‚Der Westen hat etwas gegen Russland‘
Franziska Augstein: Putins wahres Gesicht, Spiegel Online, 19.6.2021
„Eine Russland-Freundin bin ich, Autorin dieses Artikels, nicht. Ich konstatiere bloß, was ist.“ Das schreibt Franziska Augstein in ihrem Kommentar über Russland – oder besser: Über den Umgang des Westens mit Russland.
Das Urteil gegen Putin sei eindeutig: Er war und ist ein Autokrat, ein Diktator. Das sei aber keinesfalls immer so gewesen, meint Augstein. Und nennt Putins Rede im Bundestag 2001 und dessen Werbung um eine Freihandelszone von Wladiwostok bis Lissabon; sogar über einen Nato-Beitritt wurde damals gesprochen. „Passiert ist seitdem aber weniger als kaum etwas“, so Augstein. „Der Westen hatte etwas gegen Russland.“
Augstein prangert die Selbstgerechtigkeit des Westens und dessen ungleiche Maßstäbe an, als da wären:
Pochen auf Menschenrechte – was aber gegenüber anderen Staaten nicht der Fall ist (sie nennt Saudi-Arabien)
Russlands Vorrücken in Richtung Grenze der Nato im Frühjahr? Das könne nur ein Scherz sein, meint Augstein: „Die Nato hat mit der Aufnahme neuer Mitgliedstaaten ihre Grenzen immer weiter gen Russland verschoben.“
Niemand wisse, was Putin wirklich plane, so Augstein. „Tatsächlich hat Russland in den vergangenen Jahren und bis heute immer wieder Avancen gegenüber dem Westen gemacht, hat sich angeboten. Mangels Reaktion hat Putin sich bemüht, andernorts Kontakte zu knüpfen, mit China. Weil China im Westen als viel größere Bedrohung wahrgenommen wird als Russland, schlägt auch das negativ auf Putins Konto.“
Der Westen wisse, dass Russland schwach sei und „in Wahrheit keine Gefahr – und doch soll die Nato noch mehr aufrüsten. Das ergibt eine schlechte Kombination: Einerseits wird Russland mitgeteilt, mit dem ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama gesagt, dass es bloß eine ‚Regionalmacht‘ sei. Gleichzeitig aber wird es als ‚aggressiv‘ gebrandmarkt. Das verstehe, wer will.“ PHK