Ukraines beste Chance auf Frieden

Samuel Charap: Neutralität bringt der Ukraine Sicherheit und wird Russland und dem Westen gerecht, New York Times, 1.6.2022

von KARENINA
New York Times 1 | Nachrichten über Russland

Die Bedeutung der Istanbuler Vereinbarungen von Ende März, müsse „in vielen westlichen Hauptstädten noch gewürdigt werden, wo Sicherheitsgarantien zum Synonym für Bündnisverträge geworden sind“, schreibt Samuel Charap in der New York Times. Anstatt einer Nato-Mitgliedschaft sehe der Vorschlag alternativen Mechanismus zur Gewährleistung der Sicherheit der Ukraine vor: Bündnisneutralität des Lands und Aussicht auf EU-Mitgliedschaft gegen internationale rechtliche Garantien für ihren nichtnuklearen und blockfreien Status. Garanten des Vertrags wären alle ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats – China, Frankreich, Russland, das Vereinigte Königreich und die Vereinigten Staaten – sowie Kanada, Deutschland, Israel, Italien, Polen und die Türkei.

Wie auch Putin nach einem Treffen mit UN-Generalsekretär António Guterres nennt der Sicherheitsexperte der RAND Corporation den Vorschlag von Istanbul einen „Durchbruch“ – zumindest könnte er das sein. In westlichen Hauptstädten sei zunächst nicht ganz klar gewesen, dass dies keine Beistandspflicht für die Nato bedeutete. Russland sei ja eingebunden als Garantiemacht in einem multilateralen Sicherheitsvertrags, „bei dem konkurrierende Mächte die Sicherheit eines Drittstaates gewährleisten sollen“, der neutral und nicht mit diesen Mächten verbunden bleibe.

Multilaterale Sicherheitsgarantien dienten grundlegend anderen Zwecken als Allianzen wie die Nato, stellt Charap klar. Es gehe nicht um die kollektive Verteidigung gegen einen gemeinsamen Feind, sondern um „Einvernehmen zwischen den Garanten in Bezug auf den garantierten Staat sicherzustellen und damit die Sicherheit dieses Staats zu stärken“. Insofern ähnle der Vorschlag von Istanbul den Verträgen, die, geschlossen in den Jahren zwischen 1831 und 1839, einst Belgiens Unabhängigkeit verankerten und seine dauerhafte Neutralität festlegten.

Das gelang damals, weil die großen europäischen Staaten diese Vereinbarung als wesentlich für die Sicherheit des gesamten Kontinents ansahen und auch Belgien profitierte. Der Vertrag hielt 75 Jahre. Als Deutschland eindrang, um in einem Bogen gen Frankreich zu marschieren, folgte Großbritannien als erster Staat seinem Garantieversprechen.

Charap sieht Parallelen zwischen Belgien und der Ukraine, weil die Interessen aller Beteiligten bedient würden. Dass die Neutralität der Ukraine und das Verbot ausländischer Stützpunkte und Übungen dem US-Militär Unbehagen bereiteten, räumt Charap ein. Auch Moskau müsste etwas aufgeben: Seine Armee müsste sich aus allen besetzten Gebieten zurückziehen. Sich an einen Tisch zu setzen wäre erst möglich, wenn keine Seite sich mehr verspricht, ihre Ziele auf dem Schlachtfeld zu erreichen.

Aber dann, so Charap, könnte das Kommuniqué von Istanbul den Weg für eine langfristige Sicherheit weisen. Es sei bisher „der plausibelste Weg zu einem nachhaltigen Frieden für die Ukraine“.  PHK

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