Merkels Erbe: Sind so große Schuhe
Dmitri Trenin: Merkel’s Legacy, as Seen From Russia, Carnegie Moscow Center, 1.10.2021
Angela Merkel wird für ihren Nachfolger große Schuhe hinterlassen. Das sieht nicht nur Dmitri Trenin so. Sie habe Berlins Platz und Rolle in der Welt geformt, und dieses Erbe werde lange wirken. Deutschland sei mit ihr führend in der EU geworden. „Es ist ein friedlicher Verfechter einer sanften europäischen Version des Liberalismus.“
Sie sei „stets standhaft und verlässlich“ gewesen, ihre Politik berechenbar. Wahr sei aber auch, dass weder Deutschland innerhalb der EU noch die EU innerhalb des US-geführten Systems strategische Autonomie erreicht habe, aber das sei auch nicht ihr Ziel gewesen.
Ihr Erbe fasst Trenin aus Moskauer Sicht folgendermaßen zusammen: „Wiederbestätigung der atlantischen Orientierung Deutschlands, Erreichen einer Position primus inter pares innerhalb der EU und Distanzierung von Russland, mit dem sie gleichwohl in Kontakt blieb.
Dass sie Russisch spricht, habe nicht zu einer engeren Beziehung mit Moskau geführt. Das Gegenteil sei der Fall. Als Putin 2007 seine „berühmte Rede“ hielt, in der er gegen die globale Hegemonie der USA auskeilte, habe sie Deutschlands atlantisches Beglaubigungsschreiben nochmals beteuert. Deutschland habe die EU-Erweiterung durch ein Dutzend ehemals kommunistische Staaten angeführt.
Merkels zunehmende Distanz zu Russland
Russland habe für Deutschland an Bedeutung verloren: Wiedervereinigung von Land und Berlin war mit sowjetrussischer Hilfe erledigt, die Sicherheit gewährleistet, Deutschland wendete sich anderen Themen zu, Umwelt, Klima, Menschen- und Minderheitenrechte. Russland sei nicht mehr wichtig gewesen, auch nicht für die Wirtschaft. Russland sei gesehen worden als Staat „mit gescheiterter Demokratisierung, ineffizienter und oligarchischer Wirtschaft, mit zunehmend autoritärem Regime, geführt von einem ehemaligen KGB-Agenten, der in Ostdeutschland gearbeitet hatte“.
Merkels persönliches Verhältnis zu Putin sei anständig gewesen, aber nie eng. Es habe keine Wärme bestanden wie zwischen Putin und Schröder oder Jelzin und Kohl. Dafür habe sie Medwedew als Modernisierer gesehen und bequemer für den Westen.
In den letzten sieben Jahren (nach Krim und Ostukraine) sei die deutsch-russische Partnerschaft in gegenseitige Vorwürfe und abnehmendes Vertrauen verfallen. „Merkel übernahm die Führung beim Verhängen von Unmengen von EU-Sanktionen gegen Russland.“ Es sei ihr aber – anders als anderen westlichen Anführern – nicht darum gegangen, Russland zu isolieren oder zu bestrafen. Kommunikationskanäle seien offen geblieben.
Aber die Palette der Vorwürfe sei umfangreicher geworden: Medieneinmischung, Bundestag-Hacking, Mord im Kleinen Tiergarten – der Abwärtstrend in den Beziehungen setzte sich fort.
Und dann ihr Krankenbesuch bei Nawalny. „Symbolisch hat der Nawalny-Vorfall das Buch geschlossen, das von der drei Jahrzehnte währenden deutsch-russischen Partnerschaft noch geblieben war.“
Die Partnerschaft sei wohl beendet, resümiert Trenin, aber die Beziehungen gehen weiter. Der vehementen Kritik an Nord Stream 2 habe sie widerstanden. „Merkels zuverlässige Beständigkeit und sture Entschlossenheit unter enormem Druck … wurde im Kreml aufmerksam beobachtet und geschätzt.“ Putin habe sie trotz allem „unzweifelhaft respektiert“. Deutschland bleibe für Russland der wichtigste Mitgliedstaat der EU. PHK