(Kein) Kriegsende in Sicht

2023, Jahr des Sieges? Was die Voraussetzungen für Verhandlungen und Frieden sein könnten

von Stefan Kornelius
Krieg oder Frieden?
Magisches Datum 23.2.2022: Die Ukraine hofft, die Front auf den Ausgangspunkt des Krieges zurückschieben.

Zum Jahrestag der zweiten russischen Ukraine-Invasion mangelt es nicht an Solidaritätsbekundungen, praktischer und symbolischer Unterstützung, diplomatischen Appellen und Papieren, die ein Kriegsende in Aussicht stellen, wenn ... - ja, wenn was?

In Kiew selbst erklärte Präsident Wolodimir Selensky 2023 zum Jahr des Sieges, während Moskau über die Tötung weiterer 240 ukrainischer Soldaten informierte. In Washington wurden Drohnen, Munition und Raketen sowie neue Sanktionen gegen Russland in Aussicht gestellt, während es die Europäische Union nicht schaffte, ihr zehntes Sanktionspaket zu verabschieden. Beachtliche 141 Staaten der Welt forderten per UN-Resolution den Rückzug Russlands.

Allein: Dies ist nicht die Logik des Schlachtfelds, wo weder Angreifer noch Verteidiger den Moment für einen Waffenstillstand gekommen sehen. Russlands Präsident Wladimir Putin machte zum Jahrestag höchstpersönlich klar, dass sein Kriegsziel – die Zerschlagung der Ukraine – unverändert besteht. Sein Vorgänger, Interimspräsident Dmitri Medwedjew, stellte für den Fall einer Niederlage Russlands gar den Zerfall des eigenen Landes in Aussicht.

Kein Kriegsende in Sicht

Jenseits dieser großflächigen Überlegungen halten sich die eigentlichen Strategen in diesem Krieg an planbare Ereignisse, wenn sie über die nächsten Monate an der Front nachdenken. Aus zahlreichen Gesprächen mit Regierungsvertretern, Militärplanern und Geheimdienstvertretern vor allem während und nach der Münchner Sicherheitskonferenz ergibt sich das Bild einer westlichen Unterstützerallianz, die sich in konkreten Strategieszenarien auf das Frühjahr vorbereitet und momentan kein politisches Kriegsende erkennen kann.

Zentrale Bedeutung in der Kriegsführung erhalten die militärischen und geheimdienstlichen Aufklärer vor allem der USA, aber auch der übrigen Ukraine-Verbündeten, die minutiös die russischen Militärbewegungen beobachten – und Moskau daran auch teilhaben lassen. Was zu Kriegsbeginn vor einem Jahr noch Überraschung zur Folge hatte, gehört inzwischen zum Tagesgeschäft: Die USA veröffentlichen bisher als geheim eingestufte Erkenntnisse über Mannstärken, Truppenbewegungen und die russische Angriffstaktik – und nehmen der Attacke damit die Wucht.

CIA-Chef William Burns ging in München sogar so weit, dass er auf einem Podium die Strategie der Entlarvung einer breiten Öffentlichkeit mitteilte – „um Putin seiner Fähigkeit zu berauben, ein falsches Narrativ zu betreiben“. Von den ersten Angriffsplänen bis hin zu den vermeintlichen Waffenlieferungen aus China: Wo immer der Verdacht wächst, entsteht sofort eine Öffentlichkeit. Munition aus Nordkorea, Drohnen-Ausbilder aus Iran, eine neue Angriffswelle aus Belarus, die tägliche Frontbewegung mit detaillierter Angriffsplanung – nichts bleibt verborgen, und jede Information generiert sofort Widerstand und Unterstützungsbereitschaft.

So verhält es sich auch im Umgang mit der befürchteten Frühjahrsoffensive Russlands, der die Ukraine mit einer Gegenoffensive von der aktuellen Frontlinie am Dnjepr durch die Oblast Saporischschja bis hin zur Schwarzmeer-Küste zuvorkommen will. Details waren der New York Times bereits im Januar zu entnehmen. Ziel der öffentlichen Mitteilung: Mobilisierung internationaler Hilfe, vor allem mit Panzerfahrzeugen und schweren Geschützen, und die Bindung russischer Kräfte.

Wie lange hält die Ukraine durch?

Drei Phasen haben die westlichen Militärplaner bisher in diesem Krieg ausgemacht: die Artillerie-Gefechte im vergangen Sommer, dann den Luftabwehr-Kampf, jetzt den Stellungskrieg. Alle Phasen hatten die Militärstrategen im Westen vorhergesehen und mitgeplant. Jetzt richtet sich die Ukraine auf die möglicherweise entscheidende, weil letzte Offensive im Frühjahr ein. Danach könnten dem Land die Kräfte ausgehen – und dem Westen die Lust an der Unterstützung. Die USA werden im Herbst in den Vorwahlkampf versinken, fraglich, ob dann im Kongress noch Gelder mobilisiert werden können.

Viel wichtiger aber ist, dass ein weiterer Offensiverfolg der Ukraine die Front auf den Ausgangspunkt des Krieges zurückschieben könnte – auf die Linie vom 23. Februar 2022. Mit diesem magischen Datum verbinden sich die größten Hoffnungen. In der Ukraine könnte die Rückeroberung bis zu dieser Linie als Erfolg verkauft werden – und der Krieg könnte auch auf Druck des Westens eingefroren werden. Größere Befreiungspläne für den Donbass oder die Krim halten selbst ukrainische Politiker für wenig erfolgversprechend.

Bleibt nur eine Unbekannte: Russlands Reaktion und Wladimir Putins Standfestigkeit. Die Geheimdienste, so viel ist sicher, werden es wissen lassen, wenn Moskau wankt.

Dieser Beitrag ist ursprünglich erschienen in: Süddeutsche Zeitung, 24.2.2023 / Alle Rechte vorbehalten: Süddeutsche Zeitung GmbH, München

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