„Investitionen in die Sprachkompetenz wären dringend geboten“
Fünf Fragen an Wilfried Bergmann
Koordinator der Arbeitsgruppe Bildung und Wissenschaft im Petersburger Dialog
Wo stehen wir im deutsch-russischen Verhältnis?
Trotz einiger Abkühlungen im generellen politischen Bereich der deutsch-russischen Beziehungen ist im Bereich Bildung und Wissenschaft die Zusammenarbeit cum grano salis unverändert gut. Dabei ist zu berücksichtigen, dass zahlreiche langjährige Kontakte nicht durch kurzfristige Eintrübungen in anderen Bereichen direkt tangiert werden, da diese zu stabilen vertrauensbildenden Maßnahmen geführt haben. Sicher: Bessere allgemeinpolitische Beziehungen strahlen immer auch positiv auf alle Felder der Zusammenarbeit aus.
Beide Seiten haben ein großes Interesse am Wissenschaftsaustausch und der fachlichen Kooperation. Dies gilt besonders für die gesellschaftlichen Implikationen wissenschaftlicher Erkenntnisse.
Im Bildungsbereich ist der Austausch wegen systemischer Unterschiede in beiden Ländern immer schwieriger gewesen. Hier macht sich auch das negative Russlandbild in Deutschland stärker bemerkbar. Auch wirkt sich aus, dass die wechselseitige Anerkennung gegenseitiger Studienleistungen verbesserungsbedürftig bleibt.
Nach 30 Jahren Vernunftehe scheint die deutsch-russische Liaison zerrüttet. Lohnt sich eine Mediation?
Jedenfalls für den Bereich Bildung und Wissenschaft erscheint mir eine Mediation weder notwendig noch zielführend.
Was trennt, was eint Russen und Deutsche heute?
Neben langwierigen Anbahnungsverläufen für neue Kooperationen hemmen systemische Unterschiede vor allem im Bildungsbereich die Zusammenarbeit. Dazu kommt, dass die finanzielle Ausstattung auf beiden Seiten deutlich steigerungsfähig wäre.
Im Wissenschaftsbereich eint vor allem die methodische Parallelität in vielen Feldern die Zusammenarbeit. Dabei wirkt sich (gefühlt) aus, dass das kontinentale Bildungs- und Wissenschaftsverständnis (noch) deutlich mehr Wertschätzung als das anglo-saxonische genießt.
Hier ist aber eine Trendwende zu erwarten (zu befürchten), zumal – neben dem Vorteil der englischen Sprache, bei rückläufigen Deutsch- bzw. Russischkenntnissen in der jüngeren Generation – die (insbesondere) amerikanischen Finanzmittel ihre Wirkung nicht verfehlen. Eine deutliche Steigerung der Investitionen in die Sprachkompetenz wäre dringend geboten.
Was wird das wichtigste Thema Ihrer Arbeitsgruppe im kommenden Jahr?
Da einige Fachgebiete (u. a. Theologie, Medizin, Ökologie) in eigene Arbeitsgruppen behandelt werden, fokussiert es sich in der AG Bildung und Wissenschaft in diesem und dem nächsten Jahr auf anwendungsbezogene Themen. Hier sind besonders zu nennen: Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften einschließlich der gesellschaftspolitischen Folgen (z. B. Veränderungen/Ängste infolge Digitalisierung; Migrationsprobleme, kommunale/regionale Demokratisierung einschließlich Subsidiarität und Wertedialog).
Aktuelle Probleme (z. B. Corona und ihre Folgen für Bildung und Wissenschaft) müssen zunehmend einbezogen werden, wie veränderte Anforderungen an Leadership-Modelle der nachwachsenden Generation. Zudem soll (in Zusammenarbeit mit der AG Ökologie) das Thema des Klimawandels (einschließlich Energiepolitik) mit seinen vielfältigen Auswirkungen thematisiert werden.
Wagen Sie eine Prognose: Wie sieht das deutsch-russische Mit- oder Gegeneinander in zehn Jahren aus?
Ich gehe davon aus (und das ist mehr als nur ein Wunschdenken!), dass das deutsch-russische Verhältnis in zehn Jahren in Bildung und Wissenschaft sich weiter stabilisiert haben wird, da auch die Globalisierung/internationale Vernetzung diese Kooperationen notwendiger macht. Das setzt aber voraus, dass Störungen aus anderen Bereichen wenig/keinen Einfluss auf Bildung und Wissenschaftskooperationen nehmen wird.