Keine Fortschritte bei atomarer Abrüstung
Weshalb die Überprüfungskonferenz zur Nichtverbreitung von Kernwaffen ohne Schlussdokument blieb und scheiterte
Die 10. Überprüfungskonferenz des Vertrags über die Nichtverbreitung von Kernwaffen endete am 26. August in New York ohne substanzielles Schlussdokument. Die Tagung spiegelte die derzeitige krisenhafte Lage im Hinblick auf Sicherheit und Abrüstung wider. Als wichtiges Problem erwies sich die Lage um das ukrainische Kernkraftwerk Saporischschja. Eine insbesondere von der Ukraine und westlichen Staaten dazu vorgeschlagene Formulierung lehnte Russland ab.
Noch nie hat eine Konferenz zur Überprüfung der Wirkungsweise des Vertrags über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (Non-Proliferation Treaty, NPT) unter derart schwierigen Bedingungen stattgefunden. Die Einstellung einer Reihe von Vereinbarungen zu Vertrauensbildung, Rüstungsbegrenzung und Abrüstung in den letzten Jahren und schließlich der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine mit dem Beschuss und der Besetzung ukrainischer Atomanlagen warfen einen langen Schatten auf die Tagung. Die Verlängerung des New-Start-Vertrags im Jahr 2021 und die am 3. Januar 2022 von den fünf NPT-Kernwaffenstaaten (P 5) abgegebene gemeinsame Erklärung, ein Kernwaffenkrieg könne nicht gewonnen und dürfe nie geführt werden, hatten zunächst eine gewisse Hoffnung geweckt.
Die Konferenz sei gescheitert, da kein Schlussdokument verabschiedet wurde, hieß es von verschiedenen Seiten nach der Konferenz. Russland hatte einen Konsens wegen einiger Passagen des vom Konferenzvorsitzenden Botschafter Gustavo Zlauvinen (Argentinien) nach langen Verhandlungen vorgelegten Schlussdokuments abgelehnt.
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Dabei ging es vor allem um die Ereignisse am ukrainischen Atomkraftwerk Saporischschja. Insbesondere die westlichen Kernwaffenstaaten und ihre Verbündeten hatten gemeinsam mit Kiew auf eine für Moskau nicht akzeptable Formulierung für den Entwurf des Schlussdokuments gedrängt.
Ob nun die westlichen Delegationen genügend Unterstützung für diese Position mobilisieren konnten oder die russischen Diplomaten in den Verhandlungen nicht flexibel genug waren, sei dahingestellt. Jedenfalls sahen sich letztere schließlich gezwungen, den Entwurf des Schlussdokuments insgesamt abzulehnen.
Das Zögern der Blockfreien
Die Mehrheit der blockfreien Staaten hielt sich mit Rücksicht auf Russland offensichtlich in dieser Frage zurück, wie beispielsweise die von Aserbaidschan am 1. August im Namen der Blockfreien abgegebene Erklärung verdeutlichte. Für diese Staatengruppe stand die Forderung nach nuklearer Abrüstung im Mittelpunkt. Das in Artikel VI des NPT enthaltene Ziel wird neben der Nichtverbreitung von Kernwaffen und der friedlichen Nutzung der Atomenergie als eine der drei „Säulen“ des Vertrags angesehen.
Die blockfreien Länder betrachten den Artikel als wichtiges Mittel, um die dem NPT angehörenden fünf Kernwaffenstaaten – China, Frankreich, Großbritannien, Russland und die USA – unter Druck zu setzen. Diese wiederum halten an der nuklearen Abschreckung und dem Besitz von Kernwaffen fest. Dabei sehen sich die westlichen Kernwaffenstaaten als „verantwortungsvolle Hüter“ von Kernwaffen.
Dem 1970 in Kraft getretenen NPT gehören heute 191 Staaten an. Überprüfungskonferenzen finden alle fünf Jahre statt. Die ursprünglich für 2020 geplante Konferenz wurde wegen der Corona-Pandemie mehrmals verschoben und fand schließlich vom 1. bis 26. August im UN-Hauptquartier in New York statt.
Die NPT-Überprüfungskonferenzen endeten durchaus nicht immer mit einem substanziellen Schlussdokument; so z. B. in den Jahren 2005 und 2015, als die nukleare Abrüstung Hauptstreitpunkt war. Demgegenüber kam es 1995, 2000 und 2010 zu aussagekräftigen Schlussdokumenten; im Jahr 1995 beschlossen die Vertragsstaaten unter anderem Prinzipien und Ziele für nukleare Nichtverbreitung und Abrüstung wie auch die unbefristete Verlängerung des NPT.
Nato gegen Verbot von Atomwaffen
Die mangelnden Fortschritte bei der nuklearen Abrüstung waren ein wichtiger Grund für die Initiative Mexikos, Österreichs und weiterer Staaten zum Abschluss des Vertrags über das Verbot von Kernwaffen (Treaty on the Prohibition of Nuclear Weapons, TPNW), der am 22. Januar 2021 in Kraft trat. Auf der 10. NPT-Überprüfungskonferenz spielten der TPNW wie auch die Beschlüsse des ersten Treffens der Vertragsstaaten (Wien, 21.- 23. Juni 2022) eine wichtige Rolle.
Grundsätzlich lehnt die Nato den TPNW ab, trotzdem sahen sich einige Mitglieder wie Deutschland, Belgien, die Niederlande und Norwegen veranlasst, am ersten TPNW-Treffen als Beobachter teilzunehmen. Allerdings betonte Deutschland, dass sich damit seine ablehnende Position zum TPNW nicht ändere.
Im Namen von 66 den TPNW unterstützenden Staaten erklärte Mexiko am letzten Tag der Konferenz, dass der Entwurf des Schlussdokuments zwar auf die unakzeptablen humanitären Folgen und Risiken der Kernwaffen verweise, jedoch weit hinter der Dringlichkeit nuklearer Abrüstung zurückbleibe. Der Verbotsvertrag sei der deutlichste Ausdruck des Strebens nach Nichtverbreitung und einer Welt ohne Kernwaffen.
Trotz der oben erwähnten Auseinandersetzungen vertrat Russland hinsichtlich der nuklearen Fragen, wie z. B. nukleare Abschreckung oder Modernisierung der nuklearen Arsenale, im Grunde ähnliche Positionen wie die westlichen Kernwaffenstaaten, hielt sich offiziell nur stärker zurück. Letztlich gelang es den westlichen Kernwaffenstaaten und ihren Verbündeten, Forderungen der Blockfreien im Entwurf des Schlussdokuments abzuschwächen.
So gab es nur eine allgemeine Formulierung zum TPNW, während die nukleare Teilhabe schon bald gestrichen wurde. China war bemüht, weitgehende Übereinstimmung mit den Blockfreien zu demonstrieren. Während die chinesische Delegation das von Australien, Großbritannien und den USA abgeschlossene Militärbündnis AUKUS scharf kritisierte, heißt es in Paragraph 36 des oben genannten Entwurfs nur lapidar, die Frage des Nuklearantriebs bei Kriegsschiffen solle „Gegenstand des Dialogs“ werden, darunter mit der IAEA.
Russland für Scheitern nicht allein schuldig
Kein Wunder also, dass für viele Staaten, ausgenommen die Kernwaffenmächte und ihre Verbündeten, der Entwurf des Schlussdokumentes eine tiefe Enttäuschung darstellte, wie die NGO-Abrüstungsexpertin Ray Acheson betonte. Russland sei nicht der einzige Staat gewesen, der die Konferenz zum Scheitern gebracht habe. Sogar wenn Russland flexibler im Hinblick auf die Einschätzung der Saporischschja-Krise gewesen wäre, so zeige der Entwurf dennoch, dass der NPT zwar allgemeine Unterstützung genieße, es jedoch an Führung (leadership) fehle, so jedenfalls Daryl G. Kimball, Exekutivdirektor der US-amerikanischen Arms Control Association. Die 10. Überprüfungskonferenz war seiner Meinung nach eine verpasste Gelegenheit zur Stärkung des NPT durch einen spezifischen Aktionsplan mit Zeitfristen, um den wachsenden Gefahren des nuklearen Wettrüstens und der Anwendung von Kernwaffen zu begegnen.
Fazit: Der Nichtverbreitungsvertrag ist – trotz aller Probleme – ein wichtiger Bestandteil des internationalen Rüstungskontrollsystems. Eine wachsende Rolle in den Auseinandersetzungen um nukleare Nichtverbreitung und Abrüstung wird aber auch der TPNW spielen. Immerhin beginnt bereits im nächsten Jahr die Vorbereitung der für 2026 geplanten nächsten NPT-Überprüfungskonferenz.
Zu den Ergebnissen der jüngsten Konferenz gehört in gewisser Weise auch die IAEA-Mission im von Russland besetzten Atomkraftwerk Saporischschja. Die Aussichten für die Wiederherstellung des Gemeinsamen Umfassenden Aktionsplans zum iranischen Atomprogramm scheinen sich in jüngster Zeit ebenfalls verbessert zu haben.