Was will Putin?
Historiker Karl Schlögel über Putins eigentliches Ziel und seine größte Sorge, t-online, 21.2.2022
Karl Schlögel hat keinen Zweifel: „Russland will die Ukraine in die Knie zwingen und sie destabilisieren.“ Das sei Putins eigentliches Ziel, sagte er im Interview mit t-online. In einem Traktat im vorigen Sommer („Über die historische Einheit der Russen und Ukrainer“) habe er der Ukraine Eigenständigkeit und Souveränität abgesprochen, „versucht, seiner Politik eine Art historischer Herleitung und Begründung zu geben“ und „die Legitimation eines Marschbefehls gegen Kiew“ zu geben.
Noch mehr Sorgen bereitet dem Historiker ein anderes Papier, das im vorigen Herbst in der Zeitung Kommersant publiziert worden sei. Darin habe Dmitri Medwedew, laut Interviewer Marc von Lüpke „Putins Vertrauter“, geschrieben: „Wir haben Zeit.“ Diese Worte seien „eine ungeheure Drohung“, meint Schlögel. „Was auch immer geschehen mag, wie viele westliche Politiker auch immer der Ukraine ihre Unterstützung versichern mögen: Am Ende entscheidet Moskau. Das ist die unmissverständliche Botschaft.“
Rückblickend attestiert Schlögel dem Westen mangelndes Gespür für den Umgang mit Russland nach 1991. „Es gab eine Mischung aus Ahnungslosigkeit, Triumphalismus, aber auch Angst, dass etwas passieren könnte.“ Obamas Bemerkung über Russland im Jahr 2014 („Regionalmacht“, „schwach“) nennt Schlögel „eine von Ahnungslosigkeit geprägte taktlose Bemerkung“.
Bezüglich des Versprechens, es werde keine Nato-Osterweiterung geben, bleibt Schlögel jedoch dabei: „Eine solche Zusage hat es in verbindlicher Form nicht gegeben.“ PHK