Russlandpolitik: Diplomatie ist nicht Zeitverschwendung
Theo Sommer plädiert für Interessenausgleich und Kompromiss mit dem Kreml, DIE ZEIT, 25.1.2022
Angesichts der Sorgen über einen möglichen Krieg mit Russland fordert Theo Sommer schnörkellos: „Es muss ein Kompromiss gefunden werden – ohne rote Linien.“
In der amerikanischen Außenpolitik, das weiß der langjährige Chefredakteur der Wochenzeitung Die ZEIT, habe es immer den Kampf zwischen squeezers und dealers gegeben, zwischen denen, die Druck machten, until the pips sqeak, und den Verhandlern. „Es wäre ungemein beruhigend“, so Sommer, „wenn die Behutsamen jetzt auf beiden Seiten die Oberhand behielten.“ Und das „nicht nur, um den Krieg zu verhindern, von dem alle reden, sondern um dem Frieden in Europa wieder Kontur und Struktur zu geben“.
Sommer sieht die Behauptung, Putin wolle einen Krieg beginnen, als „unbelegte Annahme der US-Geheimdienste, keine gesicherte Erkenntnis“, urteilt Sommer. „Wenn der amerikanische Präsident voraussagt, Putin werde losschlagen, weil er nach all seinem Säbelrasseln etwas tun müsse, so ist das reine Kaffeesatzleserei.“
Wenn Moskau erkläre, es beabsichtige keinen Einmarsch in die Ukraine, so erscheint ihm das „glaubhaft“. Opfer und Kosten eines Kriegs wären hoch, Russland hätte vom Westen „eine ökonomische Atombombe“ zu erwarten.
Jetzt sei „gemeinsames Bemühen um einen Interessenausgleich“ geboten. „Den Anstoß Putins, über eine Sicherheitsarchitektur für Europa zu reden, sollte der Westen aufgreifen, wie er vor einem halben Jahrhundert den Vorschlag des Warschauer Pakts für die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) angenommen hat.“ Ziel müsse ein neuer KSZE-Vertrag sein – „ohne Fristsetzungen, ohne rote Linien und ohne Ultimaten“ könne ein Kompromiss gefunden werden. „Diplomatie“, sagt Sommer, „ist nicht Zeitverschwendung.“ PHK