fix und Kimmage, „die Anwendung von Gewalt ist niemals ohne Risiken“.
Ihre Prognose für die nächste Zeit: Mit diesem großen Krieg, der wahrscheinlich Jahre dauern werde, und der Abwesenheit von Ordnung, werden wir leben müssen. PHK