Krieg in der Ukraine

Putin muss diesen Krieg verlieren

Die Ukraine kämpft auch für Europas Freiheit, wir müssen mehr tun, damit sie gewinnt

Ukraine Krieg Beerdigung
"Das russische Vorgehen gegen die Ukraine überschreitet jede zivilisatorische Grenze." Beerdigung eines 21-jährigen Soldaten in Kransnosilka, Ukraine

Gemeinsam mit Marieluise Beck war ich für zwei Tage in Kiew. Wenn es eine zentrale Botschaft aus den vielen Gesprächen mit Abgeordneten, Regierungsvertretern und Intellektuellen gibt, dann diese: Die Ukrainer werden für ihre Unabhängigkeit und Freiheit kämpfen, solange sie können. Und sie trauen sich zu, diesen Krieg zu gewinnen, wenn der Westen sie vorbehaltlos unterstützt.

Trotz aller Verluste an Menschenleben und aller Verwüstungen, die Russlands Zerstörungskrieg anrichtet, gibt es keine Bereitschaft für einen Waffenstillstand um jeden Preis. Dafür wurde schon zu viel Blut vergossen, und dafür ist der Selbstbehauptungswille der Ukrainer zu groß.

Die Erfahrung von 2014 sitzt tief, als die Ukraine in höchster Not das Minsker Abkommen unterschreiben musste, das den Status der von Russland okkupierten Gebiete im Donbass künftigen Verhandlungen überließ. Aus dem damaligen Frontverlauf wurde faktisch die neue Grenze zu Russland.

Diesmal reichen die Geländegewinne der russischen Offensive tief in die Ukraine. Kein ukrainischer Präsident würde es politisch überleben, diesen Status quo auf unabsehbare Zeit festzuschreiben. Und keine europäische Regierung sollte die Ukraine zu einer faktischen Kapitulation nötigen. Das wäre das Ende der europäischen Sicherheit und ein Sprengsatz für die europäische Einheit.

Putin muss diesmal scheitern

Putin hat seit dem Krieg gegen Georgien 2008 eine Grenzüberschreitung nach der anderen begangen. Diesmal muss er an der Ukraine und am Widerstand des Westens scheitern.

Das Gerede von einem „gesichtswahrenden Ausweg“ ist nur eine Fortsetzung der katastrophal gescheiterten Beschwichtigungspolitik. Wer einen Angriffskrieg vom Zaun bricht und ein Kriegsverbrechen nach dem anderen begeht, darf nicht als Sieger das Feld verlassen.

Die russische Führung hat mit dem Überfall auf die Ukraine die letzten Reste an europäischer Gemeinsamkeit über Bord geworfen. Dieser Bruch ist nicht mehr zu kitten. Es scheint, dass die deutsche Öffentlichkeit diese Zäsur klarer sieht als Teile der Regierungskoalition.

Wer immer noch auf ein Arrangement mit dem Putin-Regime hofft, steckt den Kopf in den Sand. Putin geht es um die Vernichtung der nationalen Eigenständigkeit der Ukraine. Sie ist das Herzstück einer Restauration des russischen Imperiums.

Wenn es nicht gelingt, die Ukraine in einen Vasallenstaat zu verwandeln, soll sie wenigstens zerstückelt und ihre Wirtschaft so ruiniert werden, dass sie auf lange Zeit kein Gegenmodell zum russischen Autoritarismus sein kann. Putins Blitzkrieg ist am ukrainischen Widerstand gescheitert. Jetzt bereitet Russland eine neue Offensive im Donbass und in der Südostukraine vor. Putin wird die Souveränität der Ukraine erst akzeptieren, wenn er am Rande einer Niederlage steht, die seine Macht in Russland gefährdet.

Ukraine verbittert über Deutschland

Jeder Krieg ist grausam. Aber das russische Vorgehen gegen die Ukraine überschreitet jede zivilisatorische Grenze. Mariupol, vor dem Krieg eine aufstrebende Hafen- und Industriestadt mit einer halben Million Einwohnern, ist nur noch ein Trümmerfeld. Die Stadt wurde über vier Wochen hinweg Tag und Nacht bombardiert. Tausende sind bereits tot, Hunger breitet sich aus, humanitäre Hilfe und Fluchtwege werden abgeschnitten.

Wenn den russischen Truppen die vollständige Eroberung gelingt, droht ein Massaker im Stil von Srebrenica. Mariupol ist kein Einzelfall. Aus den Ortschaften im Umfeld von Kiew, aus denen sich die russischen Truppen zurückziehen mussten, kommen verstörende Bilder von ermordeten Zivilisten, manche mit gefesselten Händen. Leichen säumen die Straßen. Nachrichten von Vergewaltigungen häufen sich. Stromversorgung, Transportwege und Industriebetriebe werden systematisch zerstört. Scheut der Bundeskanzler, von einem Vernichtungskrieg zu sprechen, weil uns das zu einer entschiedeneren Politik nötigen würde?

Die informierten Ukrainer sehen, dass die Bundesregierung seit Beginn des russischen Überfalls einen beachtlichen Kurswechsel vollzogen hat. Dennoch wachsen Enttäuschung und Bitterkeit über das chronische „Zu langsam, zu wenig“ der deutschen Politik.

Es ist nicht vergessen, dass noch in den ersten Tagen des Kriegs Waffenlieferungen mit dem Argument verweigert wurden, die Ukraine habe ohnehin keine Chance, sich militärisch zu behaupten. Gleiches gilt für den hinhaltenden Widerstand Berlins gegen den Ausschluss russischer Banken aus dem internationalen Zahlungssystem und einen befristeten Importstopp für russisches Öl und Gas.

Immer noch sind Waffenlieferungen aus Deutschland zu langsam und zögerlich. Dabei zählt für die Ukraine jeder Tag, um die Bevölkerung zu schützen und die russischen Truppen zurückzudrängen. Wenn die Nato eine militärische Konfrontation mit Russland vermeiden will, müssen wir die Ukraine so ausrüsten, dass sie sich die russische Luftwaffe, Panzer und Kriegsschiffe vom Leib halten kann.

Wie man hört, dominiert im Kanzleramt die Sorge vor einer militärischen Eskalation. Dabei zeigt alle Erfahrung, dass Russland sich nur durch eine Politik der Stärke abschrecken lässt.

Ein zweites Motiv lautet, Deutschland dürfe die Brücken nach Moskau nicht abbrechen. Tatsächlich hat Putin sie längst eingerissen.

Er spricht offen aus, worum es ihm geht: die Restauration des russischen Imperiums und die Neuaufteilung Europas. Die Ukraine kämpft auch für die Freiheit und Sicherheit Europas. Wir müssen mehr tun, damit sie diesen Krieg gewinnt.

Dieser Beitrag ist ursprünglich am 3.4.2022 erschienen in: Frankfurter Allgemeine Zeitung / Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt. Zur Verfügung gestellt vom Frankfurter Allgemeine Archiv.