Streiten und schmeicheln in Sotschi

Worüber Putin und Erdoğan bei ihrem Treffen gesprochen haben – und worüber nicht

von Frank Nienhuysen
Streitpunkt Syrien: Putin und Erdoğan in der Sommerresidenz des russischen Präsidenten (Bocharow Ruchey) in Sotschi.

Warum nicht mit dem Angenehmsten beginnen? Das dachte offenbar Russlands Präsident Wladimir Putin, als er sich am 29. September im russischen Badeort Sotschi mit seinem türkischen Kollegen Recep Tayyip Erdoğan traf und den Medien schon mal ein erstes Statement gab. Putin lobte die russisch-türkische Zusammenarbeit und hob dabei vor allem das beiderseitige Gasgeschäft hervor. Die Türkei fühle sich „in diesen turbulenten Prozessen auf dem europäischen Gasmarkt absolut überzeugt und stabil“, was an den „großen Projekten“ liege, die „derzeit nach Plan verlaufen“: die Pipeline Turkish Stream etwa, über die russisches Gas in die Türkei und weiter in Europas südliche Staaten gebracht wird. Und zwar nach Angaben von Gazprom in einem historisch nie da gewesenen Umfang.

Ein zwieträchtiges Thema war schon abgehakt, bevor sich die beiden Staatschefs überhaupt getroffen haben: die Krim. Der türkische Präsident Erdoğan hatte klargemacht, dass er die Halbinsel nicht als Teil Russlands akzeptiere, sondern als ukrainisch ansehe. Diese Haltung kannte Moskau zwar ohnehin schon, doch derart kurz vor der Abreise nach Sotschi hinterließ Erdoğans Äußerung einen „unangenehmen Beigeschmack“, wie es Kremlsprecher Dmitri Peskow formulierte.

Am Mittwoch machte Peskow wiederum klar: Darüber würde in Sotschi erst gar nicht gesprochen. Putin und Erdoğan ging es bei ihrem Treffen vor allem um Syrien, Afghanistan, um Rüstungslieferungen und einiges andere. Russland und die Türkei, das ist seit Langem ein sehr ambivalentes Verhältnis.

Gegner in Syrien

Erdoğan sagte nach dem Gespräch, dass die Zusammenarbeit Russlands mit der Türkei auch in Syrien äußerst wichtig sei: „Der Frieden dort hängt auch von den Beziehungen zwischen der Türkei und Russland ab.“ Mehr drang zunächst allerdings nicht nach außen.

Putins Sprecher hatte sich vor Erdoğans Ankunft darüber beklagt, dass sich von Idlib aus, der letzten Rebellenhochburg in Syrien, „terroristische Aktivitäten“ fortsetzten. „Dies stört den Lösungsprozess in Syrien“, sagte Peskow.

Russland und die Türkei stehen im Syrien-Konflikt auf unterschiedlichen Seiten. Russland unterstützt den syrischen Machthaber Baschar al-Assad, der auch Idlib zurück unter seine Kontrolle bringen will, während Ankara auf der Seite der schwer unter Druck geratenen Assad-Gegner steht. Nach einem Bericht der Nachrichtenagentur Interfax wollte der türkische Staatschef Putin dazu bewegen, dass Angriffe auf türkische Soldaten im Norden Syriens gestoppt werden. Allerdings besteht Russlands Interesse eher darin, dass sich die Türkei aus Syrien zurückzieht.

Streit über Waffen für Ukraine

Noch ein Streitpunkt ist die Lieferung türkischer Waffen an die Ukraine. Kiew hatte vor wenigen Wochen erklärt, dass es weitere Drohnen von Ankara kaufen werde, was in Moskau immensen Unmut ausgelöst hat. Kurz vor Beginn des Treffens in Sotschi wies Kremlsprecher Peskow darauf hin, dass im Osten der Ukraine ein „innerer Konflikt stattfindet“, so die russische Lesart des von Moskau unterstützten Kriegs im Donbass. „Und wir wollen natürlich nicht, dass solche Rüstungssysteme von Hitzköpfen benutzt werden, um auf eigene ukrainische Bürger loszuschlagen.“

Über andere Rüstungsgeschäfte dürfte aber auch zur Freude Russlands gesprochen worden sein. Erdoğan hatte am Sonntag sein Interesse an einer weiteren Lieferung von russischen Raketenabwehrsystemen des Typs 3RS S-400 gezeigt. Niemand könne sich darin einmischen, welche Verteidigungssysteme die Türkei bei welchem Land kauft, sagte der türkische Staatschef.

Gemeint sind die USA, die Ankara wegen eines ersten Einkaufs dieser Systeme mit Sanktionen belegt haben. Im Gegenzug stornierten die USA ein Geschäft über die Lieferung von Kampfjets F-35. Zwei Jahre liegt das nun zurück. 1,4 Milliarden US-Dollar habe sein Land an die USA für die Flugzeuge bezahlt, sie aber noch immer nicht bekommen, beklagte sich Erdoğan.

Womöglich könnte Russland aushelfen. Auf einer Luftfahrtausstellung hatte das Land erst kürzlich einen preislich sehr viel günstigeren Kampfjet präsentiert, der dem F-35 Konkurrenz machen soll. Bis zur Marktreife des Checkmate genannten Jets dürfte es allerdings noch einige Jahre dauern.

Dieser Beitrag ist ursprünglich erschienen in: Süddeutsche Zeitung, 30.9.2021 / Alle Rechte vorbehalten: Süddeutsche Zeitung GmbH, München

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