Krieg in der Ukraine

Putin, Schröder und die SPD

Die SPD will den Altkanzler rauswerfen, Schröder hat einen Friedensplan und bleibt Putin treu

von Mona Jaeger
Soyeon Kim Gerhard Schröder Wikimedia Henning Schlottmann
Reisten zu Putin nach Moskau: Gerhard Schröder und seine Frau Soyeon Kim (Foto von 2018)

Gerhard Schröder war auf einer Friedensmission. Zumindest war er dieser Meinung. Er hatte gerade gut zwei Stunden im Dolmabahce-Palast in Istanbul mit Rustem Umerow gesprochen, einem ukrainischen Oppositionspolitiker und Vertreter der Krimtataren. Der hatte Schröder „herzliche Grüße“ von Präsident Wolodymyr Selensky ausgerichtet. Er und die ukrainische Regierung würden es äußerst wertschätzen, dass Schröder bereit sei, mit Russlands Präsident Wladimir Putin zu sprechen, um zumindest einen Waffenstillstand zu ermöglichen.

Es war der 7. März. Der zwölfte Tag des Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine.

Schröder hatte Umerow gleich gesagt, dass er nicht wisse, ob Putin ihn überhaupt empfangen würde. Aber er wolle es versuchen. Gerhard Schröder und seine Frau Soyeon Schröder-Kim, die ihn auf dieser Reise begleitet hat, fuhren zurück zum Istanbuler Flughafen. Schröder rief noch aus dem Auto eine Person an, die nah an Putin ist. Er erklärte die Situation. Dass er mit der ukrainischen Seite gesprochen habe. Es drei Punkte gebe, die er Putin gern darlegen würde. Zehn Minuten vergingen. Dann die Antwort: Ja, Putin würde Schröder in Moskau empfangen.

Schröders Reise zu Putin

Niemand in der SPD oder der Bundesregierung war vorab informiert worden. In Deutschland war man irritiert, dass Schröder nun bilateral mit Putin verhandeln wolle. Immerhin war beim SPD-Unterbezirk Hannover schon der erste Antrag auf den Parteiausschluss von Schröder eingegangen, er bezieht sich auf die Energiejobs des Altkanzlers. SPD-Chef Lars Klingbeil, früher mal ein Freund Schröders, hatte nach Bekanntwerden der Reise noch versucht, ein bisschen was zu retten. Alles, was zu einer Verständigung beitragen könne, sei willkommen, sagte er.

Schröders Reise ist genau protokolliert. Marc Walder, der Vorstandsvorsitzende des Schweizer Medienunternehmens Ringier, hat alles notiert. Ihn hatte am 4. März der ukrainische Politiker Pawlo Rjabikin angerufen. Laut Protokoll hatte er dringend um einen Kontakt zu Gerhard Schröder gebeten, um ihm die Sicht der ukrainischen Seite darlegen zu können.

Das Protokoll, inklusive eines Terminplans, liegt der FAZ vor. Es gibt allerdings ausschließlich Schröders Sichtweise wieder. Der Botschafter der Ukraine in Deutschland, Andrij Melnyk, hat im Anschluss mehrmals gesagt, dass das Treffen Schröders mit Putin nicht auf Wunsch der Ukraine zustande gekommen sei.

Einen Tag blieb das Ehepaar Schröder in Istanbul. Dann, am 9. März, holte ein Flugzeug aus Moskau die beiden ab. Um 21.45 Uhr landeten die Schröders in Moskau, sie übernachteten im Hotel Baltschug Kempinski. Am nächsten Abend sollte Schröder in den Kreml fahren. Zum Vieraugengespräch mit Putin.

War Schröder auf einer Friedensmission unterwegs – oder auf einer Zerstörungsmission? Nicht zum ersten Mal stellt sich für die SPD diese Frage: Als er sich robust bis rabiat die Kanzlerkandidatur der SPD sicherte und mit Brioni-Anzug und Basta regierte. Schröder galt gerade zu Anfang seiner Kanzlerschaft als Genosse der Bosse, was viele in der Partei störte. Dann verordnete er dem Land harte Arbeitsmarktreformen.

Viele in der SPD machten ihren einstigen Kanzler für den dann folgenden Niedergang der Partei verantwortlich. Schröder wandte sich von der SPD ab und stieg in Putins Energiereich auf. Genauso kompromisslos, wie er zuvor Kanzler gewesen war. Schröder ist sich treu geblieben, das kann man sagen. Darauf ist er stolz. Für viele andere ist das aber ein großes Problem.

Schröders Freundschaft mit Putin

Deswegen läuft nun das Verfahren in der SPD gegen ihn, das mit einer Rüge, aber auch mit dem Parteiausschluss enden könnte. Diese Woche Donnerstag und Freitag wird das Schiedsgericht des SPD-Unterbezirks Hannover zum ersten Mal in der Sache beraten. Geleitet wird die Schiedskommission von Heiger Scholz, Staatssekretär im niedersächsischen Sozialministerium.

Aber Schröder wird nicht zu dem Termin erscheinen. Auch nicht sein Anwalt. Mögen sie sich doch jetzt alle in der SPD von ihm distanzieren, ihm Kumpanei mit dem Kriegsverbrecher Putin vorwerfen. Er bleibt dabei: „Ich werde meine Gesprächsmöglichkeiten mit Präsident Putin nicht aufgeben.“

Gerhard Schröder sitzt dieser Tage frohen Mutes in seiner sonnendurchfluteten Hannoveraner Kanzlei. Beste Gegend. Vor dem Haus hält eine Polizeistreife permanent Wache. Das Kurt-Schumacher-Haus, in dem die Gespräche zu seinem Parteiausschluss stattfinden, ist knapp zwei Kilometer entfernt. Schröder sagt, er blicke dem gelassen entgegen.

Vieles aus diesem Gespräch, an dem auch seine Frau Soyeon Schröder-Kim teilnimmt, darf nicht zitiert werden. Aber es wird klar, dass Schröder immer noch nicht gern mit dem Mainstream schwimmt, wie er es mal ausgedrückt hat, und seine Freundschaft zu Putin auch nicht so einfach aufgeben wird.

Vertrauen und Loyalität sind wichtige Themen für Schröder. Zu SPD-Chef Klingbeil hatte Schröder bis vor einigen Monaten noch ein enges und freundschaftliches Verhältnis. Als schon niemand mehr mit Schröder auf einer Bühne gesehen werden wollte, empfing Klingbeil ihn noch in seinem niedersächsischen Wahlkreis.

Nun hat aber auch Klingbeil Schröder verbannt. Die beiden haben seit Beginn des Kriegs nicht mehr miteinander gesprochen. „Das ist enttäuschend. Das meint er wohl dem Amt schuldig zu sein“, sagt der Altkanzler.

Auf Schröders Vermittlungsmöglichkeiten will in der Bundesregierung niemand zurückgreifen. Wenn Schröder, wie es immer wieder heißt, der größte Putin-Versteher hierzulande ist, was glaubt er dann, was Putin plant? „Soweit ich ihn in meinem Gespräch verstanden habe, gibt es bei ihm ein Interesse an einer Verhandlungslösung. Wie eine solche Lösung aussieht, kann nur in einer Verhandlung geklärt werden.“

Schröder macht in dem Gespräch mit der FAZ deutlich, dass Verhandlungen seiner Auffassung nach bislang an der Ukraine gescheitert seien. Dass die Russen es sind, die die Bedingungen für Gespräche in ihrem Sinne diktieren wollen, um die Ukraine als Staat auszulöschen, lässt Schröder nicht gelten.

Drei Kriterien für Friedensverhandlungen

Bei seinem Treffen mit dem ukrainischen Politiker Umerow skizzierte Schröder drei Punkte, wie es zu einem Frieden kommen könne. Die trug er dann auch Putin am 10. März vor. Erstens müsse es die Feststellung geben, dass die Krim faktisch russisch sei. Völkerrechtlich sei der Status hingegen komplizierter. Vorstellen könne man sich, dass in der nächsten oder übernächsten Generation die Krim staatshoheitlich an Russland übergeben werden. Beispiel Hongkong.

Als zweiten Punkt eines Friedens schlug Schröder die bewaffnete Neutralität der Ukraine vor, also keine Nato-Mitgliedschaft, dem Beispiel Österreichs folgend. Und drittens müsse das Minsker Abkommen ernst genommen werden und den Regionen im Donbass mehr Autonomie gewährt werden. Nach Schröder hat die Ukraine das Minsker Abkommen in der Vergangenheit nicht ernst genommen.

Putin hat sich zu diesen Punkten laut Schröder im Gespräch mit ihm nicht weiter geäußert. Er habe darauf verwiesen, dass ein Treffen zwischen ihm, Putin, und Selensky schriftlich vorbereitet werden müsste. Er empfahl aber, dass sich Schröder mit dem Oligarchen Roman Abramowitsch treffen sollte, was dieser am 11. März auch tat.

Wenige Tage nach Schröders Reise nach Moskau äußerte die Ukraine, sie habe das Gefühl, Verhandlungen mit Moskau seien möglich. Es kursierte das Gerücht eines 15-Punkte-Plans, an dem beide Seiten arbeiteten. Laut Schröder waren die Ukrainer aber nicht bereit, irgendetwas schriftlich festzuhalten. Der Vorschlag, nur mit Bleistift Dinge zu notieren, damit es weniger offiziell wirke, sei auch abgelehnt worden. Deswegen seien ernsthafte Verhandlungen nicht möglich gewesen, so Schröder.

Schröder glaubt an „diplomatische Lösung“

Anfang April werden die Massaker an Zivilisten im Kiewer Vorort Butscha bekannt. „Diese Verbrechen des russischen Militärs müssen wir schonungslos aufklären“, sagt daraufhin Kanzler Olaf Scholz. Es ist ein Einschnitt. Es werden nun mehr Waffen aus Deutschland an die Ukraine geliefert, auch schwere Waffen.

Gerhard Schröder aber weigert sich, diese Wende nachzuvollziehen. „Warum konzentriert man sich auf die Lieferung von Waffen? Ich glaube nicht an eine militärische Lösung. Der Krieg ist nur durch diplomatische Verhandlungen zu beenden. Das Schicksal der Soldaten und der ukrainischen Zivilbevölkerung ist nur über eine diplomatische Lösung zu erleichtern.“

Auf das Argument, Waffenlieferungen brächten die Ukraine überhaupt erst in eine Verhandlungsposition, erwidert er: „Es gab und gibt diese Verhandlungen. Auch die nicht unmittelbar an diesem Konflikt Beteiligten sollten an einer diplomatischen Lösung mitarbeiten.“ Und bezüglich des eingeschränkten Warenverkehrs in die russische Exklave Kaliningrad meint er: „Alle Seiten sollten dazu beitragen, dass es nicht zu einer weiteren Eskalation des Konfliktes kommt.“

Formulierungen wie diese, bei der der russische Aggressor nicht klar benannt wird, waren es, die in der SPD-Spitze das Fass zum Überlaufen gebracht haben. Schröder hatte Ende April der New York Times ein Interview gegeben, in dem er gesagt hatte, die Massaker von Butscha müssten untersucht werden, und dass er nicht glaube, dass Putin diese selbst veranlasst habe.

Schröder soll jetzt also die Partei verlassen. Aber reichen seine Aussagen über Russland und den Krieg dafür?

Dazu muss Schröder parteischädigendes Verhalten nachgewiesen werden. Die vielen Ausschlussanträge, die beim Unterbezirk Hannover eingegangen sind, beziehen sich deswegen auf Schröders Energiejobs in Russland, weil die eine handfeste Interessenkollision möglich erscheinen lassen. Die Freundschaft zu einem Kriegsverbrecher, die die Öffentlichkeit empört, ist rechtlich deutlich schwerer zu fassen. Wohl auch deswegen äußert Schröders Anwalt, dass es keine tatsächliche oder rechtliche Grundlage für den Rauswurf gebe. Es werde nicht zum Parteiausschluss kommen.

Dieser Beitrag ist ursprünglich am 10.7.2022 erschienen in: Frankfurter Allgemeine Zeitung / Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt. Zur Verfügung gestellt vom Frankfurter Allgemeine Archiv.

 

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