Russlands Affären mit der Demokratie

Jens Siegert: 30 Jahre umsonst? in: Russland-Analysen, 20.9.2021

In der jüngsten Ausgabe der Russland-Analysen erinnert Jens Siegert daran, dass die Demokratie in Russland spät kam. „Auch Deutschland galt in dieser Hinsicht lange als unverbesserlich, die Deutschen nicht fit oder gar nicht geschaffen für Demokratie. Genau dieselben Argumente hört man immer wieder über Russland.“

Und dann reitet Siegert in Blitzeseile durch die Geschichte bis zum Ende der Sowjetunion und zum demokratischen Aufbruch nach deren Verfall. „Die beiden bisher wohl freiesten Wahlen in der russischen Geschichte fanden noch in der Sowjetunion statt“, stellt er fest. Aber dann: Jelzin, Putschversuch, Ende der Sowjetunion am 25. Dezember 1991 und „zwei frei gewählte Institutionen im Land: das Parlament, den Obersten Sowjet, und den Präsidenten Jelzin“. Leider arbeiteten diese gegeneinander. Der Übergang zur Marktwirtschaft – ein zweijähriger Machtkampf. „Am Ende dieses Ringens gewann mit Jelzin derjenige, der sich die Macht über die Panzer und Gewehre sichern konnte.“

Leider habe die Marktwirtschaft nicht für alle zu Wohlstand geführt. „Die junge Marktwirtschaft zeigte sich von ihrer hässlichsten, weil fast völlig ungehemmten Seite. Einige wenige wurden sehr reich, während die Masse der Menschen noch mehr verarmte.“ Demokratie bedeute deshalb für die meisten Menschen in Russland nicht in erster Linie Freiheit, sondern Chaos, Armut und einen schwachen Staat, so Siegert.

Dann kam Wladimir Putin. Und der Preisanstieg bei Öl. Und steigende Renten und Gehälter. Aber auch Einschränkungen vieler politischer Beteiligungs- und Freiheitsrechte. Und gefälschten Parlamentswahlen am 4. Dezember 2011. Massendemonstrationen. Beschneidung der Rechte und Freiheiten der Opposition, dann aber ein nationalistischer Schub, die Annexion der Krim und die Heilung von Kränkung und Demütigung der ehemaligen Großmacht.

Zuletzt, so Siegert, bestand der Eindruck, dass „immer mehr Menschen im Land einer neuen Affäre mit mehr Demokratie nicht abgeneigt zu sein schienen“. Gegen sie stehe ein „autoritärer, ja inzwischen gar ein diktatorischer Staat“, aber es gebe „trotzdem immer noch viele Menschen in Russland, die um ihre Rechte und Freiheiten kämpfen und versuchen, ihre Interessen auch gegen diesen Staat durchzusetzen“.

Siegert schließt optimistisch: Die russische Affäre mit Demokratie sei längst noch nicht zu Ende. Sie habe gerade erst angefangen. Es sei nämlich so, „dass die Transformation zu Demokratie selten gradlinig und schon gar nicht schnell gelingt“.  PHK

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