Verfemter Künstler, verdienter Künstler
Am 3. Januar 1956 starb der Komponist Alexander Gretschaninow
Vor 65 Jahren, am 3. Januar 1956, starb der russische Komponist, Dirigent, Pianist und Musikpädagoge Alexander Gretschaninow. Der Sohn von gerade zu Wohlstand gekommenen Moskauer Kaufleuten und Schüler Rimski-Korsakows hat ein äußerst vielgestaltiges musikalisches Oeuvre geschaffen, das neben Opern und Symphonien insbesondere Chor- und Kirchenmusik umfasste. So groß war Gretschaninows Reputation zu Beginn des 20. Jahrhunderts, dass Nikolaus II. ihm eine lebenslange Pension gewährte, deren Auszahlung mit der Oktoberrevolution 1917 allerdings ein plötzliches und vorzeitiges Ende fand.
Die Februarrevolution hatte der Komponist noch enthusiastisch begrüßt und ihr eine "Hymne auf das freie Russland" gewidmet. Es folgten harte Jahre der Entbehrung: "Hunger, Kälte und die fast vollständige Auslöschung jeglichen spirtuellen Lebens", wie sich der Komponist später düster erinnerte. Gerade deshalb komponierte er besonders jetzt religiöse Musik, "um zu vergessen, was um mich herum geschah".
Mit dem Ende des Bürgerkriegs fand der Musiker aber auch im revolutionären Sowjetrussland wieder neue musikalische Aufgaben und wurde nur wenige Jahre später, 1925, als "Verdienter Künstler der RSFSR" ausgezeichnet. Im gleichen Jahr verließen Gretschaninow und seine Familie die Sowjetunion – was bereits zu dieser Zeit eine schwierige Angelegenheit war, bei der ihm seine freundschaftlichen Beziehungen zum damaligen italienischen Botschafter Graf Gaetano Manzoni halfen.
Gretschaninow ließ sich jedoch nicht im faschistischen Italien, sondern in Paris nieder. Als er im August 1939 vom Abschluss des Hitler-Stalin-Paktes erfuhr, emigrierte der inzwischen 75-Jährige nochmals, diesmal in die USA. Dort starb er als 91-jähriger hochbetagt in New York.
In seinen kurz zuvor erschienenen Memoiren hatte er das Exil als paradoxerweise besonders produktiven Ort künstlerischen Schaffens beschrieben: "Einige russische Schriftsteller klagen, dass sie ihre kreative Arbeit fernab der Heimat nicht fortführen können. Ich habe diese Schwierigkeit nie erlebt. Ganz im Gegenteil – ich konnte im Ausland produktiv schaffen und meine Kompositionen dieser Jahre sind sogar zu einem größeren Grade mit dem russischen Volksgeist durchdrungen als die Musik, die ich in Russland schrieb. Hier, aus der Distanz, empfinde ich alles Russische noch intimer und meine Verbundenheit zu meiner Heimat wird immer tiefer. Im übrigen bin ich hier fast ausschließlich von treuen russischen Freunden umgeben, die meine Musik zu schätzen wissen." Gretschaninows Musik, die bald nach seinem Tod vergessen wurde, erlebt in den letzten Jahren wieder eine kleine Renaissance. AF
Lebenserinnerungen: Alexandre Gretchaninoff, My Life. New York 1952