‚Sanktionen gegen Russland wirken‘
Verschärfte Sanktionen gegen Russland sind eine deutlich humanere Alternative als Krieg
Wer glaubt, dass die westlichen Sanktionen gegen Russland unwirksam und unbegründet seien? Der Kreml vertritt diese Linie natürlich, aber dann widerspricht er sich selbst, indem er das Ende der Sanktionen fordert.
Ähnliche Argumente sind außerdem von Investmentbankern zu hören, die russische Anleihen verhökern. Sie würden offensichtlich von einer Aufhebung der Sanktionen profitieren, welche die ausländischen Direktinvestitionen in Russland stark verringert haben. Abgesehen von diesen beiden Gruppen sind die Einzigen, die sich noch gegen die Sanktionen aussprechen, autoritäre Politiker und Wissenschaftler, die hoffen, sich beim Kreml lieb Kind zu machen.
In jedem Fall sind die Argumente gegen Sanktionen nicht stichhaltig. 2014 annektierte Russland die Krim und startete eine (inoffizielle) Militäroffensive in der Ost-Ukraine. Die USA und die Europäische Union konnten angesichts derart eklatanter Verstöße gegen internationale Übereinkommen nicht passiv bleiben; also reagierten sie vernünftig. Infolge der schweren Finanzsanktionen stoppte der Kreml seine Offensive, nachdem er lediglich drei Prozent des äußersten östlichen Territoriums der Ukraine in Besitz genommen hatte – viel weniger, als dem russischen Präsidenten Wladimir Putin am 17. April 2014 vorschwebte, als er sich dafür aussprach, die gesamte südöstliche Ukraine zur Neugründung „Noworossija” (Neu-Russland) zu vereinnahmen.
Die Sanktionen hatten die beabsichtigte wirtschaftliche Wirkung. Während das BIP Mittel- und Osteuropas seit 2014 um drei bis fünf Prozent jährlich gewachsen ist stagniert Russland. Der Kreml schiebt dies auf niedrige Ölpreise, doch währen die Öl- und Gaspreise inzwischen wieder gestiegen sind, hält die Stagnation in der russischen Wirtschaft an. Unter den EU-Ländern hat nur Bulgarien heute ein niedrigeres BIP pro Kopf als Russland.
Sanktionen zwingen Russland zum Sparen
Wann immer Putin über die Wirtschaft reden muss, prahlt er mit Russlands Leistungsbilanzüberschuss, dem nahezu ausgeglichenen Haushalt, der minimalen Staatsverschuldung und enormen internationalen Devisenreserven. Doch all dies wurde mit einer extremen Sparpolitik erkauft. Während Putins Wirtschaftsprogramm seine eigene Fähigkeit zu einem aggressiven Handeln trotz westlicher Sanktionen aufrechterhalten hat, hat es die russischen Privathaushalte verarmen und die (inflationsbereinigten) verfügbaren Realeinkommen zwischen 2013 und 2020 um elf Prozent schrumpfen lassen.
Es sind die westlichen Finanzsanktionen, die Russland gezwungen haben, zu sparen und einen großen Teil seiner Auslandsschulden zurückzuzahlen. Seine Gesamtauslandsschulden sind von 729 Milliarden Dollar Ende 2013 auf 470 Milliarden Dollar Ende 2020 gesunken, während die erfolgreicheren Schwellenländer ihre Auslandsschulden – und damit ihre Investitionen – um 30 Prozent erhöht haben.
Ist Putin die wirtschaftliche Stagnation egal?
Der Internationale Währungsfonds prognostizierte 2015, dass die westlichen Sanktionen Russland in jedem Jahr, in dem sie Bestand haben, ein bis 1,5 Prozent BIP-Wachstum kosten würden. Und in einem jüngsten Aufsatz haben Maria Snegovaya von der George Washington University und ich ermittelt, dass die wahren Kosten der Sanktionen seit 2014 beträchtliche 2,5 bis 3 Prozent vom BIP betrugen. Diese Differenz spiegelt die zusätzlichen Kosten von Putins Fremdenfeindlichkeit und seinem Sparprogramm wider, das zu weniger verfügbarem Kapital, geringeren ausländischen Direktinvestitionen, einer restriktiveren Geldpolitik und dem Ausbleiben von Steuerimpulsen geführt hat.
Bemerkenswert ist, dass dem russischen Präsidenten die Stagnation in seinem Land egal zu sein scheint. In einer „Exekutivverordnung über die nationalen Entwicklungsziele Russlands bis 2030“ vom Juli 2020 bekannte Putin sich dazu, „ein stetiges Wachstum der Haushaltseinkommen und Renten nicht unterhalb der Inflationsrate sicherzustellen“. Anders ausgedrückt: Es wird in Russland weiterhin kein reales Wachstum geben.
Seit er 2012 erneut das Präsidentenamt übernahm, hat Putin jede Diskussion über Wirtschaftsreformen abgewürgt. Stattdessen hat er sein System der Kleptokratie perfektioniert, das den Wohlstand des Lands in den Händen seiner reichen Freunde und der Sicherheitsdienste konzentriert, und zugleich jede Rechtsstaatlichkeit beseitigt.
Sanktionen auf Eliten beschränken
Putins lautstärkste Beschwerden über die Sanktionen erfolgten zugunsten seiner engsten Freunde und Spießgesellen. Nachdem die USA 2014 Sanktionen gegen die St. Petersburger Milliardäre Juri Kowaltschuk, Arkadi und Boris Rotenberg sowie Gennadi Timtschenko verhängten, verteidigte Putin diese öffentlich im Laufe eines Jahres mindestens fünf Mal. Er argumentierte sogar – für ihn untypisch – mit humanitären Gründen: „Die Ehefrau von Herrn Timtschenko musste sich einer schweren Operation unterziehen und konnte diese nicht bezahlen, weil ihr Bankkonto und ihre Kreditkarten eingefroren waren. Dies ist ein eklatanter Verstoß gegen die Menschenrechte.“
Es ist eindeutig, dass der Westen seine Sanktionen auf die russischen Eliten konzentrieren sollte. Als die USA im April 2018 Sanktionen gegen sieben Putin nahestehende Oligarchen verhängten, fiel der russische Aktienmarkt an nur einem Tag um elf Prozent. Und doch haben weder die USA noch die EU diese offensichtlichen Lehren aus den vergangenen sieben Jahren weiterverfolgt.
Im Januar schrieb Wladimir Aschurkow, der geschäftsführende Direktor der Stiftung für Korruptionsbekämpfung des inhaftierten Oppositionsführers Alexei Nawalny, einen offenen Brief an US-Präsident Joe Biden, in dem er 35 führende russische Regierungsvertreter und Geschäftsleute nannte, gegen die Sanktionen verhängt werden sollten. Doch weder die USA noch die EU sind gegen irgendeinen davon tätig geworden.
Putin hat derweil seine asymmetrische Kriegsführung gegen den Westen noch forciert. Er setzt dabei auf hybride Techniken – Cyberangriffe, Giftanschläge, Morde, Geiselnahmen und Korruption –, die wenig kosten und keine umfassende Reaktion provozieren werden. Der Westen muss angesichts dieser Aggression in eigener asymmetrischer Manier reagieren. Angesichts eines kombinierten BIP von rund 48 Billionen Dollar (2020) – gegenüber einem russischen BIP von 1,5 Billionen Dollar – liegt der komparative Vorteil des Westens klar im Bereich der Wirtschafts- und Finanzsanktionen.
Die russischen Bürger, einschließlich der Kreml-Elite, haben anonym Gelder im Volumen von rund einer Billion Dollar im Westen angelegt. Da diese Vermögen einen korrumpierenden Einfluss auf die westliche Politik haben können, bedarf es neuer Transparenzgesetze, um sie aufzuspüren.
Die Wiederaufnahme der Zusammenarbeit der USA mit ihren Verbündeten unter Biden ist begrüßenswert. Nun jedoch müssen die USA, die EU, Großbritannien und Kanada ihre Sanktionen gegenüber Russland ausweiten. Einem jüngsten Artikel Putins nach zu urteilen, in dem dieser bestreitet, dass die Ukrainer ein echtes Volk sind, ist ein schlimmeres Verhalten des Kremls mit Sicherheit zu erwarten.
Der Westen muss sich mit weiteren Finanzsanktionen, welche die Kreml-Oligarchen und ihre Familien ins Visier nehmen, geschlossen gegen Putins hybride Kriegsführung zur Wehr setzen. Die Sanktionen wirken, und sie sind eine deutlich humanere Alternative als ein Krieg.
Anders Åslund ist Senior Fellow beim Stockholm Free World Forum und der Verfasser des Buchs "Russia’s Crony Capitalism: The Path from Market Economy to Kleptocracy".
Aus dem Englischen von Jan Doolan. Copyright: Project Syndicate, 2021. www.project-syndicate.org