Lob für die Russlandpolitik der Regierung
Friedensforscherin Martina Fischer: „Alle müssen ihre Ziele infrage stellen“, Frankfurter Rundschau, 8.2.2022
Für die Frankfurter Rundschau interviewte Bascha Mika die Friedensforscherin Martina Fischer (Brot für die Welt), die für Vermittlungen auf allen Kanälen plädiert. „Damit die Situation nicht weiter eskaliert, müssen alle zur Einsicht kommen“, sagt sie. Alle Beteiligten müssten sich „bewegen und ihre politischen und strategischen Ziele infrage stellen“.
Sie wirbt dafür, im Rahmen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) eine europäische Friedensordnung zu entwickeln. Als erfolgreiche Instrumente zur Entspannung hätten sich Dialog, Mediation und Rüstungskontrolle bewährt.
Das Open-Skies-Abkommen müsse wiederbelebt werden, „als vertrauensbildende Maßnahme im Luftraum“. Ein Waffenstillstand zwischen Russland und der Ukraine müsse her, die Truppen beiderseits der Grenze seien abzuziehen – „nicht nur die russischen, sondern auch die der Nato unterstellten Kontingente“. Auf Rüstungsschritte müsse verzichtet, Bündniserweiterungen vertagt werden. Auch auf Manöverbeobachtungen könne man sich verständigen.
Über die Beweggründe Russlands für den Aufmarsch sagt Fischer: „Der russischen Regierung geht es nicht nur um die Ukraine, sondern auch um nationale Sicherheitsinteressen und Einflusssphären. Russland soll als Großmacht anerkannt und nicht zur Regionalmacht herabgestuft werden.“ Gleichzeitig wolle Putin die Ukraine in die Eurasische Wirtschaftsunion einbinden und eine Nato-Mitgliedschaft verhindern. „Es handelt sich also auch um einen Wettlauf konkurrierender und sich ausschließender Integrationskonzepte.“
Die russische Regierung habe immer gesagt, dass sie eine Ausdehnung der Nato bis an ihre Grenzen nicht dulden werde, so Fischer. Deshalb sei das Beitritts-Signal von 2008 an Ukraine und Georgien „alles andere als konfliktsensibel“ gewesen. „Man hat nicht genügend reflektiert, was dieser Schritt für den Kreml bedeutet. Damit ist viel Vertrauen zerstört worden, was Russland mit der Destabilisierung der beitrittswilligen Länder quittiert.“
Putins militärisches Vorgehen sei zu verurteilen und brandgefährlich. „Es ist nicht klug, auf jeden Rüstungsschritt mit einem eigenen zu reagieren“, so Fischer. „Man muss immer mitbedenken, wie dies auf die Gegenseite wirkt. Das ist das oberste Prinzip, wenn man Kriege vermeiden will.“
Sie beobachte, „dass viele politische und mediale Diskurse den Konflikt einseitig darstellen und nicht die ganze Geschichte erzählen“. In Deutschland laute die Erzählung, „dass die Nato im Recht und Russland völlig im Unrecht ist. Die russische Bevölkerung bekommt das genaue Gegenteil von ihrer Regierung zu hören. Mit Nullsummenspiel kommen wir nicht weiter, man muss den Konflikt nüchtern analysieren.“
Die Haltung der Bundesregierung bezüglich Waffenlieferungen hält sie für „sehr vernünftig“. Dass das als Schwäche ausgelegt wird, zeige „ein völlig falsches Verständnis von Deutschlands Verantwortung in der Welt“ und beruhe auf dem Glauben, „wenn man international mitreden will, müsse man militärische Stärke zeigen“. Vermitteln zu wollen und gleichzeitig Waffen zu liefern sei nicht kompatibel. Fischer hofft, dass die Bundesregierung dabei bleibt. PHK