Merkel geht, was macht Putin?

Der Kreml wird den Mut ihres Nachfolgers und der EU in seinem Einflussbereich testen

von Liana Fix
Wer hat an der Uhr gedreht? Im Herbst endet Merkels politische Karriere, Putin bekommt neue Gesprächspartner.

Die bevorstehenden Bundestagswahlen im September 2021 und das Ausscheiden von Kanzlerin Angela Merkel nach 16 Jahren im Amt bedeuten nicht allein für Deutschland und Europa eine Zäsur, sondern auch für den Rest der Welt – einschließlich Russlands.

Mit keinem anderen europäischen Staatsführer hat der russische Präsident Wladimir Putin eine länger anhaltende Arbeitsbeziehung als mit Angela Merkel. Einige politische Beobachter sind gar der Ansicht, dass die Beziehung Merkel-Putin aktuell die wichtigste Verbindung in der globalen Politik ist.

Während Merkels Zeit im Amt haben sich drei französische Präsidenten an den Beziehungen zu Russland versucht, mehr oder weniger erfolgreich: Nikolas Sarkozy während des russisch-georgischen Kriegs 2008, François Hollande während der Aggression des Kremls gegen die Ukraine und Emmanuel Macron seit 2017. Während dieser Zeit war Angela Merkel eine feste Konstante: Sie stand Sarkozy in seiner mitunter schwankenden Führung bei, sie nahm Hollande 2014 gewissermaßen bei der Hand und sie beobachtete nachsichtig Macrons Bemühungen einer Wiederannäherung an Russland, obwohl deren Erfolg – nach Berlins eigenen bitteren Erfahrungen – von Beginn an unwahrscheinlich schien.

Merkel kann Putin in Schach halten

Merkel war und ist als eine von wenigen Politikern weltweit in der Lage, Putin in Schach zu halten – wenigstens zu einem gewissen Grad. Obwohl sie nicht gewillt ist, ihre Haltung zur Pipeline Nord Stream 2 zu ändern, so hat sie doch Deutschlands Russlandpolitik während ihrer letzten beiden Amtszeiten deutlich unnachgiebiger gestaltet. Erst kürzlich äußerte der russische Präsident in einem Brief an die Kanzlerin die Hoffnung, dass es möglich sei, im letzten gemeinsamen Jahr die Beziehungen zu verbessern. Zur gleichen Zeit bewies die sofortige Verhaftung des Oppositionspolitikers Alexei Nawalny in Moskau einmal mehr, dass es naiv ist, auf Veränderungen in Putins Weltanschauungen zu hoffen.

Was sollte von der Russlandpolitik nach Merkels Ausscheiden und den für Macron anstehenden Wahlen in Frankreich 2022 erwartet werden? Und wie wird Moskau reagieren? Es gilt, drei wesentliche Entwicklungen zu beobachten.

1. Der verführerische Neustart

Erstens: Es ist sehr unwahrscheinlich, dass Europas führende Kräfte in den kommenden beiden Jahren eine große Rolle dabei spielen werden, eine künftige Russlandpolitik zu formulieren. In Deutschland wird es Zeit brauchen, bis ein neuer Kanzler in die Fußstapfen Merkels treten kann – ihr Einfluss und ihr Ansehen in Brüssel wie auch in Moskau sind beispiellos. Es ist außerdem nicht sicher, dass ein neuer Kanzler ihr robusteres Auftreten gegenüber Russland fortsetzen wird. Für einen neuen Staatschef gibt es immer die verführerische Option, einen eigenen Neubeginn mit Russland zu versuchen, wie das Beispiel Macron gezeigt hat.

Diese Möglichkeit gilt aber gewiss nicht für Bündnis 90/Die Grünen, die sehr wahrscheinlich Teil der nächsten deutschen Regierung sein werden und die gegenüber Moskau die mit Abstand kritischste Haltung vertreten. Für einen christdemokratischen Kanzler hingegen könnte ein erneuerter Kontakt eine verlockende Politikoption sein, insbesondere auf dem Hintergrund der durch die Covid-19-Pandemie hervorgerufenen ökonomischen Krise. Das gilt sowohl für Armin Laschet, den neuen CDU-Vorsitzenden, als auch für den bayerischen Ministerpräsidenten und CSU-Vorsitzenden Markus Söder und für Gesundheitsminister Jens Spahn, die als Kanzlerkandidaten für die Union in Frage kommen.

Obwohl keiner dieser möglichen Kandidaten die EU-Sanktionen gegen Russland in Folge der illegalen Annexion der Krim 2014 in Frage gestellt hat, ist Laschet bereits für seine zurückhaltenden Positionen kritisiert worden. Söder hat unterdessen vor „moralischer Rigorosität“ gegenüber Russland gewarnt.

Ob es unter einem neuen Kanzler zu einem Neustart der deutsch-russischen Beziehungen kommen kann, hängt außerdem von Russlands Signalen ab: Ob weitere Versuche, die Demokratie in Deutschland zu unterminieren, unterbleiben (wie die Hackerattacken auf den Deutschen Bundestag 2015), genauso wie verdeckte oder offene Interventionen in der russischen Nachbarschaft und darüber hinaus.

Während Deutschland im Herbst über eine neue Führung entscheidet, muss Frankreich in die Bresche springen und auf Fortschritte in der Ostukraine drängen und dabei das etablierte „Normandie-Format“ nutzen, das Moskau, Kiew, Paris und Berlin zusammenbringt. In der Vergangenheit wurden diese Gespräche insbesondere durch Merkels persönliches Engagement vorangetrieben; es wäre bedauerlich, wenn das Normandie-Format einschlafen würde.

2022 wird Emmanuel Macron vorrangig in die Kampagne für seine Wiederwahl eingebunden sein. Dadurch wird die Verpflichtung für den Dialog mit Moskau wieder stärker Deutschland zufallen, obwohl bislang keiner der Kanzlerkandidaten in Deutschland klare Absichten erklärt hat, was in der östlichen Nachbarschaft der EU passieren soll.

2. In Amerikas Schatten

Zweitens werden die Beziehungen zu Russland sehr wahrscheinlich durch die US-Politik bestimmt werden. Höchste Priorität für die neue Administration unter Präsident Joe Biden hatte zunächst die Verlängerung des New-Start-Vertrags, das am 5. Februar ausgelaufen wäre. Überdies hat Biden in seinem außenpolitischen Team im Nationalen Sicherheitsrat, im Außen- und Verteidigungsministerium und in der CIA viele Beamte aus der Obama-Administration vereinigt, die über große Erfahrungen in der Region verfügen, etwa die NSC Direktorin Andrea Kendall-Taylor, die Staatssekretärin im Außenministerium Victoria Nuland und CIA-Direktor William Burns.

Daraus lässt sich ein starker Fokus auf Russland und eine robuste Haltung gegenüber dem weltweiten Einfluss Russlands ablesen. Das gilt insbesondere für Cyber-Aktivitäten, Desinformation, Korruption, Schwächung der Demokratie und wachsende russisch-chinesische Annäherungen.

Dennoch gibt es Bereiche, in denen Kooperation und Diplomatie gefragt sind, etwa in der Klimapolitik oder gegenüber dem Iran. Die amerikanische Unterstützung der Ukraine aber bleibt ein kritischer Streitpunkt; überdies wird die Stärkung der NATO ein wichtiger Bestandteil der Russlandpolitik sein. Allerdings wird die politische Erbschaft von Nord Stream 2 die deutsch-amerikanische Kooperation mit Blick auf Russland weiterhin belasten.

3. Eine bunte Mischung für den Kreml

Drittens wird Russland sehr wahrscheinlich seine Ansprüche auf eine Einflusssphäre in seiner unmittelbaren Nachbarschaft untermauern und konkretisieren. 2020 konnte Russland seine Position sowohl in Belarus als auch im Südkaukasus stärken. Einerseits wurde Alexander Lukaschenko an der Macht gehalten, bis ein politischer Wandel unter russischen Bedingungen vollzogen wird. Andererseits sind russische Friedenstruppen in der Befriedung des Konflikts um Bergkarabach involviert. Das verdeutlicht die Unfähigkeit oder die Nichtbereitschaft der EU, Verantwortung in der Region zu übernehmen.

In Belarus scheute die EU davor zurück, Russland durch ein stärkeres Auftreten zu provozieren. Und im Südkaukasus spielte die EU überhaupt keine Rolle, obwohl die betroffenen Länder Teil der Ostpartnerschaft sind und die EU Ambitionen angekündigt hat, präsenter sein zu wollen. Dieser Trend eines europäischen Zurückweichens und eines russischen Vorrückens wird sich in den nächsten beiden Jahren mit großer Wahrscheinlichkeit fortsetzen.

Russland wird seine Spielräume austesten

Trotz dieses pessimistischen Ausblicks ist es wichtig daran zu erinnern, dass Moskau es bei den Herausforderungen im eigenen Land in den kommenden Jahren nicht einfach haben wird. Die Verhaftung von Nawalny und die Verschärfung der Gesetze zur „Auslandsspionage“ belegen die Nervosität des Kremls mit Blick auf die Wahlen zur Duma, die spätestens bis zum 19. September stattfinden müssen.

Um die gewünschten Ergebnisse sicherzustellen, wird eine Menge „politischer Nachhilfe“ nötig sein. Das wiederum mag Moskaus Appetit auf außenpolitische Abenteuer limitieren. Dennoch wird Russland in der Nach-Merkel-Ära die Spielräume für sein politisches Handeln austesten. Ganz gleich, wer Merkel als Kanzler nachfolgt, sollte darauf gut vorbereitet sein.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in englischer Sprache erschienen in Internationale Politik Quarterly, Januar 2021

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